-273°C in Berlin
Rohdecan Architekten haben mit dem Walther-Meißner-Bau das neue Tieftemperaturzentrum der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Berlin fertiggestellt. Tobias Bronner beantwortet unsere Fragen.
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?Als das metrologische Staatsinstitut der Bundesrepublik Deutschland definiert die Physikalisch-Technische Bundesanstalt am Standort Berlin allgemein gültige Maße und Messmethoden. Im neuen Tieftemperaturzentrum werden die Forschungs-, Entwicklungs- und Kalibrierarbeiten auf dem Gebiet der Thermometrie und Messtechnik im Temperaturbereich von 0° Celsius bis zum absoluten Temperaturnullpunkt (-273° Celsius aka 0° Kelvin) durchgeführt. Dafür entstand im historischen PTB-Campusgelände in Charlottenburg der neue Walther-Meißner-Bau als Ersatz für ein Bestandsgebäude von 1911, welches den aktuellen Anforderungen an Temperaturkonstanz und Schwingungsanforderungen nicht mehr gerecht wird.
Durch seine moderate Höhe vermittelt der kompakte Neubau zwischen den angrenzenden Bestandsgebäuden. Die mit differenzierten Klinkern ausgebildete Außenhaut nimmt mit ihren ausgeprägten Deckenbändern Bezug auf die Gesimse der historischen Nachbargebäude. Flächig im wilden Verband gemauerte Deckenbänder kragen leicht aus und bilden die unterschiedlichen Geschosshöhen an der Fassade sichtbar ab.
Sonderbereiche mit besonderen Funktionen wie der Eingangsbereich, Seminarraum und Kommunikationsbereich vor dem Seminarraum werden mit großformatigen Öffnungen abgebildet um die gebäudeübergreifende Kommunikation zu stärken.
Die Fassadengestaltung des Gebäudes vereint Präzision mit Poesie und bildet eine ästhetische Hülle für die technischen und räumlichen Anforderungen.
Mauerwerksstreifen aus schattenwerfenden Klinkerformsteinen, die durch verschiedene Ausformungen unterschiedliche Helligkeiten erzeugen, wechseln sich mit Fenstern und Sonnenschutzelementen aus Streckmetall ab. Die dadurch entstehenden Assoziationen zu Messreihen korrelieren mit den unterschiedlichen Funktionsbereichen der Messräume.
Der Grundriss ist klar als Dreibund mit im Süden gelegener Messraumspange und nach Norden orientierter Bürospange um den zentralen Kern herum organisiert, den dreistöckigen Raumverbund, welcher mit dem Kryostaten das Herzstück des Gebäudes bildet.
Die Bauaufgabe des Walther-Meißner-Baus ging aus einem nichtoffenen Realisierungswettbewerb nach RPW 2013 hervor. Rohdecan Architekten belegten den 1. Platz.
Das Haupttreppenhaus als Begegnungsraum mit der Installation ›Leiter der Welt‹ von Heidi Sill (Foto: Markus Löffelhardt)
Das Gebäude wurde gemäß den Anforderungen konzipiert, um Forschungsarbeiten bei konstanter Temperatur und störungsfreien Bedingungen durchzuführen, um exakte Messergebnisse zu erzielen. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Minimierung der Restschwingungen gelegt. Die Umsetzung basierte auf Schwingungs- und Verformungsgutachten. So wurde das Gebäude als schwingungsarmer Massivbau mit entsprechender Dimensionierung von Decken, Bodenplatte, tragenden Fassaden und Längswänden in Ortbetonbauweise realisiert. Die im Erdgeschoss angeordnete Arbeitsgruppe erhielt ein im UG aufgestelltes, ca. 75 m3 großes geschosshohes Einzelfundament mit Glasfaserbewehrung zur Positionierung des Kryostaten. Das 2. Obergeschoss beherbergt einen Grau- und einen Reinraum.
Gestalterische und Funktionale Anforderungen waren bereits für den Wettbewerb definiert. Im Verlauf der weiteren Planung wurden aktualisierte Nutzeranforderungen wie z.B. der Aufstellort des Rasterelektronenmikroskops und Reinraumanforderungen bezüglich der Ausbildung von Druckdecken- und Schleusen vom Auftraggeber und Nutzer abgestimmt und ins Projekt eingebracht.
Im Rahmen der Planungsabstimmungen wurden insbesondere die jeweiligen Geschosshöhen auf die nutzerseitige Ausstattung abgestimmt sowie ein Zentralschacht ergänzt, der eine unmittelbare Erschließung sämtlicher Messräume in der Kernzone ermöglicht.
Die eingesetzten Materialien wurden gem. Ihren Eigenschaften bewusst ausgewählt um einen möglichst langlebigen und störungsfreien Betrieb zu ermöglichen.
Im Büro werden mittlerweile alle aktuell geplanten Bürogebäude nach DGNB-Standard gold sowie Bildungs-, Forschungs- und Laborgebäude nach BNB-Standard gold geplant und zertifiziert. Zirkuläres Bauen ist derzeit leider nur ein unwesentlicher Faktor der genannten Gold-Standards. Wir beschäftigen uns aber schon intensiv damit, weil wir uns mit den Bauherren darüber bereits im Dialog befinden und damit rechnen, dass die Zertifizierungstandards demnächst das Thema Zirkuläres Bauen stärker in den Fokus rücken und sich alsbald verbindlich durchsetzen werden.
2022
Abbestraße 2-12
10587 Berlin, Charlottenburg
Nutzung
Laborgebäude
Auftragsart
Beschränkter Realisierungswettbewerb mit Bewerbungsverfahren nach RPW, LPh 1-9 HOAI
Bauherrschaft
Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
Architektur
Rohdecan Architekten GmbH, Dresden
Verfasser: Canan Rohde-Can, Eckart Rohde
Projektleitung: Tobias Bronner
Mitarbeit: Volkmar Damm, Bernd Kornberger, Johannes Bürger, Tracy Adrian, Martin Schulte-Frohlinde
Fachplaner
TGA, Laborplaner: pgmm
Schallschutz und Raumakustik: Akustik-Ingenieurbüro Moll GmbH
Tragwerksplanung: Leonhardt, Andrä und Partner Beratende Ingenieure VBI AG
Kunst am Bau
Heidi Sill ›Leiter der Welt‹
Adaption der freien Schwingung von Molekülen entlang der Temperaturmessskala wurde mit farbigen Glaskugeln visualisiert
Ausführende Firmen
Rohbau: Otto Heil
Fensterelemente: Holzbau Becker 360
Klinker: Klinkerzentrum Roland Weigel
Innenausbau: Kaefer Construction
Hersteller
Fassadenbekleidung: GIMA Klinker
Bruttogeschossfläche
6558 m²
Gesamtkosten
ca. 41.700.000 €
Fotos
Koy + Winkel (Fassade)
Markus Löffelhardt (Innenräume)