Die höchste Auszeichnung der EU für Architektur geht nach Deutschland

John Hill
26. April 2024
Links: Studierendenhaus der TU Braunschweig, Gustav Düsing und Max Hacke (Foto: Iwan Baan)
Rechts: Bibliothek Gabriel García Márquez, Barcelona, SUMA Arquitectura (Foto: Jesús Granada)

Die beiden Gewinner wurden von Normunds Popens, dem stellvertretenden Generaldirektor der Generaldirektion Bildung, Jugend, Sport und Kultur der Europäischen Kommission (EU), und Fréderic Druot, dem Vorsitzendenden der Jury des EUmies-Awards 2024, am gestrigen 25. April bei einer Abendveranstaltung im CIVA in Brüssel bekannt gegeben. Damit fand ein zweijähriger Auswahlprozess seinen Höhepunkt und Abschluss. Für die höchste Auszeichnung der EU im Architekturbereich waren nicht weniger als 362 Bauwerke in 38 europäischen Ländern nominiert.

Neben Druot gehörten der Jury diesmal Martin Braathen, Pippo Ciorra, Tinatin Gurgenidze, Adriana Krnáčová, Sala Makumbundu und Hrvoje Njiric an. In einer Erklärung der EU-Kommission und der Fundació Mies van der Rohe zur Preisverleihung heißt es, die Jury habe sich ausgiebig beraten, um aus den fünf im Februar ausgewählten Finalisten die Gewinner zu küren. Es haben dabei »einen intensiven Meinungsaustausch« geben, bei dem »unterschiedliche Standpunkte« vertreten worden seien.

Die Projekte aller Finalisten zeigen für die Jury Wege auf, wie sich die großen Herausforderungen unserer Zeit meistern lassen. Dabei fördern die Gewinner insbesondere »den Wandel im gegenwärtigen sozialen, ökologischen und politischen Kontext«, während die übrigen Finalisten »wichtige Aspekte des kulturellen Erbes, der Landschaft und des öffentlichen Raumes berühren«.

Der Gewinner in der Kategorie Architektur ist das Studierendenhaus der TU Braunschweig der deutschen Architekten Gustav Düsing und Max Hacke. (Foto: Iwan Baan)
Veränderbare Architektur – das Studierendenhaus der TU Braunschweig

Das neue Studierendenhaus der TU Braunschweig ist ein zweigeschossiger Bau, der studentische Arbeitsräume in einer flexiblen Umgebung bietet. Inspiriert von Cedric Price’ »Fun Palace« und Yona Friedmans »Spatial City«, ermöglichen das offene, unbestimmte Erdgeschoss und das Obergeschoss, das aus einer Reihe von Plattformen und Brücken besteht, den Student*innen, die Anordnung der Räume nach Bedarf zu verändern. Das modulare Gebäude besteht aus schlanken Stahlträgern und -stützen, hölzernen Rippendecken und Glasfassaden. Die ganze Konstruktion ist frei von Klebstoffen und vollständig demontierbar. Beim Entwurf haben die Architekten den möglichen Abbau bereits mitgedacht. Es war ihnen wichtig, dass ihr Bauwerk kreislauffähig ist.

Die Nutzer*innen können die robuste Struktur flexibel bespielen. Vorbilder waren für die Architekten die Arbeiten der Visionäre Cedric Price und Yona Friedman. (Foto: Iwan Baan)

Wie beim EUmies-Award üblich, besuchte die Jury alle Bauten, die es in die Endrunde geschafft hatten. Sie urteilte, das Studierendenhaus sei eine »einladende und spielerische Umgebung für Studien, Zusammenarbeit und Zusammenkünfte der Gemeinschaft«. Das Gebäude werde für seine Fähigkeit ausgezeichnet, die Zwänge und Bilder der Nachhaltigkeit herauszufordern, und für die Art und Weise, wie es eine klare architektonische Idee aufgreife, sie hinterfrage und bis an die Grenzen treibe. Das Bauwerk könne als ein vielseitiges System verstanden werden, das technologische Erfindungen mit einem flexiblen und wiederverwendbaren Konstruktionsprinzip verbinde.

Beim Entwurf wurde eine mögliche Demontage bereits mitgedacht. (Foto: Lemmart)

Der heurige EUmies-Award ist die neueste Auszeichnung für das Studierendenhaus: Bereits voriges Jahr wurde es mit dem renommierten Deutschen Architekturpreis ausgezeichnet, in diesem Frühjahr folgte der DAM Preis des Deutschen Architekturmuseums. Mit dem Architekturpreis der EU wird dem Projekt nun auch international Anerkennung zuteil. Gustav Düsing und Max Hacke haben 2015 ihre eigenen Büros in Berlin eröffnet. Sie sind die jüngsten Preisträger, die es in der Kategorie Architektur bisher gab. 

Axonometrie (© Gustav Düsing und Max Hacke)
Der Nachwuchspreis ging für die Bibliothek Gabriel García Márquez an das spanische Büro SUMA Arquitectura. (Foto: Jesús Granada)
Die Bibliothek Gabriel García Márquez: Den Cerdà-Plan neu interpretiert

Die Stadtteilbibliothek Gabriel García Márquez wurde 2022 in Barcelonas Arbeiterviertel Sant Martí gebaut. Das Eckgebäude folgt mit seiner zur Kreuzung hin schräg verlaufenden Fassade dem klassischen Stadtgrundriss Barcelonas von Ildefons Cerdà, der große quadratische Baufelder vorsieht, deren Ecken um 45 Grad abgeschrägt sind, sodass Plätze entstehen. Über dem Haupteingang kragt das Gebäude dabei aus, was für einen geschützten Vorplatz sorgt. Im Inneren verbindet ein dreieckiges Atrium die fünf Stockwerke der Bibliothek. 

Inspiriert wurden die Architekten Elena Orte und Guillermo Sevillano von SUMA Arquitectura zu ihrem Entwurf von Bücherstapeln. Materialisiert haben sie ihr Bauwerk in Brettschichtholz, Kreuzlagenholz und Stahl. Wo immer möglich, wird die Holzstruktur dabei offen gezeigt.

Das Innere der Stadtteilbibliothek ist hell und räumlich reich. Die Holzkonstruktion wird nach Möglichkeit offen gezeigt. (Foto: Jesús Granada)

Die Jury würdigte die Art und Weise, wie die Bibliothek »im Maßstab der Stadt agiert und zur Umgestaltung des Viertels beiträgt, indem sie sich als neuer äußerer und innerer öffentlicher Raum öffnet«. Bei ihrem Besuch des Gebäudes entdeckte sie »eine reiche Abfolge von monumentalen und häuslichen Räumen, die Nachbarn und Bürger willkommen heißen und ihnen eine angenehme Atmosphäre bieten«. Das ist wohl auch im Sinne Cerdàs, der die Stadterweiterung Barcelonas als demokratische Struktur entwarf, in der die Lebensbedingungen für alle Menschen gleich sein sollten. Mit akribischer Liebe zum Detail, so die Jury, hätten die Architekten das Bibliotheksprogramm gründlich auf Lernen und Teamarbeit hin untersucht und zu seinem vollen Potenzial gebracht.

Die neue Bibliothek soll ein Raum für die Gemeinschaft sein. (Foto: Jesús Granada)

Wie für das Studierendenhaus der TU Braunschweig ist der EUmies Award auch für die Bibliothek nicht die erste Auszeichnung. Sie wurde von der IFLA (International Federation of Library Associations and Institutions) zur öffentlichen Bibliothek des Jahres 2023 ernannt. Kurioserweise gründeten Elena Orte und Guillermo Sevillano 2005 SUMA Arquitectura in Madrid – also zehn Jahre bevor Gustav Düsing und Max Hacke ihre Studios eröffneten. Den Auftrag für die Bibliothek erhielten sie 2015.

Die Innenräume haben unterschiedlichen Charakter: mal sind sie weitläufig und monumental, dann wieder intim und wohnlich. (Foto: Jesús Granada)

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