Farbforscher Axel Buether: „In der Lehre bekommen Studierende nicht die kommunikativen Skills vermittelt, mit denen sie später eine Diskussion führen können, in der sie ernst genommen werden“

Katinka Corts
22. März 2023
Neubau Epilepsiestation, Hephata Hessisches Diakoniezentrum e. V. (Foto: Michel Klehm)

 

Katinka Corts: Farben erzeugen eine Erwartung bei uns, je nach kulturellem Hintergrund aber verschiedene: So ist Grau mal edel, mal ärmlich, kann genauso für moderne Architektur stehen wie auch für Schmutz. Sie haben mit Ihren Studierenden in jahrelanger Forschungsarbeit sogenannte Colour Brain Maps entwickelt und damit versucht, Farben in vergleichbaren Matrizen zu erfassen. Wie ging das vonstatten, Herr Buether?

Axel Buether: Meine Aufgabe an der Schule war, Grundlagen für die Farbtheorie sowie eine Systematik für die Farbwahrnehmung zu schaffen. Zuerst stand also die Frage, wie Farben überhaupt wahrgenommen werden. Etwa die Hälfte unserer Wahrnehmung von Farben ist angeboren, evolutionär wichtige Farben rücken in den Mittelpunkt unserer Wahrnehmung. Der genauso wichtige zweite Teil umfasst kulturell gelernte Bedeutungen, die wir mit diesen Farblandkarten darstellen wollten. Gerade bei der Wirkung von Farben gibt es schnell einfache Antworten, die zwar nicht per se verkehrt sind, aber dennoch gefährlich, denn damit reduziert man komplexes Wissen sehr stark. Mit den Studierenden haben wir über die Jahre Millionen Dinge fotografiert und uns in der Auswertung gefragt, ob man eine Struktur erkennen kann. Kommen manche Farben nur in eingeschränkten Bereichen vor? Was haben Kultur und Natur miteinander zu tun? Warum werden Farben so verwendet?

 

Sie ist ein wichtiges nonverbales Kommunikationsmittel und doch legt erst der Kontext der Verwendung die Bedeutung der Farbe fest. Eine rote Blüte kann freundlich wirken, ein roter Raum hingegen beunruhigen. Inwieweit haben Sie das Studienfeld eingegrenzt bei der Aufgabe, sodass die Resultate wirklich vergleichbar sind, obwohl jeder und jede an anderen Orten und zu anderen Zeiten die Umgebung dokumentiert? 

Die schiere Menge an Beitragenden und Resultaten macht die Ergebnisse belastbar, sicher waren es über 500 Studierende in sechs Jahren. Die Millionen von Bildern sind aber natürlich nur repräsentativ für Mitteleuropa, in Zentralafrika oder Nordamerika hätten wir ganz andere Ergebnisse gehabt. Doch ähnlich wie bei Sprachen gibt es auch bei der Bedeutung von Farben Gemeinsamkeiten, die man gut beschreiben kann. Die Ergebnisse können für den Entwurf und die Erklärung von Farbwirkungen genutzt werden. Sie können auch die bewussten oder unbewussten Assoziationen erklären, die beim Betrachten mehrerer Farben auftreten, also Gründe für Entspannung oder Anspannung liefern.

In der Praxis versuche ich immer Modelle mit empirischen Daten zu unterlegen, also zum Beispiel dem Medikamentenverbrauch in Krankenhausstationen oder dem Krankenstand des Personals vor und nach Umgestaltungen. So können mehr Menschen verstehen, dass zielgerichtet eingesetzte Farben eine wichtige Bedeutung für die Nutzer haben.

Neubau Epilepsiestation, Hephata Hessisches Diakoniezentrum e. V. (Foto: Michel Klehm)

Welche ureigenen Reaktionen und Wahrnehmungen haben Menschen denn bezüglich Farben und wie drückten sich diese aus? 

Farben haben eine große Bedeutung für die Wahrnehmung von Lebewesen, da verschiedene Arten unterschiedliche Farbspektren wahrnehmen können. Ein Bussard kann ultraviolettes Licht sehen, wodurch er Urinspuren von Mäusen auf dem Feld erkennt. Für uns ist das irrelevant. Menschen haben eine hohe Empfindlichkeit für rote Farben, was sich in schnelleren Reaktionszeiten zeigt. In der Gestaltung werden Farben gezielt eingesetzt, um Aufmerksamkeit zu erregen und eine bestimmte Atmosphäre zu schaffen. Gestalterisch wird die Farbe genau so eingesetzt, dass Beachtung erzeugt wird. Auch in der Sprache zeigt sich das: Rot ist das Farbwort, das in fast allen Sprachkulturen vorkommt. Wir haben gelernt, dass Blau eine Farbe des Hintergrunds ist, in die man sich hineinbewegen kann, sie steht für Weite. Braun und Grün als Körperfarben hingegen stehen für eine Masse, für Objekte. 

Es ist schwierig, wenn Farben falsch eingesetzt werden. Ein weißer Raum weitet sich, wird optisch größer, aber er ist auch entgrenzt und nicht mehr stofflich für uns, wir fühlen uns nicht geborgen. Werden in Büros alle Räume schlicht weiß gestrichen, fehlt es oft an Atmosphäre. Schlimmstenfalls erschwert die Raumgestaltung dem Menschen, darin das zu tun, wofür der Raum da ist. Es ist daher wichtig, die Bedürfnisse und Aktivitäten der Menschen bei der Gestaltung von Räumen zu berücksichtigen. Man kann mit dem richtigen Einsatz von Licht- und Körperfarben einen wichtigen Beitrag zum Wohlbefinden der Nutzer*innen leisten – in diesem Bereich brauchen wir aber noch viel Aufklärung.

 

Ein klassischer Einsatzort für richtige Farben ist das Krankenhaus. Fühlt sich der Patient, die Patientin wohl, wirkt sich das auf die ganze Behandlung und die Menge der eingesetzten Medikamente aus. Doch auch die zweite Seite, die den Raum ständig erlebt, ist nicht außer Acht zu lassen: Die Ärzt*innen, Chirurg*innen und das Pflegepersonal.

Experten sind für mich immer die Menschen, die der Raum betrifft. Wir müssen sie zum Sprechen bringen, und zwar alle. Oft ist es so, dass in einem Krankenhaus nur die Chefärztin redet und der Pfleger sich gar nicht traut, seine Meinung zu sagen. Das muss man durchbrechen und die Eindrücke aller sammeln, um sich ein Bild zu machen. Die Ergebnisse sind sehr spezifisch, und es ist dann auch nicht wichtig, ob der Arzt eine Meinung zum Pausenraum der Pflegerinnen hat, wenn er sich da eh nicht aufhält. Wir brauchen Lösungen, mit denen der Arbeitsalltag für die Menschen möglichst einfach abläuft. Und um unsere Arbeit gut zu machen müssen wir verstehen, wie sie ihre Arbeit machen.

In einem fensterlosen OP hilft vielleicht schon, den Blick kurz auf ein Naturbild abschweifen zu lassen, wenn schon kein Blick in die Umgebung möglich ist. Ein kleiner Moment der Erholung, nach dem man konzentriert weiterarbeiten kann. Wenn uns die Nutzerinnen sagen, wie sie den Raum erleben und was sie darin anstrengt, können wir ihnen oft mit der Gestaltung der Räume helfen. Oft geht es auch darum, die Lichtsituation anzupassen. Ständig unter 500 lux Lichtstärke zu arbeiten, ist sehr anstrengend. Dann macht das Pflegepersonal nachts im Pausenraum das Hauptlicht nicht an, wodurch sie müder und unkonzentrierter sind. Diese Art der gestalterischen «Anamnese» ist erforderlich, damit die Atmosphäres  des Gebäudes den dort Arbeitenden und allen Nutzenden hilft.

Neubau Epilepsiestation, Hephata Hessisches Diakoniezentrum e. V. (Foto: Michel Klehm)

Die meisten Architekt*innen setzen sich bei jedem Projekt sehr konkret mit den zukünftigen Nutzern und ihren Bedürfnissen auseinander, meist sind derlei Vorarbeiten aber eher eine Fronarbeit als bezahlt. Bauherren denken oft, dass das alles schon klar ist, doch das stimmt nicht. Sie denken vielmehr aus den aktuellen Zwängen und Bedürfnissen heraus, haben aber nicht die Weitsicht für den allgemeinen Betrieb und alle Stationen, wenn wir beim Beispiel Krankenhaus bleiben. 

Deshalb ist es mir wichtig, das Thema als Außenstehender zu betrachten. Oft haben wir das Problem, dass mir Architekten sagen, dass sie mit der Innenausstattung gar nicht beauftragt werden. Dann will das Krankenhaus oder auch der Schulträger selber die Innenräume gestalten. Auch Innenarchitekten werden viel zu selten beauftragt. Und so kommt es dann, dass das Architekturbüro vielleicht einen gelben Boden plant und der Schulträger dunkle Möbel reinstellt – und damit ein starker Warnfarbenkontrast geschaffen ist, der den Raum unruhig macht und alle, die sich darin aufhalten. Es fehlt dann an einer verantwortlichen Person, Leidtragende sind die Nutzenden.

Das Ziel ist schließlich, Standards für die funktionale Farbgestaltung von Gesundheitsbauten zu definieren. Diese müssen auf dem Stand der heutigen Forschung und Wissenschaft das beinhalten, was wir über die Wechselwirkungen von Oberflächenfarben und Lichtfarben wissen und die psychologischen Wirkungen von Atmosphäre auf das Erleben und Verhalten von Menschen berücksichtigen. Wichtig ist auch, dass diese Konzepte über viele Jahre nachhaltig sind, die Bedürfnisse der Menschen nach einer gesunden und wohltuenden Umwelt erfüllen, damit es nicht zu Renovierungen kommt, bevor die Lebenszeit der Materialien und Einrichtungen erreicht ist. Ich kann meinen Bauherren belegen, dass sich gute Gestaltung lohnt, da diese immer auch eine Investition in das Wohlbefinden, die Gesundheit und Lebenszufriedenheit der betroffenen Menschen ist. Und dies nicht nur in Hinblick auf die Verweildauer von Patienten im Krankenhaus oder den Einsatz von Medikamenten und Therapien, sondern vor allem auch für die Gewinnung von Fachpersonal. Und dann gelingt es auch, dass z.B. kostenintensivere Lichtlösungen wie das Human Centered Lighting für Patientenzimmer im Intensivbereich eingeplant werden, weil wir empirisch nachweisen können, dass sich die Investition lohnt.

Neubau Epilepsiestation, Hephata Hessisches Diakoniezentrum e. V. (Foto: Michel Klehm)

Analysen und Studien mögen Bauherrschaften überzeugen können, doch allein schon bei den Vorstufen fehlt es an Zeit dafür. Gäbe es hingegen zu Projektstart bereits mehr Raum für disziplinübergreifenden Diskurs, könnten Synergien viel besser genutzt werden. Was meinen Sie, was muss passieren, damit Fachleute wie Sie nicht erst dann gerufen werden, wenn ein Gebäude nachweislich nicht funktioniert, sondern bereits von Anfang an dabei sind?

Meiner Ansicht nach besteht die Lösung darin, die Bauherrschaft vorher zu sensibilisieren und allen klar zu machen, dass es das Wissen vieler Akteure braucht  – denn dann muss man nicht hinterher argumentieren und flicken: Ja, euer Bau ist eine große Investition, doch wenn er nicht zum Wohl der Nutzer*innen gebaut wird und die Abläufe nicht optimiert sind, werdet ihr Probleme haben, qualifiziertes Personal zu finden und zu halten. Wer sich am Arbeitsort unwohl fühlt, ist anfälliger für Krankheiten. Und wenn ein Gebäude nicht der Widmung entsprechend genutzt werden kann, sinkt der Wert der Immobilie. 

Wenn man so argumentiert, sind Bauherrschaften einsichtig. Aber dazu müssten Architekt*innen erstmal anfangen, dieses Argument hervorzubringen und dann auch anders entwerfen. In der Lehre bekommen Studierende nicht die kommunikativen Skills vermittelt, mit denen sie später eine Diskussion führen können, in der sie ernst genommen werden. Die Psychologie der Umweltwahrnehmung spielt im Entwurf oft keine oder eine viel zu untergeordnete Rolle. Wenn man sich intensiv damit auseinandersetzt, wie die späteren Nutzergruppen ihre Lebens- und Arbeitsumwelt wahrnehmen, welche Bedürfnisse daraus resultieren und wie sich diese Erkenntnisse in gestalterische Lösungen umsetzen lassen, führt das zu einer nachhaltigen und humanen Architektur, bei der wahrnehmende, erlebende und handelnde Mensch im Mittelpunkt steht. Diese Beschäftigung bildet die Grundlage für die Bearbeitung aller weiteren Aspekte der Architektur, wie die Auseinandersetzung mit der  generellen Aufgabenstellung, der Konstruktion, Bauphysik und Technik und des reinen Raumprogramms.

Neubau Epilepsiestation, Hephata Hessisches Diakoniezentrum e. V. (Foto: Michel Klehm)

Die sogenannte Phase Null oder Partizipationsprozesse von Initiativen könnten dafür den Raum geben, aber sie werden viel zu wenig genutzt. Und wichtig wäre ja auch, dass die Bauherrschaft bereits bei der Grundstückssuche ein breiteres Wissen an der Hand hätte, um nicht bei entscheidenden Punkten wie Lage und Ausrichtung bereits Fehler zu machen.

Das erlebe ich leider sehr oft, dass bereits die Wahl des Grundstückes ein Problem ist. Dabei muss die Bauherrschaft unbedingt überlegen, wo sie baut! Umweltfaktoren wie der Ausblick auf einen Grünraum oder die natürliche Belichtung tragen messbar zum Wohlbefinden und zur Gesundung von Patienten bei. Das heißt, wir müssen bereits bei der Wahl des Grundstücks über die Wahrnehmung der Nutzer und ihre Bedürfnisse reden. Allein daran scheitert es schon oft. 
Weiter geht es mit der Ausrichtung des Baukörpers auf dem Grundstück und der Festlegung des Raumprogramms, auch da müsste Bauherrschaft und gegebenenfalls die Jury bei einem Wettbewerb viel mehr sensibilisiert sein. Die atmosphärische Wirkung der Umgebung und die natürliche Belichtung der Räume sind entscheidend für ein nachhaltig funktionierendes Gebäude.


Wobei Erweiterungen auf dem eigenen Gelände – wenn möglich – sehr beliebt sind, weil dann die Personal- und Versorgungswege kurzgehalten werden können. Da ist es dann eng und eingeschränkt, Wünsche nach Licht und Ausblick verlieren gegen die Effizienz. Auf der grünen Wiese sieht das anders aus, aber dann verliert das Haus auch seine etablierte und vielleicht strategisch günstigere Lage.

Diese Grundsatzentscheidung muss die Bauherrschaft fällen, das ist schon klar. Ich selbst kann nur Argumente liefern, die empirisches belegen, warum sich eine bedürfnisorientierte Gestaltung lohnt: Es gibt sehr starke Auswirkungen von der Lebensumwelt auf unsere körperlichen Befindlichkeiten und unseren seelischen Zustand. Wir sind weder körperlich noch psychisch getrennt von unserer Umwelt, sondern in vieler Hinsicht eng verbunden, wir bilden ein System mit ihr. Es wäre also erstmal wichtig, die Entwurfsmethodik wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen, also von der Frage weg zu kommen, was ich als Gestalter erreichen will. Denn für mein Gegenüber ist nicht wichtig, was ich gestalten will, sondern nur, was ich für ihn oder sie tun kann. Leider werde ich meistens erst gerufen, wenn die Lage bei einem Projekt schon prekär ist. 

Ein gutes Beispiel für so einen Fall ist die Frühgeborenenstation einer Kinderklinik in Bremen, in die das Personal nach Fertigstellung ein Jahr lang nicht einziehen wollte. Es ging um Frühgeborenen-Intensivmedizin, und dabei ist Atmosphäre für das Personal, aber auch für die Eltern der Babys enorm wichtig. Das Personal hat heute glücklicherweise mehr Macht und kann derlei Bedürfnisse einfordern. Bei einem anderen Projekt im Klinikum Steyer (AT) machen wir mit dem Personal und dem Planungsteam schon vor der eigentlichen Planung Workshops, um möglichst alle Beteiligten in einen partizipativen Gesprächsprozess einzubinden, der bis zur Fertigstellung des Gebäudes läuft. Der Ort ist eine sehr gebirgige Gegend mit vielen Farbklängen in der umgebenden Natur und der historisch gewachsenen Baukultur, und so ein vertrautes, heimatliches Gefühl kann für das Wohlbefinden von Patienten und Beschäftigten positiv sein, ein Gefühl von Vertrautheit schaffen. Vielleicht sehen sich die Nutzer aber auch ganz anders und brauchen eine modernere Atmosphäre, die ihrem Selbstverständnis mehr entspricht. Genau für solche Dialoge und Findungsprozesse haben wir den Partizipationsprozess.

Neubau Epilepsiestation, Hephata Hessisches Diakoniezentrum e. V. (Foto: Michel Klehm)

Mit derlei Projekten, auch wenn sie unterschiedlich groß sind, erreichen Sie Aufmerksamkeit und bereiten den Weg für neue Ideen. Immer noch gibt es so viele öffentliche Orte – ob Schulen, Spitäler oder Behörden –, die man eh schon ungern besucht, und an denen dennoch so wenig investiert wird hinsichtlich der Gestaltung. Lange Gänge, weiße Türen, Namensschilder. Wem muss man hier wie begreiflich machen, dass ein anderer Weg besser wäre?

Auf dem freien Markt haben wir es sehr einfach mit guten Lösungen, weil da Objekte auch verkauf- oder vermietbar sein müssen. Im öffentlichen Bereich hingegen gibt es oftmals schwierige Situationen, die es – leider oft erst nachträglich – zu lösen gilt. Hier muss man erstmal ein Bewusstsein dafür schaffen bei den Betreibern, wer sie sein wollen und wie sie gesehen werden wollen. Sobald sie Leitbilder definieren, formulieren sei ihr Selbstverständnis, können zukünftige Herausforderungen einplanen. Bei Schulen sind das zum Beispiel die Digitalisierung und die kulturelle, sprachliche und religiöse Heterogenität der Klassen. Es ist zu diesem Zeitpunkt nicht das Thema, in welcher Farbe wir welche Wand streichen, es geht vielmehr darum, die Gestaltung nachhaltiger anzugehen. Wir haben durch Messungen feststellen können, dass es in Schulen mit guten räumlichen Atmosphären zu weniger Gewalt kommt und dass die Lernergebnisse besser sind – das sollte ein Anreiz für alle Bauschaffenden sein. Schön wäre es, wenn wir dabei noch Akustiker und Materialfachleute einbinden könnten, damit wir ganzheitliche Lösungen für die Menschen schaffen. 

Neubau Epilepsiestation, Hephata Hessisches Diakoniezentrum e. V. (Foto: Michel Klehm)

An solch übergreifend geplanten Projekten mangelt es jedoch. Das erstaunt mich, denn eigentlich sehen wir doch immer wieder Beispiele, bei denen nach Fertigstellung noch großer Aufwand betrieben werden muss. Ich würde mir von viel mehr Baubeteiligten wünschen, dass sie sich Gedanken zu Wirkung im Stadtraum und zur Langlebigkeit der Materialien machen und auch Zeit für Diskussionen dieser Themen einplanen – immerhin stehen Gebäude für mehrere Jahrzehnte in unserer Umgebung.

Solche Nachhaltigkeit braucht es auch in der Farbplanung mehr. Denn wenn ich Farbe als Material definiere, mit dessen Einsatz ich eine Atmosphäre in Räumen schaffe, dann soll das auch über lange Zeit gut wirken. Ich bin kein Freund von Trends, die sind in unserer Branche eher gefährlich und können nach wenigen Jahren Projekte unattraktiv machen. Bestimmte Bereiche im Raum müssen nachhaltig sein. Auch Farb- und Lichtlösungen müssen wir mit einer Nutzungszeit belegen und lange gültige Entscheidungen treffen. Wenn wir Dinge so konzipieren, dass sie über Generationen funktionieren oder schlichtweg ihre reguläre Haltbarkeit erfüllen, lassen sich viele Umbauten vermeiden. 

Wichtig ist, dass man bei der Farbgestaltung nicht allgemeingültige Konzepte sucht und sie dann vervielfältigt. Als Forscher feststellten, dass ein „cool down pink“ in einem Gefängnisraum beruhigen kann, waren das zum Beispiel Beobachtungen von Einzelsituationen, die sich nicht verallgemeinern lassen. Wenn ich Menschen verblüffe, Räume liebevoll gestalte oder auch Musik im Zimmer einspiele, kann das dazu führen, dass sie sich beruhigen. 

Verallgemeinern kann man diese quasi Laborsituationen aber nicht. Ist man kurzzeitig in einem solchen Raum, mag es funktionieren, nicht aber, wenn man ganztägig klassische Musik hört und dabei auf rosafarbene Wände schaut. Gegen derlei Zwangstherapien wehren sich Menschen automatisch. Man muss also sehr aufpassen, isolierte Effekte auf generelle Gestaltungsprinzipien zu übertragen. Wissenschaft ist das Eine, Erfahrung das Andere, in der Farbgestaltung von Architektur ist beides unverzichtbar.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Buether!

Axel Buether (Foto: Martin Jepp)

Nach der Ausbildung zum Steinmetz sowie der beruflichen Praxis als Restaurator und freier Steinbildhauer studierte er Architektur an der TU Berlin, der UdK Berlin und der Architectural Association London. Nach der wissenschaftlichen Assistenz an der Universität Cottbus lehrte er an der Kunsthochschule Halle Burg Giebichenstein, der Hochschule Hannover, der Universität Siegen sowie der Universität Wuppertal. Seine viel beachteten Studien zu den gesundheitlichen und psychosozialen Wirkungen von Licht und Farbe auf Patienten, Angehörige und Personal, die in Kooperation mit Gesundheitseinrichtungen in ganz Deutschland entstanden sind und kontinuierlich weitergeführt werden, fördern inzwischen einen tiefgreifenden Wandel im Gesundheitsbau.

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