Gegen die Kleinteiligkeit

kleyer.koblitz.letzel.freivogel
27. März 2019
Blick auf den Neubau des Elisabeth-Selbert-Hauses
Im Berliner Stadtbezirk Mitte soll auf dem Grundstück Unter den Linden 62-68/ Ecke Schadowstraßefür für den Deutschen Bundestag ein neues Bürogebäude zur Unterbringung verschiedener Fachbereiche der Verwaltung oder optional parlamentarische Nutzung errichtet werden. Welche Ausgangssituation haben Sie vorgefunden?

Wir haben eine komplexe Bestandssituation vorgefunden. Auf dem Grundstück stehen ein wohlproportionierter Plattenbauriegel und ein zweigeschossiger Pavillon aus der ehemaligen DDR, die beide abgerissen werden. Der Neubau bildet den Schlussstein für den gesamten Stadtblock zwischen Wilhelm- und Schadowstraße, dessen heterogener Gebäudebestand bis auf die Ungarische und Polnische Botschaft ausschließlich mit Nutzungen des Bundestages belegt ist. Aufgabe beim Neubau war es dabei zwei funktional gänzlich unabhängige Nutzungen unter einem Dach zu vereinigen. Zum einen die „Willy-Brandt-Stiftung“ mit einer großzügigen Außenwirkung zur Straße „Unter den Linden“ und zum anderen eine Büronutzungen des Bundestages, die einen Ringschluss mit den Bestandsimmobilien des Bundes ermöglichen. Dabei gilt es städtebaulich sensibel an das kleinmaßstäbliche Einzeldenkmal Schadowhaus in der Schadowstraße anzuschließen.

Bestand Forum Willy Brandt Berlin
Wie organisieren Sie das Gebäude?

Die Besonderheit des Raumprogrammes bestand in der Integration der „Willy-Brandt-Stiftung“ als völlig autonome und funktional abgekoppelte Einheit in ein Verwaltungsgebäude des Bundestags. Dabei war der Dreh- und Angelpunkt des Wettbewerbes die Organisation des Erdgeschosses. Für uns war offensichtlich, dass nur über eine eingeschossige Organisation des Stiftungsbereichs eine aufwendige zweite Erschließung und damit implizit die Probleme der Inklusion als auch der Fluchtwege ausgeschlossen werden können.
Zugleich wollten wir unbedingt, dass beide Nutzer, Stiftung und Bundestag, ihren Haupteingang zur Adresse „Unter den Linden“ erhalten. Diese Parameter haben den Entwurf auf sehr selbstverständliche Art strukturiert.
Der fünfgeschossige Gebäuderiegel zu „Unter den Linden“ erhält eine größere Gebäudetiefe aufgrund der inneren Organisation der „Willy-Brandt-Stiftung“. Ein wahrnehmbarer Unterschnitt im Gebäudegelenk „Unter den Linden / Schadowstraße“ markiert dabei deutlich sichtbar den Haupteingang für beide Institutionen. 
Hier befindet sich zugleich die Haupterschließung des Gebäudes als skulpturale Wendeltreppe, die über ein gewaltiges Panoramafenster weithin einsehbar ist. Zugleich bildet das Foyer die selbstverständliche Zäsur zum schmalen Gebäudeflügel an der Schadowstraße, dessen Staffelgeschoss zum kleinteiligen Schadowhaus vermittelt. 
 

Grundriss Erdgeschoss
Schnitt
Welches architektonische Thema war Ihnen besonders wichtig?

Das Korsett der Wettbewerbsaufgabe war sehr eng. Die grundsätzliche Gebäudeform des L-förmigen Baukörpers war gesetzt. Auch das Raumprogramm hat einen hohen Wiederholungsfaktor im Verwaltungsbereich, dessen Volumen 4/5tel des Gebäudes ausmacht. Es gab daher zwei Dinge, denen wir unser besonderes Augenmerk gewidmet haben. Wir wollten der trostlosen Korridorwelt des Mittelflurs mit anhängigen Büros entkommen und wir haben lange über den architektonischen Ausdrucks der Fassade nachgedacht. Ersteres erzielten wir mit einem vertretbaren Maß an räumlicher Großzügigkeit, indem wir mit einer unterschiedlich perforierten Kernzone operieren, die wir im langen Baukörper um eine, über alle Bürogeschosse übergreifende, Galerie ergänzen. Hinzu kommt das repräsentative Foyer mit der Freitreppe im Schnittpunkt der Gebäudeteile. Bei der Fassade nutzen wir die definierte und unveränderliche Größe der einzelnen Büroeinheit für eine großes, tiefeingeschnittenes Fenster. Hierdurch können wir den üblichen Rapport des kleinteiligen Bürorasters einer gewöhnlichen Büroimmobilie aufbrechen. Das Eckfoyer erhält einen gesonderten architektonischen Ausdruck mit den großformatigen Panoramafenstern und bricht die mögliche Monotonie einer immer gleich gewickelten Rasterfassade auf.

Gab es Vorgaben zu den Büro-Standards?

Die Mindestbreite ist im Lichten mit 3,60m festgelegt. Alle Büros sollen eine einheitliche und gleichwertige Qualität erhalten. Die Planung von Einbaumöbeln ist entlang der flurseitigen Wände im Bereich der Bürozugangstüren vorgegeben. 

Detail
Welche Materialstrategie schlagen Sie vor?

Die Fassade des Neubau widerspiegelt den Rhythmus der repetitiven Büros. Ungewöhnlich tiefe, fast quadratische Fenstereinschnitte und große Natursteinelemente sorgen für ein sehr abstraktes und plastisches Fassadenbild. Die Wände der Büros und Gemeinschaftsbereiche werden mit Paneelen aus Eichenholz oder hölzernen Schrankeinbauten gestaltet. Diese werden in den hochfrequentierten Erschließungsbereichen mit einem robusten Terrazzoboden oder Parkettböden aus Eiche ergänzt. Auch die Wendeltreppe wird im Hauptfoyer hölzern verkleidet, was einen Kontrast zu den Sichtbetonflächen schafft.

Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?

Hier können wir bisher nur aus der Auslobung zitieren. Der Abbruch der Bestandsgebäude wird im Sommer 2019 beginnen. Der Baubeginn des Neubaus wird auf das erste Halbjahr 2021 anvisiert.

Lageplan
Neubau des Elisabeth-Selbert-Hauses - Unter den Linden in Berlin
Nichtoffener Realisierungswettbewerb
 
Auslober/Bauherr: Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
 
Jury
Prof. Dörte Gatermann, Vors. | Martin Boden-Peroche | Jan Musikowski | Canan Rohde-Can, Joachim Staudt
 
1. Preis
Arch.: kleyer.koblitz.letzel.freivogel, Berlin
 
2. Preis
Arch.: ATELIER 30, Kassel
 
3. Preis
Arch.: merz merz, Berlin, Stuttgart
Tragwerk: Knippers Helbig Advanced Engineering, Stuttgart, New York City, Berlin 
Energie: Transsolar Energietechnik GmbH, Stuttgart, München, New York, Paris

Andere Artikel in dieser Kategorie