Heimtextil 2024: Von Menschen und Maschinen

Silke Bücker
24. Januar 2024
Full House bei der Auftakt-Pressekonferenz, im Rahmen derer das Thema KI im Textildesign kontrovers diskutiert wurde. (Foto: Mathias Duerr / World-Architects) 

Die Eröffnungspressekonferenz, die von Alexandra Bohn, Style Content Director der F.A.Z. Quarterly, moderiert wurde, fokussierte Künstliche Intelligenz, die von vielen als Unterstützung und Erleichterung von Arbeitsprozessen bereits genutzt und wertgeschätzt wird, insbesondere unter Kreativen wie etwa Textildesigner, aber auch Skepsis und Sorge hervorruft.

Gemeinsam mit Anja Bisgaard Gaede, Gründerin der Trendagentur SPOTT trends & business, Danny Richman, KI-Berater und Erfinder der KI-basierten Design-App »Fabric Genie« und Olaf Schmidt, Vice President Textiles & Textile Technologies der Messe Frankfurt, diskutierte Alex Bohn Potenzial und Status quo von Künstlicher Intelligenz im Textildesign. Im Trend Space, dem Herzstück der Heimtextil, der unter Federführung von SPOTT kuratiert und inszeniert wurde, konnten Besucher*innen die Möglichkeiten der KI mithilfe der Anwendung »Mannd« selbst erproben und ausloten, wie diese beispielsweise bei der Formfindung eines Sofas oder der Gestaltung eines Tapetendekors performt.

Danny Richman appellierte an das Publikum, die KI als neuartiges Privileg unserer Zeit zu verstehen, das Kreativ-Prozesse effizienter gestalten und den Output somit optimieren kann. Voraussetzung dafür jedoch sind und bleiben die Qualität und Komplexität des menschlichen Briefings: Je kreativer, detaillierter und smarter die Maschine mit Informationen gefüttert wird, desto brillanter gelingt, was sie ausspuckt. Auch kann die KI nicht nur bei der inhaltlichen und ästhetischen Objektfindung dienlich sein, sondern zudem bestimmte, funktionale Produkteigenschaften generieren, was für das Objektgeschäft aber auch für das Thema Nachhaltigkeit von großer Bedeutung sein dürfte.

Materialien, die im Reagenzglas oder der Petrischale gezüchtet werden, verweisen auf die Zukunft: Etwa Stoffe mit Einfärbungen auf Basis von Bakterien. (Foto: Mathias Duerr / World-Architects) 

Während einerseits also zukünftige Transformationsprozesse und ihre Potenziale beleuchtet wurden, ging es andererseits übergreifend und in unterschiedlicher Interpretation um etwas sehr Menschliches: nämlich um einen sensiblen Umgang mit und eine neue Wertschätzung von Stoffen und deren Herstellungsprozesse. Unter der Überschrift »New Sensitivity« schenkte der Trend Space der Heimtextil in diesem Jahr neuen textilen Rohstoffen große Aufmerksamkeit. Designer sind mehr denn je aufgefordert, den Impact auf Mensch und Natur bei der Entwicklung eines Produkts zu berücksichtigen und bei Entscheidungen stets die Aufrechterhaltung des ökologischen Gleichgewichts voranzustellen. Geht es nach den Expertinnen Experten, so bilden drei verschiedene Konzepte die Ausgangsbasis für zukünftige Stoffe: pflanzenbasiert, technologisch und biotechnologisch.

Die dänische Firma pond A/S etwa demonstrierte mit spannenden Showcases, wie der Brückenschlag zwischen Natur und Technik die Art und Weise der Textilherstellung revolutionieren kann. CEO und Mit-Gründer Thomas Brorsen Pedersen resümiert: »Das Interesse an unseren bio-engineered Cycle Yarns war überwältigend. Wir sind jetzt in der Lage, die physikalischen Eigenschaften von Polyester aus fossilen Quellen mit 100 Prozent pflanzlichen Materialien, die in hohem Maße recycelbar sind, vollständig zu erreichen. Auf der Messe haben wir ein Textil auf der Basis von Grassaft und eines auf der Basis von Kaffeeabfällen aus Kolumbien vorgestellt. Im Grunde können wir Zucker aus Pflanzenabfällen in synthetische biobasierte Garne und Stoffe umwandeln und so Kohlenstoff aus der Atmosphäre binden, anstatt ihn freizusetzen.«

Anstatt also Fasern direkt aus Pflanzen zu generieren, werden Proteine und Kohlenhydrate aus Mais, Gras, Rohrzucker oder Bakterien eingesetzt. Die Fasern werden durch einen biomolekularen Prozess hergestellt, bei dem Filamente entstehen, die dann zu Garnen versponnen werden. Diese sind mit den gleichen Benefits ausgestattet wie synthetische Textilien, aber können aufgrund ihres biologischen Ursprungs vollständig abgebaut werden.

Viel Andrang und kompetente Auskünfte bei ponds A/S: Martin Jensen, einer der beiden Gründer. (Foto: Mathias Duerr / World-Architects) 

Textilien oder auch Lederimitate auf Pflanzenbasis, etwa aus Bananen, Oliven, Kakis, Seegras, Kaktus oder Hanf, bringen den Vorteil mit, dass sie sich unkompliziert in bestehende Ökosysteme zurückführen lassen. Nicht selten werden zudem Nebenprodukte verwendet, die beim Anbau oder der Produktion übrigbleiben. Neue Technologien wiederum können die Transformation von textilen Abfällen – ob Up- oder Recycling – zu etwas Wiederverwendbarem unterstützen und somit dem Anspruch an zirkuläres Wirtschaften Tribut zollen. Auch traditionelle Techniken zeigen sich durch Energieeinsparung in der Produktion oder der Haltbarkeit von Naturfasern mithilfe technologischer Möglichkeiten suffizienter.

»Die interessanten neuen Rohstoffe für die Textilerzeugung und die ökologischen Alternativen für die Stoffverarbeitung und das Recyclen haben mich wirklich begeistert.«

Christina Biasi-von Berg, Architektin von Biquadra, Meran (BZ)

Sieht aus wie Leder, fühlt sich an wie Leder und war mal Bambus. (Foto: Mathias Duerr / World-Architects) 

Die von der Trendagentur FranklinTill kuratierten »Heimtextil Future Materials« stellten regenerative Materialien in den Mittelpunkt und präsentierten ein internationales Schaufenster hochmoderner Textilien, um die Prinzipien des regenerativen Designs auf inspirierende Weise zu veranschaulichen. Etwa Studio Sarmite, das Materialdesign- und Forschungsstudio der Designerinnen Sarmite Polakova und Mara Berzina, das mit »(Un)woven« ein Bio-Textilkonzept aus minderwertigen Fasern zeigte. Dieses leichte und ästhetisch überzeugende Biotextil eignet sich für Mode, Interior und Produkt-Design. Das Material ist so regenerativ, dass es wieder und wieder recycelt werden kann.

Die Biotextilien »(Un)woven« von Studio Sarmite überzeugen in Optik und Haptik. (Foto: Mathias Duerr / World-Architects) 

Vom Spektrum der neuen Möglichkeiten zeigte sich Christina Biasi-von Berg, Architektin von Biquadra nach ihrem Vortrag und und ihrer Führung im Rahmen der World-Architects Talks+Tours, beeindruckt: »Die interessanten neuen Rohstoffe für die Textilerzeugung und die ökologischen Alternativen für die Stoffverarbeitung und das Recyclen haben mich wirklich begeistert.«

Und nicht nur inhaltlich erfahren Natur und Technik eine neue Wertschätzung, auch ästhetisch, wie Marburg Tapeten mit der Kollektion »Travertino« zeigte. Creative Director Felix Diener entwickelte ein Wanddekor, das in Struktur, Haptik und Optik die Ästhetik des Kalksteins Travertin perfekt imitiert. Auch Optiken wie Geflecht, Leinen oder Holz lassen sich künftig vergleichsweise mühelos an die Wand bringen. »Wir haben versucht, die Natur so echt wie möglich einzufangen«, sagte Felix Diener.

Die neue Edition »Travertino« von Marburger Tapeten, die hochwertigem Naturstein nachempfunden ist. (Foto: Mathias Duerr / World-Architects) 

Ursprünglichkeit und Tradition, Handwerk und natürliche Optiken definierten ebenfalls in der für die Heimtextil neu installierten Hallenebene 5.1, in der rund 100 globalen Anbieter*innen aus dem Segment »Carpets und Rugs« ausstellten, das Bild. Sanfte, teils wie verblasst wirkende Erdtöne als eine Art Patina, gebrannte Farben oder Designs, die an Naturszenarien aus der Vogelperspektive erinnern, gab es bei einem der prominentesten Austeller – »Ragolle Rugs« – in facettenreicher Interpretation zu sehen.

Natürliche, ursprüngliche Optiken und Farbwelten bei »Ragolle Rugs« verweisen auf die Ressourcen des Planeten. (Foto: Mathias Duerr / World-Architects) 

Wichtig für architektonische Anwendungen von Heimtextilien bleibt der Bereich der Objekttextilien, die mit immer raffinierteren funktionalen Konzepten aufwarten und zunehmend Nachhaltigkeits-Themen wie etwa chemisches Recycling in den Fokus nehmen, ohne ästhetisch-dekorative Aspekte zu vernachlässigen. Indorama Ventures, die mit ihrer Objektgarn-Marke Trevira CS mit inspirierenden Installationen prominent auf der Heimtextil vertreten war, bietet beispielsweise künftig ein Rücknahmeprogramm für Textilien aus dem Pre- und Post-Consumer-Bereich an, um den Lebenszyklus der Produkte zu verlängern. Dies bestätigt Anke Vollenbroeker, Director Marketing & Business Development bei Trevira CS: »Auf besonders großes Interesse stießen die Nachhaltigkeitsthemen wie Fasern, Garne und Stoffe, die in unterschiedlichen Recyclingprozessen gewonnen werden.«

Trevira CS Stoff aus chemisch recyceltem Rohstoff, gewebt von Gabriel A/S. (Foto: Trevira CS)

Mannigfache Trendvorträge, Paneldiskussionen sowie Talks+Tours in hochkarätiger Besetzung mit fünf Expertinnen und von World-Architects organisiert, dienten Besucherinnen und Besuchern über den gesamten Zeitraum der Heimtextil hinweg als Orientierung, Inspiration und Plattform für Austausch und Vernetzung. Nichts ist in Zeiten zunehmender Digitalisierung wichtiger als die physische Begegnung und das kollektive, solidarische Ausloten neuer Wege in Richtung Zukunft unserer Branche, wie auch Olaf Schmidt in seiner Eröffnungsrede mehrfach betonte. Gut besuchte Messehallen und ein Ausstellerplus von 25 Prozent gaben ihm Recht. Der Ausblick auf die kommende Ausgabe 2025 gestaltet sich dementsprechend vielversprechend und hochkarätig: So verkündete die Heimtextil bereits im Vorfeld der jüngsten Ausgabe eine Kooperation mit einem der bedeutendsten internationalen Design-Studios, dem Studio Urquiola, im Zuge derer eine wegweisende Installation geplant ist, die das verbindende Interesse an Innovation, Nachhaltigkeit und Design einmal mehr unterstreichen soll.

Guided Tour mit Christina Biasi-von Berg, Architektin von Biquadra, Meran (BZ) – rechts im Bild (Foto: Mathias Duerr / World-Architects) 

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