Schulerweiterung in Holz-Beton-Hybridbauweise

a+r Architekten
17. April 2024
Blickfang am Haupteingang: Das spitz zulaufende Dach im Eingangsbereich verleiht der schlichten Kubatur des Erweiterungsbaus der Grundschule Stuttgart-Stammheim eine markante Note. (Foto: Brigida González)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Der Erweiterungsbau für die Grundschule Stuttgart-Stammheim musste passgenau auf dem zur Verfügung stehenden Grundstück auf dem Schulcampus entworfen werden. Die clusterförmige Organisation des Grundrisses als innovatives und zukunftweisendes Raumkonzept, die eine zeitgemäße pädagogische Arbeit fördert, stand dabei im Vordergrund. Der sich daraus entwickelte rautenförmige Grundriss mit seinen abgeschnittenen und abgerundeten Ecken stellt eine besondere Herausforderung im Holzbau dar. 

Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?

Die Inspiration lag vor allem im Ort des bestehenden Schulcampus, mit dem alten Schulhaus direkt daneben und den groß gewachsenen Bäumen auf dem Schulhof. Der Erweiterungsbau mit seiner weichen Kontur und der naturnahen Holzfassade entwickelt sich aus den Gegebenheiten vor Ort und fügt sich harmonisch ein. 

Nachhaltig: Der Erweiterungsbau wurde um den Baumbestand herum geplant. Alle Bodenbeläge sind vollständig sickerfähig. (Foto: Brigida González)
Die Fenster der Klassenräume haben eine 80 cm hohe Brüstung, die übrigen Fenster sind bodentief. Durch die unterschiedlichen Fensterformate entsteht eine differenzierte Fassadengestaltung. (Foto: Brigida González)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Das Gebäude integriert sich östlich des Hauptgebäudes an der Burtenbachstraße in den bestehenden Schulkomplex auf dem bestehenden Pausenhof. Sein rautenförmiger Grundriss entsteht durch die geometrischen Randbedingungen der Nachbarbebauung und nutzt die begrenzte Fläche des Grundstücks optimal aus, um möglichst viel Freifläche für die Pausenhofnutzung zu erhalten.

Haben Sie den Auftrag über einen Wettbewerbsbeitrag oder direkt erteilt bekommen?

Den Auftrag erhielten wir über ein Verhandlungsverfahren 2018.

Welche besonderen Anforderungen wurden gestellt? Wie haben Sie diesen im Projekt Rechnung getragen?

Der Neubau sollte in Holzbauweise konzipiert werden. Die größte Herausforderung dabei war, das Bauvolumen so zu gestalten, dass der Ergänzungsbau baurechtlich der Gebäudeklasse 3 zugeordnet wird. Bei einer höheren Gebäudeklasse wären die Anforderungen an Brandschutz um ein Vielfaches höher geworden. 

Die damit einhergehende Höhenbeschränkung – die oberste Fußbodenhöhe muss unter sieben Meter Höhe liegen – ergab, dass sich die jeweiligen Geschosshöhen des dreistöckigen Baus auf 3,50 Meter beschränken musste. Um ausreichend lichte Raumhöhen für die Schulräume zu schaffen, durften die Decken mit nur maximal 30 Zentimeter Konstruktionshöhe ausgeführt werden. 

Möglich war dies für die weit gespannten Decken in den Klassenzimmern – kombiniert mit der nicht orthogonalen Grundgeometrie des Neubaus – nur mit einer Holz-Beton-Verbunddecke (HBV). Um die Tragfähigkeit weiter auszureizen, wurde bei den HBV-Decken mit sogenannten Kerven gearbeitet. Diese sind ein geometrischer Formschluss, bei dem in die Holzlage Aussparungen eingearbeitet werden, und die Ortbetondeckung sich dann in den Einkerbungen »verhakt«.

Das Haupttreppenhaus präsentiert sich mit seiner markanten, fensterlosen und großflächig gerundeten Auskragung in der Fassade als prägendes Gestaltungselement. Im Inneren verbindet die geschwungene Form Funktionalität und Ästhetik. (Foto: Brigida González)
Eleganz ohne Stützen: Das Haupttreppenhaus besticht durch sein großzügiges Treppenauge ohne störende Stützen und die Treppenbrüstungen aus massiven Weißtannenlamellen, die – zu gebogenen Scheiben verleimt – mit den Treppenläufen verbunden sind. (Foto: Brigida González)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?

Der Entwurf wurde in enger Abstimmung mit der Bauherrschaft und den Nutzer*innen entwickelt und abgestimmt. Anders als bei einem klassischen Wettbewerbsentwurf musste der Entwurf erst nach Beauftragung erarbeitet werden.

Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Zu Beginn des Projektes gab es den Wunsch der Bauherrschaft, das Gebäude als Modulbau zu konzipieren. Die Gegebenheiten vor Ort mit dem begrenzten Baufeld erforderten jedoch schnell eine individuelle Planung mit der nun eigenständigen Form.

Das helle, naturbelassene Weißtannenholz an Wandflächen und Einbaumöbeln schafft eine warme und natürliche Ästhetik. (Foto: Brigida González)
Inwiefern haben Sie im Projekt die Verwendung von Naturbaustoffen und zirkulären Baustoffen angestrebt?

Durch die Entscheidung das Gebäude so zu konzipieren, dass es baurechtlich der Gebäudeklasse 3 zugeordnet werden kann, konnten weitgehend alle Bauteile aus Holz mit holzsichtigen Oberflächen geplant und realisiert werden. Von außen präsentiert sich der Erweiterungsbau als eine Kombination aus großen Glasflächen und geschlossenen hellgrauen Holzpartien aus Weißtanne. Die vertikale Holzlattung wird durch eine horizontale Gliederung strukturiert: So wechseln sich breite Bänder mit schmalen Holzlatten und schmale Bänder mit breiten Holzlatten ab, wodurch eine Dynamik entsteht, die im Zusammenspiel mit den unterschiedlichen Fensterformaten eine differenzierte Fassade bildet.

Innen findet sich das helle, naturbelassene Holz der Weißtanne an den Wandflächen, Einbaumöbeln und der Treppenbrüstung wieder. Das Holz schafft eine warme, natürliche Ästhetik und ist zudem eine architektonische Besonderheit, da die Wände durch ihre zweischalige, schallentkoppelte Konstruktion die hohen baurechtlichen Schallschutzanforderungen erfüllen.

Welche digitalen Instrumente haben Sie bei der Planung eingesetzt?

Unsere Projekte werden standardmäßig in der BIM-Methodik mit unterschiedlichem Level im Büro geplant. Beim Projekt des Erweiterungsbaus wurden sämtliche Innenräume in unterschiedlichen Varianten visualisiert und mit der Bauherrschaft und den Nutzer*innen abgestimmt.

Welche Überlegungen stecken hinter den Entscheidungen für die eingesetzten Materialien?

Die Entscheidung den Neubau in einer Holz-Beton-Hybridbauweise zu errichten, folgt dem Ziel den CO2-Verbrauch beim Bauen deutlich zu reduzieren und einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten. Das Gebäude wurde nach den Nachhaltigkeitskriterien des Landes Baden-Württemberg errichtet, die zukunftsverträglichen Bauweisen fördern und die ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Qualitäten von Gebäuden stärken sollen.

Ein dreigeschossiges Schulgebäude mit einem modernen clusterartigen Grundriss ist aktuell eine häufig benötigte Bauaufgabe. Dazu dient der Erweiterungsbau der Bauherrschaft als beispielgebendes Projekt, bei dem die Fragen der Gebäudeklasse im Zusammenspiel mit der Bauweise in Holz untersucht wurde. 

Die Garderoben aus hellem Weißtannenholz sorgen für eine freundliche Atmosphäre und bieten viel Stauraum. Jeder Klassenraum hat sein eigenes Garderobenelement. (Foto: Brigida González)
Beschäftigten Sie sich im Büro mit den Tendenzen des zirkulären Bauens und der sozialen Nachhaltigkeit?

Wir haben uns als Büro das Ziel gesetzt, mit unseren Projekten und unserer Arbeit einen wesentlichen Beitrag in Richtung CO2-neutralem Bauen zu leisten. Dabei spielen Fragestellungen des zirkulären Bauens und der sozialen Nachhaltigkeit eine entscheidende Rolle. Angefangen vom Erhalt und Umnutzung von Bestandsstrukturen über Re-Use von vorhandenen Materialien bis hin zu Überlegungen der Wiederwendung von Strukturen und Ressourcen in der Zukunft. Dazu findet aktuell eine intensive Beschäftigung, wie unsere Planungsmethoden (BIM) angepasst und erweitert werden müssen, um die Themen der Nachhaltigkeit (CO2-Ermittlung, Materialpass etc.) entsprechend standardmäßig abbilden zu können, statt.

Lageplan Erweiterung Grundschule-Stammheim (Zeichnung: a+r Architekten)
Grundriss Erdgeschoss Erweiterung Grundschule-Stammheim (Zeichnung: a+r Architekten)
Schnitte Erweiterung Grundschule-Stammheim (Zeichnungen: a+r Architekten)
Erweiterungsbau Grundschule Stuttgart-Stammheim, Bauabschnitt 3
2023
Fliegenweg 2/4
70439 Stuttgart

Auftragsart
Einzelvergabe nach Verhandlungsverfahren 2018
 
Bauherrschaft
Hochbauamt Stuttgart
 
Architektur
a+r Architekten, Stuttgart

Fachplaner
HLS-Planer: EFG Engineering Facility Group, Stuttgart
Elektroplaner: Raible+Partner GmbH & Co. KG, Dietzingen
Statik: wh-p GmbH, Stuttgart
Baupysik und Brandschutz: Kuhn Decker GmbH & Co. KG, Sindelfingen
Landschaftsarchitekt: Mundsinger + Hans, Ostfildern

Ausführende Firmen
Möblierung: Schreinerei Brändle, Pliezhausen - Rübgarten, VS-Möbel
Holz-Alu Fenster: Scheifele Fenster und Innenausbau, Nellingen
Bodenbelag: Raumausstattung Stark, Bad Liebenzell
Trockenbau: TM Ausbau GmbH, Stuttgart
Heizung Sanitär: Schwämmle GmbH, Ostfildern
 
Hersteller
Bodenbelag: Kautschuk, nora/ noraplan unita 7102
Putz/Wandbeschichtung innen/außen: Fa. Adler, Holzlasur
Deckensysteme, Akustikdecken: Vogl Deckensysteme
Beleuchtung: Zumtobel, Claris Evo / Lightnet
Trennwandsysteme: Möbel Graf
Lichtschalter: Jung 500
 
Bruttogeschossfläche
3.081 m²
 
Gebäudevolumen
11.379 m³

Gebäudekosten
6.945.748 € KG 300/400 brutto
 
Fotos
Brigida González

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