Robust und für das Wesentliche

larob.studio für architektur
2. August 2023
Eingangssituation / Südseite (Foto: Timo Kemmner)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Die Bauaufgabe einer Kindertagesstätte birgt die besondere Herausforderung, eine pädagogisch wertvolle, sichere und anregende Umgebung zu schaffen, die den Bedürfnissen von Kleinkindern gerecht wird und ihre Entwicklung unterstützt. Bei diesem Projekt gab es weitere Besonderheiten, die unsere Entwurfshaltung nachhaltig verändert und den Planungs- und Bauprozess der Kita signifikant beeinflusst haben. Es handelt sich um einen Ersatzneubau auf dem Grundstück einer abgerissenen Kindertagesstätte, die aufgrund von Rattenbefall geschlossen werden musste. Diese Situation führte zu einem plötzlichen Versorgungsengpass und verursachte große Not bei den Eltern im Stadtteil. Da eine schnelle Ersatzlösung seitens öffentlicher Träger nicht absehbar war, konnte die neue Kita nur dank des privaten Engagements aktiver Bürgerinnen, Mitglieder des örtlichen Waldheimvereins und uns als Architekten errichtet werden. Die Vereinsmitglieder organisierten Kredite, Mitstreiter, Befürworter, Handwerker und Fachplaner. Sie packten während des gesamten Planungs- und Bauprozesses mit an, wo immer es möglich war. Die Dringlichkeit des Projektes, der Selbsthilfecharakter sowie ein deutlich knapperes Budget als üblich waren Anlass, festgefahrene Entwurfsprinzipien zu überdenken und machen dieses Kitaprojekt deshalb für uns zu etwas ganz Besonderem.

Eingangssituation (Foto: Timo Kemmner)
Südseite (Foto: Timo Kemmner)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?

Für uns war die Frage nach dem Inspirierenden für Kinder wichtiger als die persönliche Inspiration. Wir sind der Überzeugung, dass Kinder weder die Noblesse formaler Reduktion noch ästhetische Mannigfaltigkeit oder gar vorgegebene Themen benötigen, um angeregt zu werden. Ein Haus zu entwickeln, wie es Kinder malen würden, erschien uns plausibel.

Das archaische Bild eines Hauses mit Giebel und Satteldach bildet daher nicht nur aus städtebaulicher Perspektive den Ausgangspunkt unserer Überlegungen. Form und Gestalt entsprechen den bereits gemachten architektonischen Erfahrungen und vermitteln ein Gefühl von Geborgenheit. Im Inneren entwickelt das Volumen aber überraschende und erlebnisreiche Raumsequenzen. Durch die Freitreppe verbindet sich der Neubau mit den bestehenden Außenanlagen und wird dabei selbst zum begehbaren Spielgerät.

Außentreppe (Foto: Timo Kemmner)
Westseite (Foto: Timo Kemmner)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Um möglichst viel Außenspielfläche zu erhalten, wurde der Neubau auf dem Grundriss des alten Gebäudes errichtet, aufgrund einer Programmsteigerung musste er jedoch deutlich höher konzipiert werden. dies stieß nicht bei allen in der Nachbarschaft auf Zustimmung. Außerdem wurde die Idee, eigenverantwortlich eine Kita zu finanzieren und zu bauen, nicht von allen Mitgliedern im Verein unterstützt.

Um den Fortschritt des Prozesses deshalb nicht unnötig zu gefährden, vermieden wir jegliche gestalterischen Extravaganzen, die zu langwierigen Debatten geführt hätten. Abgesehen von einer inszenierten Freitreppe zum Garten bedient der Entwurf übliche Sehgewohnheiten und vermittelt vertraute Bilder. Uns war wichtig, dass das Bauwerk nicht nur durch typologische Aspekte, sondern auch durch seine Anmutung einen Bezug zum Ort herstellt und im besten Sinne der Mentalität der Menschen im Stadtteil entspricht. Es sollte Bodenständigkeit und Pragmatismus ausstrahlen, sozial akzeptiert und kulturell geschätzt werden, außerdem mit zusätzlichen Raumangeboten eine Bereicherung für alle darstellen. Die Verankerung des Bauwerks im Ort war also eher eine soziologische als eine phänotypische Frage.

Fassadenausschnitt (Foto: Timo Kemmner)
Südseite im Winter (Foto: Timo Kemmner)
Welche besonderen Anforderungen wurden gestellt? Wie haben Sie diesen im Projekt Rechnung getragen?

Aufgrund der besonderen Situation, dass ein gemeinnütziger Verein als Investor für eine städtische Kindertageseinrichtung einsprang, musste das Projekt mit sparsamen Mitteln und in sehr kurzer Zeit und realisiert werden. Schließlich fehlte es vor Ort an vielen Kitaplätzen. Zudem mussten die Mieteinnahmen schnellstmöglich fließen, damit der Verein den fälligen Kredit bedienen konnte. Von Anfang an waren wir in die Verhandlungen mit der Stadt eingebunden und konnten aktiv an der Projektentwicklung mitwirken. Nachdem das Liegenschaftsamt der Stadt Stuttgart im Sommer 2020 als Träger für die neue Kindertagesstätte gewonnen werden konnte, begannen wir zusammen mit dem Vereinsvorstand tatkräftig an der Umsetzung des Vorhabens zu arbeiten. Bereits Ende September 2020 präsentierten wir den Entwurf. Anfang November wurde die Realisierung des Projekts von den Vereinsmitgliedern in einer Sondersitzung mit großer Mehrheit beschlossen, sodass wir kurz vor Weihnachten 2020 den Bauantrag einreichen konnten. Da bereits im März 2021 die Baugenehmigung vorlag, konnte das Projekt im August 2022, nach nur 14 Monaten Bauzeit fertiggestellt und offiziell an die Stadt Stuttgart als Betreiberin übergeben werden.

Spielflur (Foto: Timo Kemmner)
Gruppenraum, Galerietreppe (Foto: Timo Kemmner)
Mehrzweckraum (Foto: Timo Kemmner)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Das Projekt wurde von Beginn an im engen Dialog mit dem Bauherrn, und den Ämtern der Stadt Stuttgart als Betreiberin der Kindertagesstätte entwickelt. Aufgrund des knappen Zeitrahmens und der begrenzten Baukosten, konnten größere Anpassungen durch den kontinuierlichen Austausch im Projektteam vermieden werden. Die größte Veränderung des Projekts kam durch die erforderliche Gründungstiefe zustande. Das Bodengutachten, welches erst nach Abbruch der bestehenden Kita erfolgen konnte, zeigte, dass Tiefgründungen für das Gebäude erforderlich waren. Damit war die Idee einer Teilunterkellerung mit innovativer Eisspeicheranlage geboren, die wir dann auch so umsetzten.

Die Coronakrise und der Ukrainekrieg und die damit verbundenen Preissteigerungen und Rohstoffknappheiten führten zudem zu Anpassungen im ursprünglichen Materialkonzept. Da gewisse Produkte nicht verfügbar waren oder schlichtweg nicht im Kostenrahmen lagen, mussten wir an einigen Detailpunkten umdenken: Form follows availability.

Das Konzept sah ohnehin von Beginn an vor, sich dem Detail mit einer gewissen Gelassenheit zu widmen und größere Verausgabungen diesbezüglich zu vermeiden. Das Gebäude sollte sich als robustes Haus, allen Unwägbarkeiten zum Trotz, vor allem auf das Wesentliche konzentrieren: Spiellandschaft für Kinder zu sein. Die gestaltprägende Außentreppe spielt dabei eine große Rolle.

Lageplan (Zeichnung: larob.studio für architektur)
Grundriss Obergeschoss (Zeichnung: larob.studio für architektur)
Schnitt (Zeichnung: larob.studio für architektur)
Kindertagesstätte Am Bergwald
2022
Am Bergwald 19
70329 Stuttgart
 
Auftragsart
Direktauftrag
 
Bauherrschaft
Waldheimverein-Hedelfingen e.V. 1912, Stuttgart
 
Architektur
larob. studio für architektur, Stuttgart
Prof. Michel Roeder, Matthias Baisch
Team:  Prof. Michel Roeder, Matthias Baisch, Sven Gritzbach, Daniel Mesch, Marcel Braun
 
Fachplaner
Vermessungsleistungen: Aichinger, Ingenieurbüro für Vermessung PartG
Baugrunderkundung: Dr. Alexander Szichta, Geologische BeratungsGmbH
Brandschutz: Ralf Kludt Dipl. Ing. (FH) IngenieurGmbH
Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Weitbrecht
HLS-Planung: Ingenieurbüro Clauss+Partner
Bauphysik: Cape - climate architecture physics energy
 
Ausführende Firmen
Gerüstbauarbeiten: KR Gerüstbau
Rohbauarbeiten: Ok-Bau GmbH Co. KG
Zimmererarbeiten: Bechstein Holzbau GmbH
Klempnerarbeiten: Christian Ziegler
Fensterbauarbeiten: Gebrüder Neuffer Fensterfabrik GmbH
Innenputzarbeiten: Kraft GmbH
Fliesenarbeiten: von Au - Gehrung Fliesen GmbH
Gußasphaltestrich: Lautenschlager + Kopp GmbH & Co.KG
Schreinerarbeiten: Ausbauexperten Stuttgart GmbH
Sonnenschutzarbeiten: J.Paul GmbH
Schlosserarbeiten: Schlosserei Okolowski
Malerarbeiten: Manfred Schmid GmbH & Co.KG
Bodenbelagsarbeiten: Fußboden Haag GmbH
Trockenbauarbeiten: Manfred Schmid GmbH & Co.KG
Außenputzarbeiten: Manfred Schmid GmbH & Co.KG
WC-Trennwände: Kemmlit-Bauelemente GmbH
Vogelschutz: Siegmund Werbung und Beschriftung
Gebäudereinigung: Kofi GmbH
Sanitärinstallationen: HWÖ Haustechnik Wörner GmbH
Heizungsinstallationen: HWÖ Haustechnik Wörner GmbH
Lüftungsinstallationen: MeschGmbH
Elektroinstallationen: Elektro-Huiss GmbH
Blitzschutzanlagen: Hartmut Heß Blitzableiterbau
PV-Anlagenbau: Enersol GmbH
Aufzugsanlagenbau: Otis GmbH & Co. OHG
 
Hersteller
Eisspeicheranlage: Viessmann Deutschland GmbH
Gussasphaltestrich: Lautenschlager + Kopp GmbH + Co.
Poroton WDF: Schlagmann Poroton GmbH & Co.KG
Leuchten: XAL GmbH
 
Bruttogeschossfläche
1.045 m²
 
Gebäudevolumen
4.240 m³
 
Gesamtkosten
3.450.000 € (KG 200-700)
 
Fotos
Timo Kemmner, Stuttgart

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