Schönheit der Stille

HARTKOPF denk mal architektur
30. August 2023
Blick aus der Westvorhalle durch die gesamte Kirche nach Osten. Der Kirchenraum erhielt u. a. nach historischem Vorbild einen neuen Estrichboden, die Wände und Natursteinflächen wurden überarbeitet und die Technik des Raumes erneuert. (Foto: Steffen Spitzner)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Die ehemalige Klosterkirche St. Marien ist nicht nur das Herz der Klosteranlage, die heute Kunstmuseum der Stadt Magdeburg ist. Sie ist eines der ältesten Bauwerke der Landeshauptstadt, eine Kirche im Übergang von Romanik mit Überformung ganz früher Gotik. Von hier aus haben Erzbischöfe Landespolitik betrieben, die Kirche hat unglaublich viel »erlebt«, war Grabstätte des Heiligen Norbert von Xanten, Kriegsschauplatz, stand ungenutzt leer, war Lager (in den Archiven wird von totem Vieh berichtet), später kamen Flüchtlinge und während der DDR wurde sie entweiht – über St. Marien könnten Krimis geschrieben werden!

Ich liebe diesen besonderen Ort, dessen Geschichte und Schönheit sich langsam über die Jahre ganz vorsichtig enthüllt hat. Das Projekt Klosterkirche St. Marien ist ein Herzensprojekt. Diese Aufgabe ist nicht über die gängigen Phasen der HOAI abzubilden. Vor Entwurf und baulicher Umsetzung lagen Jahre der Auseinandersetzung mit dem Raum, weil wir in den angrenzenden Räumen des Kunstmuseums bereits bauen durften.

Die große Idee war, dem Raum der ehemaligen Klosterkirche, der 1975 zu Konzerthalle umgewidmet wurde, etwas von seinem sinnlichen Klang, etwas von seiner Schönheit zurückzugeben. Dabei wollten wir in der Sprache unserer Zeit sprechen, aber mit handwerklicher Kunst und Baustoffen des Mittelalters (soweit sinnvoll) arbeiten. 

Blick aus dem Kirchenschiff über die neue Vierung in den erhöhten Chor. Hier wurde in mittelalterlicher Technik eine Grafik vom Künstler Martin Assig in Estrich inkrustiert, also mit dunklem Estrichmaterial eingearbeitet. Der Chorraum mit neuem Gewölbe schließt den Raum selbstverständlich nach Osten. (Foto: Steffen Spitzner)
Blick durch die Arkaden des Kreuzgangs auf die Türme der ehemaligen Klosterkirche St. Marien. Ein stiller Ort im lauten Trubel der Innenstadt. (Foto: Steffen Spitzner)
Haben Sie den Auftrag über einen Wettbewerbsbeitrag oder direkt erteilt bekommen?

Wir haben den Auftrag über ein europaweites VGV-Verhandlungsverfahren bekommen. Ich bin sehr froh, dass unser damals noch recht kleines Büro das Vertrauen des Bauherrn bekam, diese Aufgabe zu bewältigen. In unserem Fall gab es ein Budget und eine Richtungsidee für den Innenraum – viel von dem, was wir heute sehen, wurde nach der Verhandlung erarbeitet und gemeinsam mit allen Beteiligten zur Umsetzung gebracht.

Blick in die Krypta unter dem Ostchor. Der Raum hat fast 1000 Jahre nahezu unverändert überstanden, die angrenzende Grablege des Heiligen Norbert von Xanten hingegen wurde vielfach verändert und umgebaut. (Foto: Steffen Spitzner)
Blick von der Westempore in das Kirchenschiff mit neuer Vierung. Hier wurde in mittelalterlicher Technik ein Bild in Estrich inkrustiert, also mit Estrichmaterial eingearbeitet. Der erhöhte Chor mit neuem Gewölbe schließt den Raum nach Osten ab.Die nahezu 1000 Jahre alte Wendeltreppe in den Türmen ist jetzt für Besucher geöffnet. Um die alten sehr geschädigten steinernen Stufen zu schützen, wurde ein neuer Eichenbelag wie ein Teppich über den Stein gelegt. (Foto: Steffen Spitzner)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?

Ein Kunstmuseum – eine Klosterkirche. Ort der Bedeutung und der Sinnfragen. Hier hat sich eine wunderbare Museumsleitung in Persona von Frau Dr. Annegret Laabs immer wieder mit eingebracht, hinterfragt, eigene Aspekte eingebracht, mit gestaltet. Wir haben gemeinsam um und mit diesem Ort gerungen – ein ganz besonderes und intensives Arbeiten! Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrung.

Alte Narben wie der Teilverlust des Kapitels sind eingebunden in eine ruhige Gesamtgestaltung des Raumes und erzählen Geschichte. (Foto: Steffen Spitzner)
Mit der Neueinwölbung im Chor wurde der letzte große Kriegsschaden beseitigt. Die Gestaltung der Fenster interpretiert den originalen Zustand. (Foto: Steffen Spitzner)
Inwiefern haben Sie im Projekt die Verwendung von Naturbaustoffen und zirkulären Baustoffen angestrebt?

Denkmalpflege ist per se geprägt von Nachhaltigkeit. Wenn wir bauen wie unsere Vorfahren, verwenden wir weder Kunststoffe noch Kleber noch kurzlebige Materialien. Das wäre Verschwendung und viel zu teuer. 

Natürlich leben wir heute mit allen Anforderungen unserer Zeit – Brandschutz, Temperierung, Licht, Haustechnik… Da kamen wir nicht umhin, moderne Materialien zu verwenden. Aber alle anderen Baustoffe wurden wie vor hunderten von Jahren genutzt: Sandstein, gebrannter Ziegel, vor Ort gelöschter Kalk, Eichenholz, Gipsestrich nach dem Vorbild der 1000jährigen Gipsböden im Harz… alles kann recycelt oder wiederverwendet werden.

Dabei haben wir darauf keinen expliziten besonderen Wert gelegt – konsequente Denkmalpflege benutzt automatisch Naturbaustoffe und verzichtet auf kurzfristige Lösungen. Dies ist eine beglückende und hoffnungsvolle Erkenntnis. Wir können von den Vorfahren nicht nur über Schönheit von Proportion und Bau lernen. Es gibt auch Ansätze für die nächsten Generationen zum Thema ressourcenschonendes, umweltgerechtes und gesundes Bauen… 

Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen. Ansicht Klosterkirche, Westklausur mit Spiegelklappen und Nordflügel mit neuer Ausstellung unter dem Dach. (Foto: Steffen Spitzner)
Welche digitalen Instrumente haben Sie bei der Planung eingesetzt?

Es gab kaum digitale Instrumente in der Planung, die über die normale Bürosoftware hinausgeht. BIM war nicht zielführend, da die Klosterkirche im Bestand nicht BIM-gerecht aufgenommen war. Wir haben fast alle Lösungen handwerklich erarbeitet, am physischen Modell und vor Ort im Raum überprüft. 

BIM ist großartig im Hinblick auf neues Bauen, es kann jedoch nicht in jeder Bestandsplanung als Lösung angesetzt werden. 

Lageplan (Zeichnung: HARTKOPF denk mal architektur)
Lageplan (Zeichnung: HARTKOPF denk mal architektur)
Grundriss (Zeichnung: HARTKOPF denk mal architektur)
Schnitt (Zeichnung: HARTKOPF denk mal architektur)
Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen, Magdeburg
Ehemalige Klosterkirche St. Marien
2022
Regierungsstraße 4-6
39104 Magdeburg
 
Auftragsart
Sanierung Klosterkirche mit Neueinwölbung Chor
 
Bauherrschaft
Landeshauptstadt Magdeburg
 
Architektur
HARTKOPF denk mal architektur, Südharz/Bennungen
Projektleitung: Prof. Regine Hartkopf
Mitarbeit: Tino Schultze, Kati Ziemann, Katja Weise
 
Fachplaner
Ingenieurbüro Elektrotechnik Kist, Burg
Anke Augsburg Licht, Leipzig
Hekuma TGA, Magdeburg
Ing-Büro Bautechnischer Brandschutz Schmöller, Leipzig
 
Ausführende Firmen
Gewölbebau: Steinservice Meyer, Magdeburg
Natursteinarbeiten: Paul Schuster GmbH Magdeburg
Fenster: Glasmalerei Peters Paderborn
Estrich und Tischler: Denkmalpflege Mühlhausen
Gerüstbau: Paul Becker GmbH Leipzig
 
Hersteller
Keine vorgefertigten Produkte, alles Naturbaustoffe – Naturstein, Ziegel, Kalkmörtel, Glas mit Bemalung als Sonderanfertigung, Eiche, Türen Sonderlösung…
 
Gesamtkosten
4.200.000 €
 
Auszeichnung
Auszeichnung im Rahmen Architekturpreis Land Sachsen-Anhalt 2023 
 
Fotos
Steffen Spitzner

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