Zum Tod des Stuttgarter Architekten Arno Lederer

Wider die Vereisung der Architektur

Falk Jaeger
24. Januar 2023
Foto: Gabriela Neeb

Er war präsent in der deutschen Architekturszene wie zuvor nur sein Mentor und Freund Max Bächer. Wie jener war Arno Lederer als Juryvorsitzender quasi gesetzt, wenn ein Preisgericht für einen der großen Wettbewerbe zu besetzen war. Wie jener wusste er seinen Hölderlin und seinen Goethe zu zitieren, war in Musik und Kunst gleichermaßen zuhause. Wie jener hielt er die klügsten und humorvollsten Festreden auf großen Kongressen. Doch anders als jener hat Arno Lederer viel gebaut.

Wichtigster Lehrer war für Arno Lederer neben Max Bächer der Schweizer Architekt Ernst Gisel, bei dem er nach dem Diplom in Zürich arbeitete und dessen Formensprache sich durch Lederers Werk zieht. Neben Gisels Rathaus in Fellbach bei Stuttgart konnte Lederer sein erstes großes Projekt  „Sanierung Stadtmitte Fellbach“ realisieren, ein stattliches Bauprogramm mit Bank, Geschäfts- und Wohnhaus sowie Bibliothek. Mit dem im Stil der weißen Moderne gestalteten Multifunktionsbau gelang 1984 der Durchbruch.

Historisches Museum Frankfurt, 2017 (© LRO GmbH & Co. KG, Foto: Roland Halbe)
Historisches Museum Frankfurt, 2017 (© LRO GmbH & Co. KG, Foto: Roland Halbe)

Seit 1985, als Lederers Mitarbeiterin und Lebenspartnerin, die in Island geborene Jórunn Ragnarsdóttir, Mitinhaberin des Büros wurde, zeichneten sie gemeinsam für die Projekte verantwortlich. Seit 1992, als Marc Oei als dritter Inhaber in das Büro eintrat, firmiert das Büro unter dem Namen und Kürzel LRO.

Klassische Moderne, ein wenig Postmoderne, die irdene Kraft Hans Poelzigs und die Eleganz Erich Mendelsohns waren fortan die Zutaten der LRO-Architektur. Und perfekt ausgetüftelte, gut funktionierende Grundrisse. Doch wo andere aus diesen Grundrissen im besten Falle ätherische gläserne Artefakte machen, meist jedoch nur abstrakte, tote Kisten ohne Anmutung und Inspiration, da bedienten die Baukünstler Lederer und Ragnarsdóttir Grundbedürfnisse des Menschen nach Raumerlebnis, Orientierung, Erfahrung mit allen Sinnen, Geborgenheit, Heimat.

„Wir mögen die transparenten Glashüllen nicht so sehr. Warum sollen wir in Gebäude gehen, die einem beim Betreten sagen, man sei wieder draußen?“, fragen sie, ein wenig hintergründig polemisch natürlich, denn Transparenz kann ja auch ihre Reize haben – auch im Werk von LRO übrigens. „Drinnen ist anders als draußen“, so ein Credo Lederers, so auch das Buch mit seinen Schriften, das Jórunn im vergangenen Jahr im Jovis Verlag herausgegeben hat und das nun unvermutet zu seinem Vermächtnis geworden ist. Das Credo will meinen, Innenräume sollen Geborgenheit bieten. Die Schwelle zwischen innen und außen soll deutlich ausgeprägt sein. Raum soll Atmosphäre und Charakter haben.

Münchner Volkstheater, 2021 (© LRO GmbH & Co. KG, Foto: Roland Halbe)
Münchner Volkstheater, 2021 (© LRO GmbH & Co. KG, Foto: Roland Halbe)

Und so arbeiteten sie meisterlich mit den Werkstoffen des Architekten, mit Licht und Material. Sie erfanden, ob im Keller oder unterm Dach, immer wieder überraschende Räume, vom Licht geformt und modelliert, anheimelnd oder erhaben, rätselhaft oder klar. Louis Kahn ist nicht weit, aber auch einen Alvar Aalto scheint diese Baukunst zu kennen. Und Adolf Loos natürlich, der das Dekor verdammte und es doch nur listig durch sorgsam kalkulierte Materialwirkung ersetzt hat. LRO wollten die rationalistische Abstraktion, die die Baukunst vereist und sie dem normalen Sterblichen entfremdet hat, überwinden und der Architektur eine archaische, sinnlich erfahrbare, erdverbundene Körperhaftigkeit zurückgeben.

Am besten lässt sich dieses Ziel mit Ziegelarchitektur erreichen. Wunderbar, wie eine aus rot leuchtenden Ziegeln gebaute Schulanlage wie das Salem College oder die Hauptschule in Ostfildern mit der umgebenden Landschaft harmonieren. Aber auch mit Sichtbeton konnten LRO umgehen. Das sanierte Staatstheater Darmstadt stellt es unter Beweis, oder das „Weiße Haus“ an prominenter Stelle in der Stuttgarter Königstraße aus Weißbeton.
So kommt es, dass Bauwerke aus dem Atelier von LRO sowohl kühl kalkuliert erscheinen als auch aus dem Bauch heraus gestaltet sind, dass sie die Fachleute begeistern und von Laien gleichermaßen geschätzt werden. Von wessen Architektur lässt sich das heute schon behaupten.
Kaum eines der jüngeren LRO-Werke hat es nicht auf eine oder gleich mehrere Siegertafeln von Architekturpreisen geschafft, mit dem Höhepunkt des DAM-Preises 2013/14 für das Kunstmuseum Ravensburg. LRO zählen zur ersten Garde der deutschen Architekturbüros, haben allerdings nie im Ausland gebaut.

 Kunstmuseum Ravensburg, 2013 (© LRO GmbH & Co. KG, Foto: Roland Halbe)
 Kunstmuseum Ravensburg, 2013 (© LRO GmbH & Co. KG, Foto: Roland Halbe)

Nur schrittweise haben sie ihren Wirkungsbereich über den südwestdeutschen Raum ausgedehnt, nach Franken, nach Sachsen-Anhalt (nie nach Berlin), haben das vielbeachtete Historische Museum am Frankfurter Römerberg gebaut (2017) und das ebenso gepriesene Volkstheater in München (2021). Allen Häusern gemein ist die baukünstlerische Gestaltungskraft, ohne Scheu vor historischen Zitaten, die sie freilich verfremdet einsetzen. 

Eine Arkatur zeigt dynamische Parabelbogen, ein Erker ist aus rahmenlosem Glas, Rundfenster und abgerundete Treppenhäuser sind narrative Elemente, die jedes Bauwerk unverwechselbar machen. Es sind Bauten, die der puristische Architektenkollege mit Knurren akzeptieren mag, die aber von den Menschen geliebt werden. 

So lernten seine Studierenden an den Hochschulen in Karlsruhe und Stuttgart, wie man „schöne“ Häuser entwirft, und vor allem „wie man ein Haus so baut, dass es hält“. Und das ist nicht nur auf gut schwäbisch statisch-konstruktiv gemeint, sondern es beinhaltet auch die, heute sagt man, „ästhetische Nachhaltigkeit“. Denn was nützt ein langlebiges Haus, das binnen kurzem aus der Mode gekommen ist und weggerissen wird?

Am 21. Januar ist Arno Lederer in Stuttgart im Alter von 75 Jahren nach schwerer Krankheit gestorben. Er hinterlässt eine große Lücke bei all jenen, die sich an ihm orientiert haben, die so gerne seinen in einfacher Sprache formulierten, aber klugen Gedanken gefolgt sind und die ihn in seiner offenen freundlichen, zugewandten Art geliebt haben.
Marc Oei und drei jüngere Partner führen das Stuttgarter Büro LRO eigenständig weiter. Ein Büro Lederer Ragnarsdóttir ist 2021 mit Sohn Sölvi in Berlin neu gegründet worden und wird ebenfalls weitergeführt.

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