Mit Krankenhausarchitektur globale Herausforderungen meistern
Susanna Koeberle
29. Januar 2024
Das »Salam Center for Cardiacic Surgery« von TAMassociati liegt im Süden von Khartoum (Sudan). Im Bild der Wartebereich der Klinik. (Foto: AKAA/Cemal Emden)
Drei Beispiele aus Afrika zeigen, wie Architektur Krisen begegnen kann. Der afrikanische Kontinent ist besonders stark von den Auswirkungen des Klimawandels sowie von Armut und den damit zusammenhängenden Krankheiten betroffen. Zugleich werden an solchen Orten wichtige Weichen gestellt.
Weltweit findet in der Krankenhausarchitektur ein Paradigmenwechsel statt, der unter anderem mit einer neuen Sensibilität für die mannigfaltigen Herausforderungen des Bauwesens in Zeiten der Klimakrise zusammenhängt. Dass diese Gebäudetypologie zu den komplexesten Bauaufgaben überhaupt gehört, hat auch technische und organisatorische Gründe. Es gilt überdies für die großen Bauvolumen und die flexibel zu gestaltenden Raumprogramme ästhetisch ansprechende Lösungen zu finden, Räume zu schaffen also, in denen sich Menschen gerne aufhalten und gesund werden können. Doch Kliniken sind weit mehr als architektonische Gebilde, sie sind zugleich Gradmesser gesellschaftlicher und politischer Zustände und Entwicklungen. Diese variieren zwar von Region zu Region, aber das Bewusstsein dafür, dass viele aktuelle Probleme weit über Landesgrenzen miteinander zusammenhängen, hat in der letzten Dekade zugenommen. Auch diesbezüglich befinden wir uns in einem Transformationsprozess.
Zu den Verstrickungen zwischen unterschiedlichen geografischen Zonen gehört das Thema Kolonialismus; die Auswirkungen dieser historischen Periode werden erst heute in ihrem ganzen Ausmaß anerkannt und untersucht – dank Lesley Lokko auch in der Architektur. Die Kuratorin der diesjährigen Architekturbiennale stellte die Themenfelder Dekolonialisierung und Dekarbonisierung ins Zentrum ihres kuratorischen Ansatzes. In ihrem »Labor der Zukunft« spielten der Kontinent Afrika und die afrikanische Diaspora eine zentrale Rolle. Lokkos Biennale richtete einen längst fälligen Blick auf eine sträflich vernachlässigte Region und ihre vielfältigen Kulturen: Denn obwohl Afrika immerhin zwanzig Prozent der gesamten Landfläche unseres Planeten ausmacht, gibt es hinsichtlich architekturhistorischer Aufarbeitung noch einiges zu tun. Pyramiden kennt man. Aber was ist mit dem Rest? Hier klafft gleichsam eine Leerstelle. Diese Situation sagt schon viel darüber aus, aus welcher Perspektive die Geschichte des afrikanischen Kontinenten bis anhin erzählt wurde. Und es zeigt, dass damit ein großer Teil der Menschheit aus einem Diskurs ausgeschlossen war. Die Geschichte der Architektur sei nicht falsch, aber unvollständig, findet die ghanaisch-schottische Architektin, Akademikerin und Romanautorin.
Schon die Außenansicht zeigt das Zwiebelschichtenprinzip des Baus. (Foto: TAMassociati)
Das bewog uns dazu, im Rahmen des Beitrags »Healing architecture. Fokus international« drei Projekte aus Afrika vorzustellen. Das bedeutet nicht, dass in den USA, Südamerika oder Asien keine wegweisenden und innovativen Krankenhäuser entstehen würden. Doch gerade der Globale Süden kämpft mit gravierenden Problemen im Gesundheitsbereich. Dass viele afrikanische Länder besonders stark von Krankheiten heimgesucht werden, hängt auch damit zusammen, dass es kein flächendeckendes Gesundheitssystem gibt. Dies wiederum ist zum Teil auf den raschen Bevölkerungsanstieg zurückzuführen. In den meisten der 54 afrikanischen Staaten ist auch die Armut groß und viele Menschen haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung – und traurigerweise ebenso wenig zu Trinkwasser, sanitären Anlagen oder Elektrizität.
Das steht im Widerspruch zur Tatsache, dass Afrika reich an Rohstoffen ist. Nur kommt dieser Reichtum nicht bei den armen Leuten an. Zu Armut, Hunger und Krankheiten trägt nicht zuletzt der Klimawandel bei, dessen Auswirkungen im Globalen Süden besonders drastisch zu spüren sind. Dazu kommt, dass ein Großteil der Krisenregionen auf dem afrikanischen Kontinent liegt, was viele Menschen zur Flucht zwingt – notabene meist innerhalb des Kontinents. Gesamthaft betrachtet keine rosigen Perspektiven also. Ein Grund mehr Projekte in den Vordergrund zu rücken, die sich diesen zahlreichen Herausforderungen stellen. Und die damit nicht nur die Not der gesundheitlich gebeutelten Bevölkerung Afrikas lindern, sondern sich auch aus internationaler Sicht als beispielhafte Gesundheitsbauten zu behaupten wissen.
Beim Entwerfen eines Spitals in dieser klimatischen Zone stellte sich die Hitze als größte Herausforderung heraus. (Foto: AKAA/Cemal Emden)
Aufgrund von häufig unstabilen staatlichen Strukturen und grassierender Korruption werden viele Krankenhausbauten in Afrika durch private Organisationen initiiert. Das war auch beim »Salam Center for Cardiacic Surgery« im Süden von Khartoum (Sudan) von TAMassociati der Fall. Mittlerweile unterstützt zwar die sudanesische Regierung das Zentrum für Herzchirurgie, das hochspezialisierte Hilfe für Patienten mit kardiologischen Erkrankungen bietet. Die aus mehreren Bauten bestehende Klinik wurde 2007 in Betrieb genommen. Die gesundheitliche Betreuung ist kostenlos.
Das venezianische Büro arbeitet schon seit 2004 mit der italienischen humanitären Organisation »Emergency« zusammen und hat seither mehrere Gesundheitszentren im Sudan entworfen. Mitte April 2023 brachen in Khartoum heftige Kämpfe zwischen der Armee und einer paramilitärischen Miliz aus, die sich auf das ganze Land ausweiteten. Das erschwerte den Zugang zu medizinischen Einrichtungen zusätzlich. Die NGO reagierte umgehend darauf, stellte ein Netzwerk von Satellitenkliniken bereit und eröffnete im August 2023 innerhalb des bestehenden Herzchirurgie-Komplexes eine Klinik für Unfall- und Traumachirurgie, welche die Opfer des Konflikts behandelt.
Beim Entwerfen eines Spitals in dieser klimatischen Zone stellte sich die Hitze als größte Herausforderung heraus. Die Temperaturen in den Subsahara-Staaten Afrikas können bis auf fünfzig Grad steigen, was eine gute und zugleich energetisch sinnvolle Lösung für die Kühlung der Räumlichkeiten erforderte. Den häufigen Sandstürmen in der Region begegneten die Architekten mit einem cleveren Luftfiltrierungsystem. Ihre Hauptfrage im Entwurfsprozess laute stets: »Was brauchen wir wirklich?«, fragt Raul Pantaleo, Mitgründer des Architekturbüros. Um die Bauten vor den äußeren Einflüssen zu schützen, besteht das Mauerwerk aus zwei Schichten. Die Isolierung erfolgt durch ein Zwiebelsystem aus 5 cm dicken Isolierpaneelen im Inneren und einer Außenhaut aus einem belüfteten Metalldach und Bambusrollos. Eine Solaranlage versorgt das Warmwassersystem. Ein zentraler Aspekt, den es schon im Entwurf zu berücksichtigen galt, war das Tiefhalten der Kosten den späteren Betriebsaufwand betreffend.
Trotz all diesen Parametern sei die erste Botschaft, die man den Patienten und Patientinnen des Zentrums vermitteln wollte, Schönheit; und dass man diese Menschen als gleichwertig betrachte, sagt der Architekt. Die Pflege von ästhetischen Details – dazu gehört etwa das Einbinden von Pflanzen auf dem Areal – kann zum Heilungsprozesses beitragen. Wenngleich das Wort Schönheit zunächst als Luxus klingen mag angesichts der extremen Bedingungen im Sudan: Es zeigt, dass dies eine gemeinsame Eigenschaft einer sich an der Würde des Menschen orientierenden Gebäudetypologie ist. Aus dieser Perspektive betrachtet hätte der Ort, an dem dieses Gebäude steht, erst an zweiter Stelle einen Einfluss auf den Entwurf. Einzig durch diese Priorisierung kann Architektur zum Instrument der Fürsorge werden.
Die zehn Module des «Surgical Clinic and Health Center« sind wie in einem Dorf entlang einer Straße angeordnet. (Foto: Andrea Maretto for Kéré Architecture)
Dieser Grundsatz scheint sich auch der 1965 in Burkina Faso geborene Architekt Diébédo Francis Kéré zu Herzen zu nehmen. Sein in Berlin ansässiges Büro hat sich der Gestaltung nachhaltiger Gebäude verschrieben, die mit lokalen Materialien und Arbeitskräften erstellt werden. Kéré, der 2022 mit dem Pritzker-Preis geehrt wurde, wandte dieses Prinzip auch bei seinem 2014 fertig gestellten Klinikneubau in Léo (Burkina Faso) an. Hauptziel des Projekts war, das bestehende Bezirkskrankenhaus zu entlasten und den medizinischen Bedarf der Bevölkerung zu decken; das Krankenhaus ist mit chirurgischen Einrichtungen, einer stationären Abteilung und einer Entbindungsstation ausgestattet. 2018 kamen Unterkünfte für Ärzte hinzu.
Die chirurgische Klinik, die dank der Unterstützung durch den gemeinnützigen Verein »Operieren in Afrika e. V.« entstand, ist mehr als ein Gesundheitszentrum. Denn Architektur steht hier zugleich für das Prinzip Kooperation. In der Bauphase diente die Klinik der Schulung der ortsansässigen Handwerker*innen; nach Fertigstellung sind dort internationale Spezialist*innen in Kurzeinsätzen tätig und bilden in diesem Rahmen einheimische Ärzte und Pflegerinnen weiter.
Surgical Clinic and Health Center (Foto: Andrea Maretto for Kéré Architecture)
Der Komplex besteht aus zehn Modulen, die wie Häuser in einem Dorf entlang einer zentralen Straße angeordnet sind und eine vertraute Umgebung schaffen. Zu dieser Interpretation traditioneller städtebaulicher Strukturen kommt die Verwendung von lokalen Materialien, Fertigkeiten und ökologischen Strategien hinzu: Die Wände sind aus sonnengetrockneten Stampflehmziegeln gebaut, deren thermische Masse die Temperaturregulierung in den Innenräumen erleichtert. Die belüfteten Doppeldächer bieten Schutz vor der Sonne, indem sie die Strahlung ableiten; und ein einfaches System sammelt das Regenwasser für die Bewässerung der umliegenden Bäume. Die weit auskragenden Dächer schützen den Lehm vor Regen und direkter Sonneneinstrahlung. Ein ästhetisch prägendes Merkmal sind die farbigen, hervorstehenden Fensterlaibungen aus Holz, die dem ganzen Komplex eine freundliche Ausstrahlung verleihen.
Farbige Akzente und Pflanzen schaffen eine freundliche Atmosphäre. (Foto: Andrea Maretto for Kéré Architecture)
Erst noch im Bau befindlich ist schon die Lage des »Magdi Yacoub Global Heart Center« in Kairo ziemlich spektakulär: Von der Klinik aus wird man die weltberühmten Pyramiden von Gizeh sehen. Auch die Architektur des 300 Betten umfassenden Neubaus – eine Zusammenarbeit zwischen Foster + Partners und der Firma Dar – ist prägnant. Das Krankenhaus grenzt an ein bestehendes Forschungszentrum und soll 2025 fertig gestellt werden. Hinter diesem Bauprojekt steht ebenfalls eine private Geldgeberin, nämlich die »Magdi Yacoub Foundation«. Ihre Mission besteht in der Verbesserung der gesundheitlichen Situation der schwächsten Bevölkerungsgruppen, dazu gehören insbesondere Kinder. Sie stellt diesen Menschen eine fortschrittliche und kostenlose Herzbehandlung zur Verfügung.
Die Dachkonstruktionen der vier Baukörper sind von Feluken, den im Nil typischen Segelbooten, inspiriert. Rund um und mitten im Komplex soll eine üppige Vegetation gedeihen; die Klinik selbst wurde nach sogenannt biophilen Designkriterien entworfen. Angesichts der Tatsache, dass Kairo mit rund 22.18 Millionen Einwohner*innen die größte afrikanische Stadt ist, ist die Expansion des bereits gebauten Herzzentrums der Stiftung in Assuan mehr als ein Luxus, sondern schlicht eine Notwendigkeit. Durch den Standort in der Nähe von Kairo wird die Klinik für mehr Menschen zugänglich. Das Thema Zugänglichkeit ist zentral, wenn es darum geht, das vielerorts marode Gesundheitssystem im afrikanischen Kontinent zu verbessern.
Dieser Artikel erscheint im Rahmen des Themenspecials »Healing Architecture«. Darin diskutieren wir mit wichtigen nationalen und internationalen Fachleuten darüber, mit welchen Kriterien in Gesundheitsbauten eine hohe Aufenthaltsqualität geschaffen werden kann. Zudem stellen wir Gesundheitsbauten vor, in denen diesem Thema bereits ein hoher Stellenwert beigemessen wird. Bereits erschienen sind:
– Der Weg zu mehr Aufenthaltsqualität im Krankenhaus: Wirtschaftliche Aspekte der Krankenhausplanung