Reduzierte, skulpturale Form

Peter Petz
20. März 2013
Perspektive
Das Grundstück für den Neubau Finanzamt Pirna liegt an einer Schnittstelle zwischen mittelalterlichem Stadtkern und Vorstadt. Wie binden Sie den Neubau in den Kontext ein?

Das vorgeschlagene Konzept gründet auf der Analyse der noch bestehenden Bebauung hinsichtlich ihrer stadträumlichen Qualitäten, ihres daraus resultierenden Potenzials und der damit verbundenen möglichen Transformation des derzeitigen urbanen Kontextes. Dabei versuchen wir zum einen, ein Maximum an Altsubstanz zu erhalten, zum Anderen  sehr offensiv mit dem Bestand umzugehen. Wir begreifen die erhaltenswerten Gebäudeteile als Strukturen, die es weiterzuentwickeln gilt, nicht etwa als separate Einheiten mit einem definierten, historischen "status quo". Das wesentliche Argument dafür stellt für uns die wechselhafte Geschichte der Gebäude dar, die in ihrer Vergangenheit durch unterschiedliche Nutzungen bereits zum Teil maßgebliche Änderungen in Gestalt und Nutzung erfahren haben. Gerade durch diesen Umstand spielt auch der Denkmalschutz, die Aufarbeitung der (Bau-)Geschichte dieses Ortes eine grosse Rolle, ein Thema, das sich bis in die Details, die Gestaltung der Außenanlagen ziehen wird.

Lageplan
Wie bringen Sie Adressbildung, Freiflächen und die Verbindung von Bestand und Neubau auf den Punkt?

Lärmbeeinträchtigung und Gewährleistung der Anfahrbarkeit erfordern die Situierung eines Eingangsbereiches mit deutlichem Abstand zur Schandauer Straße. Der Platz, der vom Waisenhaus und der ehemaligen bzw. noch vorhandenen Bebauung (Remise) nördlich des Vorwerkes gebildet wird, stellt demnach einen geeigneten Eingangsbereich für das zukünftige Finanzamt dar. Verkehrslärm und städtebauliche Aspekte legen einen baulichen Abschluss des Areals nach Norden und damit eine bauliche Ergänzung des Waisenhauses nahe. Von den Bestandsbauten werden der "Blaue Hecht", das Vorwerk sowie Teile des Waisenhaus übernommen; die nördlich und südlich an das Waisenhaus anschließenden neuen Bauteile orientieren sich an der Kubatur der momentan noch vorhandenen Bauteile. Das dritte Geschoss des Vorwerkes sowie dessen Dach werden in der dargestellten Form wiedererrichtet. Durch die Bestandsbauten sowie deren Ergänzungen ergeben sich drei jeweils um einen Innenhof organisierte Baukörper. Zentrales Entwurfselement ist die gebäudeübergreifende Dachlandschaft, die es vermag, Alt- und Neubauteile miteinander zu einer durchgängigen Struktur zu verbinden.  Durch die reduzierte, skulpturale Form orientieren sich die neuen Bauteile zunächst deutlich am Volumen der historischen Bebauung und ermöglichen so über eine analoge Kubatur eine gemeinsame Lesbarkeit bei zugleich eindeutigem Verweis auf die bauliche Vergangenheit - sowohl nach Außen hin wie auch im Inneren, wo Überlagerung von Alt und Neu an den Schnittstellen immer wieder anzutreffen sind. Die vorgeschlagene Materialität wird diese Abstraktion unterstützen und gleichzeitig ein vielschichtiges Zusammenspiel von Alt und Neu ermöglichen.

Piktogramme
Wie organisieren Sie das Finanzamt?

In Anlehnung an die ursprüngliche Hofbebauung nördlich und westlich des Vorwerkes wird die im Verlauf der Geschichte etablierte Grundstruktur ergänzt, so dass eine umlaufende Erschließung aller Bereiche ermöglicht wird. Für Besucher und Externe zugängliche Bereiche werden im Erdgeschoss angesiedelt. Der mittlere der drei Baukörper nimmt den Informations- und Besucherbereich sowie zentrale Funktionen wie Anlieferung, Poststelle et cetera auf, die übrigen Funktionen werden in sinnvoller Art und Weise an diese entstehende Mitte angegliedert. Neben den überwiegend nichtöffentlichen Bereichen sind in den Obergeschossen der drei Baukörper jeweils Kommunikationsbereiche angeordnet, die Funktionen wie Besprechungs- und Schulungsräume sowie Teeküchen beinhalten. Als einziger nicht innenräumlich angebundener, jedoch städtebaulich als Schlussstein des südlichen Hofes wirksamer Bestandteil der neuen Struktur übernimmt der ehemalige Gasthof "Zum Blauen Hecht" den zukünftigen Speise- und Küchenbereich. Die Neubauten erhalten ein durchgehendes Untergeschoss, das im nördlichen Bereich die wesentlichen Archivflächen und im mittleren sowie südlichen Bereich Autostellplätze aufnimmt.

Erdgeschoss
Schnitt, Ansicht
Welche innenräumliche Standards schlagen Sie vor?

Die Funktion des Finanzamtes legt ein angemessen sachliches Interieur nahe, mit den Prämissen eine angenehme, adäquate Arbeitsatmosphäre nach aktuellen Maßstäben zu schaffen sowie in den öffentlichen Bereichen den Kunden entsprechend zu empfangen. Eine sorgsame Detaillierung mit einfachen Materialien wird hier wesentlicher Gestaltungsfaktor werden. Es wird vielmehr darum gehen, die durch die Ausbildung der Kubatur entstehenden Qualitäten auch im Innenraum atmosphärisch wiederzuspiegeln, wie zum Beispiel das Herstellen starker Bezüge zu den Innenhöfen, innenräumlicher Sicht- und Wegebeziehungen und ausgewogenen Raumproportionen. Die technische Ausstattung wird sich so effizient wie möglich gestalten, auf komplizierte Lüftungs- und Kühltechnik zugunsten eines entsprechend konzipierten natürlichen Lüftungs- und Verschattungskonzeptes soll verzichtet werden.

Welche Besonderheiten hinsichtlich Material zeichnet Ihren Vorschlag aus?

Die Fassade wird als kerngedämmte, pigmentierte, glatt geschalte und im Anschluss sandgestrahlte Sichtbetonfassade konzipiert. Die Dachflächen sollen ebenfalls eine, an die funktionalen Besonderheiten angepasste Betonoberfläche erhalten, sodass die beabsichtige Abstraktion der Kubatur konsequent umgesetzt wird. Durch diese Reduktion auf ein wesentliches Material wird zugleich ein bewusster Kontrast zum bei Fertigstellung sorgsam restaurierten Bestand darstellt. Die im Weiteren verwendeten, großformatigen Massivholz-Kastenfenster stellen, eingesetzt in die massive Tragschale, durch die mit dem Material Holz in seiner Haptik und Optik assoziierten Wärme und Behaglichkeit eine wirkungsvolle Ergänzung zur angestrebten textilen Wirkung des Baustoffs Betons dar.

Detail
Finanzamt Pirna
Offener, zweiphasiger Realisierungswettbewerb mit anschließendem Verhandlungsverfahren

Jury
Prof. Angela Mensing-de Jong, Vors.
Prof. Thomas Will
Lür Meyer-Basin
Jens-Uwe Anwand
Prof. Dieter Janosch

1. Preis
TPMT Architekten
Berlin

2. Preis
zanderarchitekten
Dresden

3. Preis
Scherr + Klimke AG Architekten und Ingenieure
Neu-Ulm

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