Regenbogenwald – Kinder- und Jugendhaus in zirkulärer Bauweise

blrm
6. März 2024
Eingangssituation (Visualisierung: blrm)
Im Darmstädter Verlegerviertel möchte der Auslober den Neubau des Kinder- und Jugendhaus Havelstraße unter Berücksichtigung des Urban Mining-Gedankens bauen. Welche Ausgangssituation haben Sie vorgefunden?

Die Kindertagesstätte Regenbogenland wurde 1972 erbaut und befindet sich in einem sehr schlechten baulichen Zustand. Das neue Gebäude soll verschiedene soziale Nutzungen vereinen: Es muss sowohl die Kindertagesstätte mit zusätzlichen Krippenplätzen als auch eine neue Anlaufstelle für die Jugendlichen des Stadtteils in Form eines Jugendzentrums aufnehmen. Da die nachhaltigste Lösung – der Erhalt des Altbaus – bei dem großen Änderungsbedarf und dem schlechten Zustand des Bestandes leider keinen Sinn macht, möchte die Bauherrin einen Neubau unter Berücksichtigung des Urban Mining-Gedankens errichten. Sowohl die Wiederverwendung von Teilen des Bestandes als auch ein hoher Anteil an recycelten Bauelementen sind explizit gewünscht. Unsere Aufgabe wird es sein, vorhandene Bauelemente und Materialien in Abbruchbaustellen zu identifizieren und in das neue Haus zu integrieren, anstatt ausschließlich auf neu hergestellte Produkte zurückzugreifen. Ein zweites Prinzip des zirkulären Bauens ist eine Planung, die reversible Verbindungen zwischen Bauteilen und sortenreine Trennbarkeit von Bauteilen ermöglicht. Auch dies soll in diesem Bauvorhaben umgesetzt werden.

Wie fanden Sie zum vorgeschlagenen Gesamtbild?

Planungsprozesse im Sinne eines »Individual Reuse« werden viel stärker auf das Vorgefundene, das Vorhandene reagieren müssen – Bauen nach Verfügbarkeit. Die Gebäudestruktur muss daher ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit aufweisen können. Das Bild des »Patchwork« im Sinne einer Bricollage war für uns ein starkes Leitmotiv bei der Entwicklung der Erzählung und des Ausdrucks des zukünftigen Gebäudes. Die Wirkung wiederverwendeter Bauelemente geht über das bloße materielle Recycling hinaus und schafft eine einzigartige Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wenn alte Bauelemente in neue Strukturen eingefügt werden, entsteht eine Atmosphäre der Kontinuität und des Wandels. Sie tragen oft Spuren vergangener Nutzungen und Geschichten. 

Konzept (Piktogramm: blrm)
Wie organisieren Sie das Kinder- und Jugendhaus Havelstraße?

Prägend für die Anordnung und städtebauliche Setzung des Gebäudes ist der vorhandene Baumbestand, der die Form des Gebäudes definiert und für eine abwechslungsreiche Kubatur sorgt. Die unterschiedlichen Nutzungen verteilen sich auf insgesamt drei Geschosse, die untereinander durch zwei innenliegende Treppenhäuser erschlossen werden. Der Haupteingang zum Kindergarten befindet sich im Norden des Gebäudes und eröffnet einen lebhaften Eingangsbereich mit ausreichend Platz zum Toben und Spielen. Gruppen- und Spielräume befinden sich an der Südfassade mit direktem Zugang zum Außenbereich. Die Personalräume befinden sich im nördlichen Teil des Erdgeschosses und im 1. Obergeschoss. Das Jugendhaus mit Café und Aufenthaltsbereichen für Jugendliche befindet sich ebenfalls im 1. Obergeschoss und wird über eine großzügige, tribünenartige Außentreppe im Osten erschlossen. Dadurch sind die Nutzungsbereiche zu unterschiedlichen Tageszeiten unabhängig voneinander erreichbar. Den Abschluss bildet der Sport- und Bewegungsraum im 2. Obergeschoss. 

Grundriss Erdgeschoss im Kontext (Zeichnung: blrm)
Längsschnitt (Zeichnung: blrm)
Querschnitt (Zeichnung: blrm)
Welches architektonische Thema war Ihnen besonders wichtig?

Die Architektur unterstützt die pädagogische Herangehensweise, daher stellt die Verzahnung der Innen- und Außenräume ein besonders wichtiges Element dar. Der bestehende Garten mit wunderbarem Baumbestand prägt die Kontextuierung und Formgebung des neuen Gebäudes. Er ist omnipräsent im pädagogischen Alltag des Kindergartens – in der fließenden Bewegung der Kinder zwischen drinnen und draußen. Der Entwurf basiert auf der räumlichen Idee von Sequenzen und Filtern. Er spielt mit den komplexen Wechselwirkungen zwischen mineralischen und pflanzlichen Elementen. Das Vorhandensein von Vegetation macht die Architektur komplexer und schafft neue Mikroklimata und Landschaften, in denen Aktivitäten stattfinden können. Die Verbindung zum Außenraum ist über die verschiedenen Nutzungsbereiche und Ebenen unterschiedlich ausformuliert. 

Innenraum (Visualisierung: blrm)
Können Sie uns durch das Kinder- und Jugendhaus Havelstraße führen als ob es schon fertiggestellt wäre?

Ich möchte hier Cosmo zu Wort kommen lassen, den wir in unserem Erläuterungsbericht für einen Tag im Kinder- und Jugendhaus begleiten.
»Cosmo kann sie immer noch nicht gleich entdecken. Er geht nun schon seit zwei Jahren mit seiner Mutter jeden Morgen diesen Weg. Schon von Weitem kann man die Bäume sehen, in denen sich seine Kita versteckt. Bis er das Haus zwischen den grünen Blättern hervorblinzeln sieht, dauert es eine Weile. Er geht gerne in die Kita Regenbogenwald.
Mama sagt immer, sie mag das aus verschiedenen Farben und Mustern zusammengesetzte Haus. Es erinnere Sie daran, dass ›Patchwork‹ etwas Schönes sei. Cosmo versteht nicht so ganz, was sie damit meint. Es habe irgendetwas mit der Familie zu tun, aber er hat es schon vergessen. Denn nun rennt er los, um Maxi zu begrüßen, seine beste Freundin, die bereits am Eingang auf ihn wartet.
Mama unterhält sich noch kurz mit Maxis Papa im Foyer. Cosmo hört nur Wortfetzen, wie ›recycelte Materialien‹, ›Holzbau‹ oder ›robuste Struktur‹. Mama hat geholfen, die Materialien für den Regenbogenwald zusammenzustellen. Es sind alles Dinge, die vorher in alten Gebäuden ganz woanders eingebaut waren. Selbst Dinge aus der alten Kita, die hier einmal stand, finden sich hier wieder. Sie meint, wenn man ganz leise ist, kann man ihre Geschichten hören. Cosmo hat noch nie irgendetwas gehört. Das Rauschen der Blätter kann man gut hören, besonders wenn es windig ist. Er findet das Haus mit seinen verschiedenen Facetten, das irgendwie gar kein Haus ist, einfach nur schön. Und es riecht gut. So ein bisschen wie ein Wald. Mama sagt es liegt an dem Holz, aus dem der Regenbogenwald gebaut ist.
Wie jeden Morgen sitzt er mit seinen Freunden im Morgenkreis zusammen und sie singen das Begrüßungslied des Regenbogenwaldes zusammen. ›Heute sind wir Gast im Wald, bei Tanne, Buche, Eiche / Heute sind wir Gast im Wald im schönen Zauberreiche. / Unser Haus hat viele Räume, unser Haus ist wunderschön, Wände sind die guten Bäume, die im Kreise um uns stehen. / Heute sind wir Gast im Wald, wo wir viel entdecken, unter seinem grünen Dach, spielen wir Verstecken.‹
Heute scheint die Sonne und als Erstes gehen Cosmo und seine Freunde nach Draußen. Das ist immer aufregend, denn im Regenbogenwald gibt es so viel zu erleben: klettern und Hütten bauen und mit Wasser zwischen den Wurzeln der Bäume in der Erdwelt toben. Cosmo und Maxi spielen im grünen Gerüst Fangen. Die Zeit vergeht wie im Fluge und die Matschhose leistet ihren ihr zugedachten Dienst. Die beiden wissen gar nicht mehr, ob sie Drinnen oder Draußen sind.
Der Höhepunkt seines Tages ist die Gartenstunde. Cosmo will einmal Gärtner werden. Da ist er sich ganz sicher. Er liebt es, jeden Tag im Gewächshaus zu nachzuschauen, ob die Kräuter, die sie in der letzten Woche gepflanzt haben, wieder ein paar Zentimeter gewachsen sind. Maxi, seine beste Freundin, findet das sterbenslangweilig. Sie klettert lieber im grünen Gerüst. Sie will Artistin werden. Cosmo überlegt, ob sie vielleicht zusammen ›Gartenartisten‹ oder ›Zirkusgärtner‹ werden können, wenn sie groß sind. Wie wohl das Haus aussehen müsste, in dem sie dann arbeiten? Sicherlich so wie das Regenbogenland. Oder ganz ähnlich. Zum Mittag gibt es Nudeln mit Gemüse. Cosmo mag eigentlich kein Gemüse. Das denkt Mama zumindest. Aber im Waldbistro schmeckt es ihm einfach besser. Er hat den Zucchinis beim Wachsen zuschauen können. Vielleicht liegt es daran…«

Gewächshaus (Visualisierung: blrm)
Welche Materialstrategie schlagen Sie vor?

Da wir heute noch nicht wissen, welches Material uns letztlich zur Verfügung stehen wird, ist eine gut vorbereitete »Bauteiljagd« ein wesentlicher Bestandteil der Materialstrategie. Beide Implementierungsmethoden werden zur Anwendung kommen – wir planen und suchen dann ein spezifisches Bauteil, oder wir finden ein Bauteil und übernehmen es dann in die Planung. 
Zudem wird es das Ziel sein, in der Region Darmstadt geeignete Bauelemente zu identifizieren, um die Transportwege kurzzuhalten. Dazu eröffnen sich weitere Fragestellungen und Herausforderungen, die das Planen für einen öffentlichen Auftraggeber mit sich bringen: Wie können wir den öffentlichen Ausschreibungsanforderungen in einem solchen Projekt gerecht werden? Wer übernimmt Gewährleistungspflichten? Aber wir sind guter Dinge, Lösungen für unser Vorhaben zu finden: Wir haben unsere Bauherrenvertreter als sehr motiviert und ambitioniert kennengelernt, die bereit sind, auch mal ungewöhnliche Lösungen mitzugehen. 

Recycling (Piktogramm: blrm)
Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?

Ein Fertigstellungstermin ist für 2027 vorgesehen. Zu diesem Zeitpunkt haben wir allerdings lediglich einen groben Rahmenterminplan erstellt, der gerade den frühen Leistungsphasen und der Bauteilsuche genügend Zeit gibt. 

Kinder- und Jugendhaus Havelstraße in Darmstadt
Nicht offener Wettbewerb
 
Auslobung: Jugendamt der Wissenschaftsstadt Darmstadt, vertreten durch Eigenbetrieb Immobilienmanagement
Betreuung: Bäumle Architekten | Stadtplaner, Darmstadt
 
Jury
Dr. Eckart Rosenberger, Fellbach | Thilo Höhne, Darmstadt | Prof. Joachim Raab, Frankfurt am Main | Bernhard Wondra, Mannheim |Kathrin Radicke, Stadt Darmstadt | Martin Bausch, Stadt Darmstadt | Julia Hau, Stadt Darmstadt
 
1. Preis
blrm Architekt*innen GmbH, Hamburg | Jannes Wurps, Prof. Volker Halbach
Mitarbeit: Lara Diederichs, Anastasiia Stiekhina
 
2. Preis
raum-z architekten gmbh, Frankfurt am Main | Dennis Nikolaisen
Mitarbeit: Hendrik Dittma, Katharina Grimm, Markus Urbansky, Tom Kremer
Visualisierung: loom Architekturkommunikation
Modell: Andreas Gregori MAD Modellbau
 
3. Preis
heimspiel architekten Matzen Kampherbeek PartGmbB, Münster | Marc Matzken
Mitarbeit: Daniel Tronich, Jonas-David Dichmann, Anne Elshoff, Arnold von Storp

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