Neunutzung eines Kornversuchsspeichers
AFF Architekten haben den Kornversuchsspeicher in Berlin so umgebaut, dass hier nun moderne Büroflächen sowie öffentlich zugängliche Bereiche Platz finden. Ulrike Dix und Sina Riedlinger beantworten unsere Fragen zum Projekt.
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?Herausfordernd war der ständige Umgang mit dem Experiment: Der Kornversuchsspeicher per se ein Experimentalbau, was die Erforschung von Getreidelagerung betraf aber auch baukonstruktiv als Zeuge der frühen Anfänge im Betonbau. Das ursprüngliche Lagergebäude von 1897 wurde 1910 um ein Bauteil erweitert, das in seiner kompletten Tragkonstruktion aus Ortbeton hergestellt wurde und denkmalpflegerisch als ein Pionierbau eingestuft wird. Nach einem Brand wurde auch die innere hölzerne Tragkonstruktion des älteren Teils des Backsteingebäudes durch eine Betontragkonstruktion ersetzt.
Der damaligen Zeit und Erfahrung geschuldet, brachte die Bestandskonstruktion einige Schwachstellen mit sich, die es in der Sanierung herausfordernd machten. Und natürlich das Experiment der Nachnutzung: Markante Deckenstrukturen mit trichterförmigen Betonschütten, einschränkende Deckenhöhen, wenig Tageslichteintrag über die kleinen Speicherfenster waren der Ausgangspunkt für strategische Überlegungen einer denkmalverträglichen Umnutzung. In Abstimmung mit der Denkmalpflege haben wir einen Katalog von räumlichen und konstruktiven Interventionen entwickelt, um diese überhaupt zu ermöglichen.
Die historische Klinkerfassade wurde aufgearbeitet, gereinigt und an wenigen Fehlstellen ergänzt. Die historischen Fenster wurden erneuert und die Außenwände innenseitig gedämmt. Die Betontragstruktur der Fassade des Erweiterungsbaus wurde aufwendig saniert, da hier die jahrelange Bewitterung zu erheblichen Schäden geführt hatte. Ausfachungen wurden teilweise durch markante, großformatige Verglasungen ersetzt.
Teilbereiche der Bestandsdecken im jüngeren Bauteil mussten herausgeschnitten werden, da die erforderliche Raumhöhe nicht gegeben war. Eingestellte Galerieebenen als Stahlkonstruktionen zonieren den Raum und erzeugen qualitätsvolle Arbeitsbereiche auf zwei Ebenen und machen erst so den besonderen Raumeindruck unter den Trichterspeicherdecken erlebbar.
Ein neuer Erschließungskern zwischen beiden Bauteilen birgt ein geschossübergreifendes Treppenhaus und Aufzüge sowie Sanitärbereiche und Technikräume. In horizontaler Schalung wird hier die Gestaltung der Mauerwerksfugen in Stahlbeton übertragen.
Ein wichtiger Bestandteil des Projekts ist die Dachaufstockung. In der Bearbeitung fanden wir eine historische Schnittzeichnung, die das Gebäude mit einem entstehungszeitlichen Laternendach darstellt. Damit konnten wir eine klare Argumentationskette für die Aufstockung der Firsthöhe auf den historischen Zustand entwickeln. In der Umsetzung formuliert sich der Dachaufbau als monolithische Fortsetzung der Bachsteinfassade jedoch ermöglicht die lineare Strukturierung vor- und rückspringender Klinkerlagen eine klare Ablesbarkeit zwischen Neu und Alt. Dies wird in der charakteristischen Giebelkontur sichtbar.
Im Zuge der Entwicklung der Europacity hat sich die Gegend um den Kornversuchsspeicher extrem verändert. Aus einer innerstädtischen Brache wurde ein neues Wohnquartier, was gewissermaßen seine Identität noch entwickeln muß. Das alte Speichergebäude hat durch die Aufstockung an stadträumlicher Dominanz gewonnen und gibt dem Quartier durch seinen selbstverständlichen »Habitus« und die Patina der Fassaden etwas Nahbares und Authentisches. Ein öffentliches Raumangebot im Erdgeschoss soll es auch zu einem Ort der Nachbarschaft machen.
Es gab ein Verfahren, an dem mehrere Büros konkurrierend beteiligt waren und aus dem wir im Ergebnis direkt beauftragt wurden.
Die besonderen Anforderungen lagen in der aufwendigen Sanierung des Betontragswerks, der extrem durch Bewitterung zerstörten Betonfassadenstruktur und der Herausforderungen im Umgang mit wärmeschutztechnischer Konditionierung der Aussenbauteile.
Die entstehungszeitlich eingeschränkten Herstellungskompetenzen im Betonbau kamen erst mit fortschreitendem Bauprozess zum Vorschein und verursachten erhöhte Herausforderungen im Bauablauf. Mangelhafte Überdeckungen, Ablösung kompletter Untergurtbetone der Stahlbetonträger und fehlende bzw. nicht fachgerechte Bewehrungsführungen sorgten immer wieder zu Überraschungen.
Zur Herstellung des gültigen Brandschutz- und Dauerhaftigkeitsnachweises musste die erforderliche Betonüberdeckung im Spritzbetonverfahren aufgebaut und die Geometrie der Schütten komplett nachmodelliert werden.
Wir dokumentieren unsere Haltung und Handschrift zu den Themen Nachhaltigkeit und zirkuläres Bauen unter dem Titel AFF sustainable reality.
Dabei bilden für uns bisher eine Reihe einzelner Entwurfsansätze und Umsetzungen kleine Teile zum Ganzen. Wir erlauben uns aber nicht diese vordergründig unter dem Thema der Nachhaltigkeit zu bewerten, da wir aus Erfurcht einer globalen Betrachtung die Sinnhaftigkeit nicht einschätzen bzw. nachweisen können oder diese vielleicht sogar in Frage stellen müssten. Vielmehr geht es uns darum in Realität zu beleuchten, welchen Aufwand es bedarf, Baumaterialien oder Objekte nachzunutzen aber auch, welchen ästhetischen Reiz es ausmacht sich dem zu widmen. Dabei beschäftigen wir uns mit konkreten Lösungsansätzen und entwickeln teilweise im Maßstab 1:1 notwendige Details.
2023
Hedwig-Porschütz-Straße 20,
10557 Berlin
Nutzung
Büro, Kultur
Auftragsart
Generalplanung
Bauherrschaft
Adler Group
Architektur
AFF Architekten, Berlin
Fachplaner
Tragwerksplanung: ISKP Ingenieure, Berlin
Landschaftsplanung: capattistaubach urbane landschaften, Berlin
TGA: Passau Ingenieure GmbH, Berlin
Bauphysik: ISRW - Institut für Schalltechnik, Raumakustik, Wärmeschutz, Berlin
Brandschutz: CRP Bauingenieure GmbH, Berlin
Ausführende Firmen
Rohbau und Fassade: Zechbau GmbH
Ausbau Allgemein: Apleona R&M Ausbau Berlin GmbH
TGA: Apleona Wolfferts GmbH
Außenanlagen: Brock Garten- und Landschaftsbau GmbH
Hersteller
Beleuchtung Betonschütten: XAL
Beleuchtung Bestandstreppenhaus: Zumtobel
Bodenbeläge Allgemene Flächen: Chemotechnik
Bodenbeläge Empfang/Café: Terazzo-SIV
Dach: Wienerberger GmbH
Belag Dachterasse: Natur in Form
Fassade/Außenwand: Cerasaga Baukeramik
Fenster/Türen Fassade: Hueck System Gmbh & Co. KG
Schiebetüren Fassade DG/ EG: Solarlux
Fenster Innen EG: Aluflam Brandschutzelemente
Fliesen im Sanitär: Mosa
Heizung: Arbonia
RLT Anlage: AL-Ko, Wolf, Exhausto u.a.
RWA Anlage: STG Beikirch
Sanitärobjekte: Alape, Clage u.a
Zutrittssysteme: Dormakaba
Schalterprogramm Elektro: Jung
Sonnenschutz: Hella Sonnenschutztechnik GmbH
Türen Innen Holz: Hörmann
Türen Innen Alu-Glas: Schörghuber
Wäremedämung: Abakus
Bruttogeschossfläche
3.588 m²
Gebäudevolumen
12.520 m³
Gesamtkosten
k.A.
Auszeichnung
Deutscher Architekturpreis 2023 – Auszeichnung
Fotos
Tjark Spille