Zwei Geschwister

Peter Petz
9. Januar 2013
Modell (Foto: Büro luchterhandt, Hamburg)
Das MIN-Forum und die Fakultät Informatik bilden wesentliche Bausteine für die Neuordnung des Campus Bundesstraße der Universität Hamburg. Wie bindet Ihr die beiden Neubauten in Kontext und Masterplan ein?

Als Herzstück des neuen Campus bilden die beiden Stadtbausteine einerseits den Brückenschlag zum Campusbereich um das Geomatikum und  andererseits den Auftakt zum Campusbereich Chemie. Aus dem prämierten Städtebaulichen Masterplan für den neuen Campus ergibt sich der grundsätzliche und unterschiedliche Charakter der beiden Gebäude. Während der sechsgeschossige Block als Teil der städtischen Blockstruktur eine wichtige Raumkante für das Campusband und den Campusplatz bildet, hat der Turmbaukörper eine solitäre und skulpturale Qualität, ist die Dominante am Campusplatz und Gelenkpunkt für das Campusband, welches die beiden Campusbereiche beiderseits der Bundesstraße miteinander verbindet. Der städtebaulichen Bedeutung der Gebäude entsprechend wird die Bibliothek als der zentrale Identifikationsort einer Universität im Turmgebäude untergebracht, während Mensa, Zentrale Lehre und die gesamte Fakultät Informatik im Stadtblock angeordnet werden.

Blick auf den Campusplatz
Wie bringt Ihr Adressbildung, Freiflächen und fünf vorgesehen Bauphasen auf den Punkt?

Wir haben alle öffentlichkeitsrelevanten Funktionsbereiche beider Gebäude im Erdgeschoss angeordnet und diese entsprechend der funktionalen und stadträumlichen Erfordernisse orientiert. Erdgeschoss und umgebende Freiräume kommunizieren miteinander und beleben sich gegenseitig. Es entsteht ein offenes und einladendes Sockelgeschoss, das die universitäre Nutzung mit ihrer Umgebung verbindet. Campus und öffentlicher Stadtraum profitieren voneinander im Sinne eines lebendigen Stadtquartiers. Die Tatsache, dass das Projekt nur eine Etappe bei der Neuordnung des Campus darstellt, bringt natürlich die eine oder andere Einschränkung im Zwischenzustand mit sich, was aber bei einem Bauvorhaben dieser Größe aber normal ist.

Lagepläne
Wie organisiert Ihr das MIN-Forum und die Fakultät für Informatik?

Haupteingang und Mensa bilden eine lange gläserne Front, die sich als einladende Geste zum Campusband und Campusplatz öffnet. Vom Haupteingang gelangt der Besucher in ein großzügiges, repräsentatives Foyer, welches den großen Hörsaal und die Mensa, sowie über einen sich spannungsvoll nach oben staffelnden Luftraum die Seminar- und Fakultätsbereiche in den Obergeschossen erschließt. Dieser Luftraum ist zenital belichtet und steht synonym für ein helles, offenes und kommunikatives Lehr- und Forschungsgebäude. Der große Hörsaal besetzt die Spitze des Gebäudes an der Bundesstraße und wird direkt vom Erdgeschoss des Foyers auf seiner oberen Ebene erschlossen, der kleinere Hörsaal wird über eine markante Treppe ins 1. Obergeschoss erreicht, wo sich dessen Vorbereich balkonartig aus dem Foyerraum entwickelt. Von hier sind auch die im Zwischengeschoss angelagerten Seminarräume erreichbar, während eine weitere Treppe ins zentrale Lehrgeschoss führt, wo sich weitere Seminarräume und kleinere Hörsäle befinden. Die Fakultätsbereiche der Informatik werden von einem mittig gelegenen Kommunikationsraum erschlossen, der über den Innenhof natürlich belichtet ist. Dies ist der zentrale Treffpunkt auf dem Geschoss, von hier aus werden alle Abteilungen erreicht, hier treffen sich Mitarbeiter und Studierende zum Gedankenaustausch, hier entstehen neue Ideen und Lösungen.

Im Bibliotheksgebäude befinden sich grundsätzlich zwei Funktionsbereiche, die beide von einem zentralen Foyer aus erschlossen werden. Der Lage des Gebäudes an einem städtebaulichen Gelenk entsprechend ist das Foyer nach zwei Seiten hin orientiert. Ein Eingang kommt direkt vom Campusband und liegt gegenüber dem Hauptzugang zum Lehr- und Mensagebäude, der zweite Zugang bedient den künftigen Campusplatz und befindet sich an der Ostseite des Gebäudes. Zur Belebung der Erdgeschosszone und Integration des Gebäudes in das Stadtquartier ist hier eine Cafeteria integriert, die sich zur Bundesstrasse und zum Campusband orientiert und so die Vernetzung der beiden Campusbereich mit der Stadt unterstützt. Vom Eingang Campusband kommend gelangen Studierende über eine Treppe in den zweigeschossigen Servicebereich mit zentraler Information und den Beratungsbüros der Fachbereiche. Die Bibliothek selbst wird aus dem östlichen Bereich des Foyers erreicht, wo sich Informationstheke und Leihstelle direkt dem Besucher zuwenden. Nach dieser Erstinformation gelangen zielorientierte Nutzer über einen der insgesamt drei Aufzüge rasch und direkt zu Ihrem Ziel. Eher Kontemplation suchende Besucher können über einen zusätzlichen, durch offene Treppen und Lufträume abwechslungsreichen Weg die Bibliothek erkunden. Gleichzeitig dienen diese Treppen als kurze und gut auffindbare Verbindungen von Geschoss zu Geschoss. Auf diese Art entsteht in einem räumlich komplexen Gebäude eine einfache und klare Orientierung. Durch die Zonierung des Bibliotheksraumes mit Regalen, offenen und geschlossenen Arbeitsplätzen entstehen Raumbereiche unterschiedlicher Qualität. Es gibt eher lebhafte und kommunikative Arbeitsplätze genauso wie sehr stille Plätze für konzentriertes Arbeiten.

Erdgeschoss des Mensa-, Lehr- und Fakultätsgebäudes (oben)und des Bibliotheksturms
Welches architektonische Thema war Euch besonders wichtig?

Es hat uns bei der Entwurfsaufgabe besonders gereizt, das Spannungsfeld zwischen der Unterschiedlichkeit der beiden Häuser hinsichtlich Form und Funktion und ihrer Verwandtschaft hinsichtlich eines gemeinsamen Material- und Detailkanons auszuloten. Wir betrachten die beiden Häuser wie zwei Geschwister, die bei aller Gemeinsamkeit doch auch ihre eigene Individualität entwickeln. Das Mensa-, Lehr und Fakultätsgebäude ist horizontal und mit großer Transparenz entwickelt, während die Bibliothek sich vertikal gegliedert und eher introvertiert  zeigt. Gemeinsam ist beiden Häusern die Fassade aus elementierten Betonfertigteilen.

Ansicht Mensa-, Lehr- und Fakultätsgebäude
Schnitt Mensa-, Lehr- und Fakultätsgebäude
Ansicht Eingang Bibliotheksturm
Schnitt Bibliotheksturm
Welche Besonderheiten hinsichtlich Konstruktion, Material und Klimakonzept zeichnen Euren Vorschlag aus?

Für die Fassaden schlagen wir Gebrochenes Hamburger Ziegelmaterial als Zuschlagsstoff für die Herstellung der Fassadenfertigteile vor, das dann durch steinmetzmäßiges Spitzen nach der Betonage der Oberfläche freigelegt wird. Durch den mörtelähnlich eingefärbten Beton und die rote Ziegelkörnung einsteht eine in Farbe und Haptik den Hamburger Ziegelhäusern sehr verwandte Anmutung, die jedoch in Ihrer Textur durch die „Zufälligkeit“ der Kornverteilung lebendiger und dem Maßstab der Gebäude angemessen ist. Diesem Maßstab entsprechend gibt es zwei Gliederungsebenen der Fassade. Im Lehr- und Fakultätsgebäude gibt es zum einen die regelmäßigen, auf das Individuum bezogenen „Einzelfenster“ und zum anderen die auf die Gemeinschaft hinweisenden großen Verglasungen im Eingangs-, Mensa- und Foyerbereich. In der Bibliothek, deren Fassade aus demselben Material errichtet wird wie das Lehrgebäude, werden Individuum und Gemeinschaft quasi zu einer Synthese geführt indem die Einzelfenster zu großflächigen Elementen zusammengefügt und, der Gebäudeskulptur entsprechend, auf der Fassade angeordnet werden.

Bauteile und Anlagentechnik des Gebäudes sind im Passivhausstandard vorgesehen. Die notwendigen Wärme- und Kälteenergie wird nahezu vollständig über regenerative Energien abgedeckt. Die Wärmeversorgung für die Neubauten erfolgt aus dem öffentlichen Fernwärmeversorgungsnetz. Die Beheizung der Räume erfolgt über Bauteilaktivierung an der Decke, welche optional über eine Grundwasserbohrung und einen einfachen Wärmetauscher im Sommer auch zur nahezu energiebedarfslosen Kühlung der Räume eingesetzt werden kann. Bibliothek, Mensa, Hörsäle, Seminarräume und EDV-Räume, werden entsprechend mit einer den hygienischen und thermischen Anforderungen genügenden Mindestluftmenge be- und entlüftet. Auch die Büros erhalten- um den Anforderungen der kommenden EnEV zu genügen eine kontrollierte und mit Wärmerückgewinnung versehene Be- und Entlüftung. Individuelle Klimasteuerung insbesondere im Sommer ist hier auch durch öffenbare Fenster gewährleistet

Halle
Detail
Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?

Derzeit überarbeiten wir und die beiden anderen Preisträger unsere jeweilige Planung im Hinblick auf  die vom Preisgericht festgestellten Defizite. Eine Entscheidung über die weitere Beauftragung ist für das Frühjahr 2013 vorgesehen. Ein Baubeginn soll Ende 2014 erfolgen, die Fertigstellung dürfte demnach 2016 möglich sein.

Modell (Foto: Büro luchterhandt, Hamburg)
MIN-Forum und Informatik der Universität Hamburg
Begrenzt offener Wettbewerb mit vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren

Jury
Prof. Dietmar Eberle, Vors.
Dr. Dorothee Stapelfeldt
Dr. Katrin Vernau
Prof. Dr. Heinrich Graener
Prof. Jörn Walter
Dr. Torsten Sevecke
Birgit Fuhlendorf
Jochen Möller
Jórunn Ragnarsdóttir
Sonja Moers
Ingrid Spengler
Prof. Markus Neppl
Isabell Feest
Rüdiger Rust
Michael Westenberger

1. Preis
Bez + Kock
Stuttgart

2. Preis
Schweger + Partner
Hamburg

3. Preis
Max Dudler
Berlin

Andere Artikel in dieser Kategorie