Klimabewusste Wandelbarkeit

Gustav Düsing
15. November 2023
Blick über die Straße auf die transformatierte Deutsche Botschaft Tel Aviv, Residenz (Visualisierung: Gustav Düsing / grau visuals)
Nördlich von Tel Aviv, in Herzliya, soll auf einem 2.185 m² großen Grundstück die die Residenz der Deutschen Botschaft errichtet werden. Welche Ausgangssituation haben Sie vorgefunden?

Das Bestandsgebäude, in dem sich die Residenz des Deutschen Botschafters bereits befindet, ist ein schlichter Bau, der als Massivbau in Beton Mitte der 1950er Jahre als reines Wohnhaus errichtet wurde. Das Gebäudeensemble besteht aufgrund des abfallenden Geländes, aus einem straßenseitig zwei- und zum Garten hin dreigeschossigen Haupthaus sowie einem eingeschossigen Seitenflügel. Da das Gebäude auf der einen Seite für die Nutzung als Residenz zu klein ist und auf der anderen Seite den repräsentativen Ansprüchen an ein Botschaftsgebäude nicht genügt, und dazu aktuell auch stark sanierungsbedürftig ist, zielte der Wettbewerb grundsätzlich auf einen Abriss und Neubau ab. Beiträge, die einen Erhalt des Bestandes vorsehen, sollten laut Auslobung aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. Die bereits bestehende Organisation, mit den repräsentativen Empfangsräumen im Erdgeschoss und den privaten Räumen des Botschafters im Obergeschoss, wird von den Nutzerinnen und Nutzern als durchaus positiv und funktional wahrgenommen. Der große Bestandsgarten mit altem Baumbestand wird sehr geschätzt und sollte laut Auslobung weitestgehend erhalten bleiben.

Lageplan (Zeichnung: Gustav Düsing in Zusammenarbeit mit wolff:architekten)
Wie fanden Sie zum vorgeschlagenen Baukörper?

Am Anfang des Entwurfsprozesse haben wir uns die Frage gestellt: wie kann das Bestandsgebäude so transformiert werden, dass es auf der einen Seite den räumlichen und repräsentativen Ansprüchen an einer Botschaftsresidenz genügt und auf der anderen Seite den klimatischen Bedingungen zum Trotz mit einfachen und passiven Mitteln auf nachhaltige und energiesparende Weise unterhalten werden kann? Dabei war es mir wichtig die geforderten Flächen nach ihrem wirklichen Gebrauch hin zu prüfen. Zum Beispiel: Brauchen wir wirklich eine vollklimatisierte Gebäudehülle für eine Empfangshalle die nur 1-2 im Jahr genutzt wird? Der Bestand wird also erhalten und in Massivbauweise in Süd-Ost Richtung erweitert um dem zusätzlichen Raumbedarf gerecht zu werden. Die neue leichte Gebäudehülle umschließt das Gebäude als eine kompakte Form und erzeugt eine klimatische und programmatische Zwischenzone (Mid-Doors), die an wenigen Tagen im Jahr als Empfangshalle genutzt werden kann und ansonsten Teil des Gartens bleibt. 

Die wandelbare Fassade verschattet diese Räume an heißen Tagen und kann bedarfsweise händisch geöffnet werden um die Sonne als Wärmequelle zu nutzen oder Ausblicke zu erlauben. Das auch unter dem Begriff der »klimabewussten Wandelbarkeit« beschriebene Konzept lässt das Gebäude je nach Jahres und Tageszeit anders erscheinen da es flexibel und anpassungsfähig ist. Gleichzeitig erlaubt die bewegliche Fassade die privaten Bereiche des Botschafters bei größeren Veranstaltungen zu verbergen, so kann die Residenz von einem privaten Wohnhaus mit einfachen Mitteln in ein repräsentatives Gebäude verwandelt werden. Städtebaulich orientiert sich der Baukörper an der orthogonalen Strukturen der Grundstücke und Nachbarbebauung und wird als Volumen, dem im Vergleich zu den Nachbarn, deutlich größerem Grundstück gerecht.

Längsschnitt (Zeichnung: Gustav Düsing in Zusammenarbeit mit wolff:architekten)
Grundriss 1. Obergeschoss (Zeichnung: Gustav Düsing in Zusammenarbeit mit wolff:architekten)
Wie organisieren Sie die Residenz der Deutschen Botschaft?

Die vorgehende Erschließung erlaubt eine klare Trennung des amtlich-repräsentativen vom privaten Teil der Residenz. Das Gebäude öffnet sich zum Garten und stellt sich Richtung Straße geschlossen da. Organisatorisch folgt der Entwurf der schon im Bestand vorgefundenen Aufteilung: Der private Bereich der Residenz befindet sich im Obergeschoss, im Erdgeschoss befindet sich der amtliche Teil und im Untergeschoss befindet sich die Bewirtschaftungsräume und Aufenthaltsbereiche für Angestellte. Über ein neues, internes und mit einem privaten Eingang und Personenaufzug  ausgestattetes Treppenhaus entlang der Straßenseite ist der private Zugang vom amtlichen Teil der Residenz klar getrennt. Der private Bereich im Obergeschoss wird um einen großen Mid-Doors-Zone ergänzt und verfügt über eine Wendeltreppe als separatem Aufgang und Zugang zum Garten. Dieser Bereich ist eine Erweiterung des Innenraums und kann je nach Bedarf bespielt werden. Im Obergeschoss befindet sich zudem die Wohnung für den amtlichen Gast mit eigenem Eingang und Loggia. Der amtliche Teil der Residenz im Erdgeschoss wird über die als Empfangshalle dienende Mid-Door-Zone erschlossen und erhält einen großzügigen, repräsentativen Eingangsbereich. Die Empfangsräume werden Richtung Garten orientiert und lassen sich über eine Faltanlage komplett zum Außenbereich öffnen. Die Empfangshalle wird über eine große, geschwungene Treppe mit dem Niveau des Gartens verbunden und erlaubt eine direkte Sichtachse vom Betreten des Grundstück bis in den Garten. Die Bewirtschaftungsräume im Untergeschoss verfügen über eine Anlieferung und eigenem Zugang, inklusive einer großzügigen Durchreiche zum Garten. Die Aufenthaltsräume und Räume der privaten Angestellten verfügen über einen eigenen, geschützten Außenbereich.

Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung: Gustav Düsing in Zusammenarbeit mit wolff:architekten)
Grundriss Sockelgeschoss (Zeichnung: Gustav Düsing in Zusammenarbeit mit wolff:architekten)
Querschnitt (Zeichnung: Gustav Düsing in Zusammenarbeit mit wolff:architekten)
Welches architektonische Thema war Ihnen besonders wichtig?

Bau, Unterhalt und Abriss von Gebäuden sind für 40% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Diese Erkenntnis hat in der Deutschen Baukultur ein Umdenken hervorgerufen: Also weg vom Neubau und hin zum Erhalt von Bestandsbauten. Der aktuelle Beitrag im Deutschen Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig mit dem Thema »Open for Maintenance« beschäftigt sich mit Wegen, wie mit bestehenden Gebäuden auf nachhaltige Weise umgegangen werden kann. Nachhaltig Planen heißt auch, dem Bedarf entsprechend zu planen. Welche Aktivität braucht welche architektonische Hülle? Der Entwurf für die Residenz folgt dem Prinzip des »Eco-Minimalism« (Niklas Maak, FAZ 04.10.2022) als Idee der Reduktion als Ausdruck einer klima- und ressourcenschonenden Architektur. Diese gestalterische Haltung versteht sich als Alternative zu übertechnisierten Gebäudehüllen und energieintensiven Komfortansprüchen und betrachtet Raumklima als organisatorisches Grundprinzip (Post-Comfort).

Blick aus dem Garten (Visualisierung: Gustav Düsing / grau visuals)
Welche Materialstrategie schlagen Sie vor?

Der Entwurf sieht den Umbau und Erweiterung des Bestandsgebäudes und die Errichtung einer den Bestand umschließenden Neubaukonstruktion in Leichtbauweise vor. Für die primären Tragelemente des Neubaus, die aus Holz und Stahl errichtet werden sollen, werden schlanke Querschnittsgrößen angestrebt. Hauptträger und Stützen sind in Stahl vorgesehen. Neu zu errichtende Dachflächen und Deckenfelder werden als mit Blechen verkleidete Holzrippenkonstruktion konzipiert. Die Erweiterung im Sockelgeschoss und im Bereich des Treppenhauses, inklusive Erschließung, erfolgt in Massivbauweise. Die Bestandsfassade wird nach einer genauen Begutachtung teilweise abgetragen und erneuert. Die Fenster und Türen werden als moderne Alufenster mit 2-Scheiben-Isolier-Sonnenschutzverglasung ausgestattet Die neue, leichte und bewegliche Hülle ist ein auf Schienen gelagertes, in horizontaler Richtung flexibles Metall-Mesh und kann händisch verschoben werden.

Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?

Aktuell ist noch kein Fertigstellungstermin bekannt. 

Modell (Foto: Leonhard Clemens)
Deutsche Botschaft in Tel Aviv
Nicht offener Wettbewerb
 
Auslobung: Bundesrepublik Deutschland
Betreuung: Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Referat A2, Berlin
 
Jury
Prof. Markus Allmann, München (Vors.) | Marianne Mommsen, Berlin | Matthias Rammig, Stuttgart | Nazmi Shehadeh, Nazareth | Ramona Schwertfeger, Berlin | Botschafter Steffen Seibert, Auswärtiges Amt | Christine Eichelmann, Auswärtiges Amt | Dirk Scheinemann, BMWSB | Petra Wesseler, BBR
 
1. Preis
Gustav Düsing GmbH, Berlin | Gustav Düsing, in Zuammenarbeit mit wolff:architekten, Berlin | Roland Wolff
Bauphysik: Architekten für nachhaltiges Bauen, Walsrode | Thomas Isselhard
Landschaftsarchitekur: Emmerik Garden Design and Research, Rotterdam | Joost Emmerik
Mitarbeit: Ana Filipovic
Tragwerk: Bollinger+Grohmann
Brandschutz: Dehne Kruse, Braunschweig
 
2. Preis
Gerber Architekten GmbH, Dortmund | Prof. Eckhard Gerber
Mitarbeit: Magdalena Cieslicka, Jens Bentfeld, Ph. Boeddeker, C. P. Grothmann, J. Paek
Fachberater: Wetzel & von Seht, Hamburg
Fachberater: Wittmaack Ing.-Ges. mbH, Elmshorn
 
3. Preis
Sacker Architekten GmbH, Freiburg | Christopher Höfler
freisign Landschaftsarchitektur, Freiburg | Ane Nieschling
Mitarbeit: Maximilian Matscheko, Corinna Voigt, Timo Christmann, Serena Barbieri
Statik: Krebs und Kiefer Ing., Freiburg
Statik: BNB, Berlin
Energie: Stahl+Weiß, Freiburg

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