Die Zwischennutzung entlässt ihre Kinder

Wolfgang Kil
30. Januar 2013
In Halle-Glaucha haben sich Studenten mit ihrem Kulturprojekt "Postkult e. V." für 17.000 Euro in einen alten Gewerbehof eingekauft. (Bild: Wolfgang Kil) 

Kehrseiten des Erfolgs   In ostdeutschen Großstädten erleben Problemviertel wie Plagwitz in Leipzig oder Glaucha in Halle steile Karrieren in den Immobiliencharts: "Glaucha ist eine Adresse geworden", frohlockte man unlängst im BMVBS, und schrieb den Wandel prompt eigenen Initiativen zugute: "Die Werkzeuge Zwischennutzung sowie künstlerische Aktionen zur Imageverbesserung waren erfolgreich. Leerstehende Häuserblocks wurden gekauft, saniert und sind inzwischen wieder vermietet. Zum Teil entwickelt sich der Wohnungsmarkt so gut, dass die kreativen Newcomer kaum noch Räume für ihre Nutzungen finden."
Greifen die Regeln des Immobilienmarktes also wieder? Das zeitweilig besorgniserregende, ja Panik verbreitende Überangebot an leerstehenden Räumen konnte vielerorts hinreichend verringert werden – durch die subventionierten Abrisse beim "Stadtumbau Ost", aber auch durch Attraktivitätsanreize, zu denen ja nicht zuletzt die kulturellen beziehungsweise kreativen Milieus selbst gehören. Die Gespenster von Leerstand und Verwilderung scheinen fürs erste gebannt. Ob damit auch für chronische "Sorgenmetropolen" wie Hoyerswerda, Wittenberge, selbst für Görlitz oder Altenburg endlich ein Licht am Ende des Tunnels aufscheint, sei an dieser Stelle einmal dahingestellt.

"Kater Holzig": Zwischennutzer funktionieren eine alte Fabrik an der Spree zu einem riesigen Event-Areal um. (Bild: Wolfgang Kil) 

Schafe im Wolfspelz?   Für den Wandel lässt sich ein symbolisches Datum nennen – der 3. Oktober 2012. Da erhielt eines der bundesweit bekanntesten Zwischennutzer-Projekte, die Allround-Kulturinitiative "Kater Holzig", vom Berliner Senat den Zuschlag für ein heftig umkämpftes Uferstück an der Spree. Flankiert von einer Schweizer Stiftung, stachen die umtriebigen Clubunternehmer, die bereits an anderen Spreestränden für Furore gesorgt hatten, alle übrigen Mitbieter aus. Nun können sie, geschützt durch einen Erbpachtvertrag, 18.000 Quadratmeter feinste Wasserlage nach eigenen, unkonventionellen Vorstellungen auf Dauer entwickeln. Was von Vielen als lang erhoffter Durchbruch für alternative Stadtentwicklungskonzepte stürmisch gefeiert wurde, bedarf aber wenigstens eines skeptischen Einwurfs: Hier hat sich nicht etwa eine Verwaltung, die "neu denkt", auf einen investorenkritischen Vermarktungskurs besonnen. Gewonnen hat vielmehr, wie eh und je, schlicht das Höchstgebot. Des ewigen Herumwanderns müde, hatten die Leute vom "Kater Holzig" sich einfach ein Bleiberecht erkauft. Um gegen die üblichen Investoren antreten zu können, mussten sie sich selber in solche verwandeln. Also Schafe im Wolfspelz? Man wird sehen, was das für die „alternativen“ Pläne der nunmehrigen Genossenschaft Holzmarkt e.G. bedeutet.

Projekt Holzmarkt e.G. in Berlin, an der Grenze Friedrichshain und Kreuzberg (Bild: Architekten FSKA.de) 

Vom Improvisateur zum Biedermann   Auch der Leipziger Verein Haushalten e.V. muss seine Strategien überdenken. Dessen Ziel war eigentlich, für leerstehende und von Verfall bedrohte, aber stadträumlich wichtige "Wächterhäuser" Vereine und Akteure der Kreativwirtschaft zu finden, die zu den reinen Betriebskosten die gefährdeten Objekte erhalten und nutzen – nicht selten als Existenzgründer. Gerechnet wird bei diesem Modell mit fünf Jahren Zwischennutzung. Und kaum begannen bei den ersten Häusern sich erneut Rentierlichkeiten abzuzeichnen, waren die Developer zu Stelle: "Anfang Juli [2012] nun müssen alle Nutzer aus dem Wächterhaus  N.N. ausziehen", berichtete die lokale Presse. "Die XY Holding als Eigentümer plant, in dem Doppelhaus 16 Eigentumswohnungen und drei Gewerbeeinheiten unterzubringen." Irgendwelche "Bezüge zur Gentrifizierung" kann keiner der Beteiligten erkennen. Sagt der Reporter der LVZ.
Natürlich ist den Vereinsgründern die veränderte Lage nicht entgangen. Sie betonen, dass es auch anders geht: Hier und da würde ein Haus von der vorhandenen Nutzergruppe übernommen, und erst unlängst hätten exmittierte Zwischennutzer als Verein ein Haus an anderer Stelle gekauft. Neuerdings werden die Hauswächter porträtiert als "Pioniere, die angekommen sind": "Bereits jetzt gibt es Tendenzen, die ursprünglichen Zwischennutzer der Wächterhäuser langfristig an 'ihre' Immobilie zu binden, Verträge zu verlängern oder eventuell sogar den Erwerb eines Hauses zu unterstützen." (BBSR) Wenn dies zum Ziel der Wächterhäuser erklärt wird, dürfte das etliche Zwischennutzer-Initiativen vor grundsätzliche Probleme stellen: Wie oft sind es Studenten und anderes fahrendes Volk, die sich voller Jugendelan dem improvisierenden Leben verschreiben, auf der Suche nach Erfahrungen tausenderlei Art – bloß nicht in Kredit-, Grundbuch- oder Abschreibungsfragen.

"Wächterhauser" in Leipzig: Nutzer kümmern sich selber um die Häuser (Bild: HausHalten e. V., Leipzig) 

Neugierige und Tatendurstige   "Warum in den nicht mehr systemisch integrierten Räumen … nicht neuen Sinn entdecken, Lebensqualität und Abenteuer?" hatte vor zehn Jahren, noch am Anfang der Schrumpfungsdebatten, Simone Hain gefragt. Und Boris Sieverts begann gerade in den verlotterten städtischen Randlagen seine Suche nach den "Zonen mit utopischem Potenzial … für soziale und gestalterische Experimente im Sichtschatten unserer kontrollierten Welt. Wo Lebensräume durch Gebrauch und nicht durch Eigentum definiert werden." Zu Tausenden hatten sich Neugierige und Tatendurstige aufgemacht, um den vielen leeren Häusern und Brachflächen landauf, landab mit kulturellen und sozialen Projekte neue Nutzungsmöglichkeiten abzugewinnen. Sie hatten genau jene Problemorte ins Visier genommen, die in schrumpfenden Städten und Regionen Planern und Verwaltern auf der Seele liegen. Dafür ernteten sie Dank, und ihnen wurde ein ehrvolles Etikett verliehen: "Raumpioniere". Ein wirklich trefflicher Titel! Denn um was es ihnen ging, war ja RAUM. Genauer, noch einmal mit Boris Sieverts, "Raum für ein weniger entfremdetes Leben".
Inzwischen klingt alles merklich anders. Von Räumen ist keine Rede mehr, jetzt geht es um Immobilien. Und wohin das führen dürfte, zeigt sich am Schicksal des Leipziger Vereins deutlich: Für die Wächterhäuser haben sie ein Nachfolgemodell erfunden – das "AusBauHaus". In denen sorgt der Eigentümer für die notwendigsten Instandsetzungen (zum Beispiel an Dach oder Heizung), den Rest übernehmen die Bewohner in Eigenarbeit und zahlen danach entsprechend weniger. Die vormaligen Zwischennutzer werden also zu Selbsthilfemietern. Der Vermieter darf sich wieder auf gesicherte Einnahmen freuen und, dank der investierten Muskelhypothek, sogar noch auf eine Wertsteigerung seiner Immobilie.
Wenn das nicht business as usual ist! Aber waren denn, im Angesicht der Leerstandskrise, die Hoffnungen nicht auf das Entdecken neuer Chancen gerichtet? Lautete das Ziel wirklich nie anders als Rückkehr zum Status quo? Sollten nicht alte Verhältnisse in Bewegung, womöglich gar zum Tanzen gebracht werden? Wolfgang Kil (Fortsetzung folgt)

BMVBS (Autor Janos Brenner): Eigentümerstandortgemeinschaften. In: planerIn 3/12, S. 45
BBSR (Hrsg.): Offene Räume in der Stadtentwicklung. Leerstand – Zwischennutzung – Umnutzung. stadt:pilot spezial. Juni 2012, S. 42 ff.
Simone Hain und Boris Sieverts zit. aus Wolfgang Kil: Luxus der Leere. Vom schwierigen Rückzug aus der Wachstumswelt. Wuppertal 2004
Daniel Große: Ein Wächterhaus hat fertig. In: Leipziger Volkszeitung, 26. 05. 2012 img src="http://vg09.met.vgwort.de/na/3139c648dac7498e8905bbf0cfb91c77" width="1" height="1" alt=""

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