Dächer wie große, schützende Schirme

bez + kock architekten
12. Juli 2023
Blick auf das Nationalmuseum Karthago in Tunis (Visualisierung: Grauwald Studio / bez+kock architekten)
In Tunis soll der zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörende rund 500 Hektar große Ausgrabungs- und Museumsbereich „Byrsa (Zitadelle) von Karthago“ aufwertet und revitalisiert werden. Welche Ausgangssituation haben Sie vorgefunden?

Die sogenannte Zitadelle ist eine natürliche Erhebung, die das Stadtzentrum, die Akropolis der phönizischen als auch das Forum der römischen Stadt Karthago darstellt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde - nach einem Priesterseminar - auch eine katholische Kathedrale auf dem Grundstück errichtet. Mit diesen beiden prägenden Bauten, einigen eher zufällig gewachsenen, untergeordneten Bauwerken, sowie dem übervollen Schatz an unterirdischen Denkmälern aus allen Zeitschichten seit Gründung der Stadt im 1. Jahrtausend v. Chr. mussten wir uns auseinandersetzen. Die historische Vielschichtigkeit ist an den Ausgrabungen früherer Bauwerke, die bereits in der Vergangenheit erfolgten, sehr gut abzulesen. Gut erlebbar ist auch die Lagegunst mit dem Blick über Stadt und Meer, die zu der über viele Jahrhunderte andauernden Bedeutung des Gebietes geführt hat. Trotz des Status UNESCO-Weltkulturerbe sind die Gesamtanlage sowie deren Erschließung aus der Stadt der Gegenwart mit den baulichen Notwendigkeiten, die der heutige Tourismus mit sich bringt, eher mäßig unterhalten und in Teilen auch für Besichtigungen nicht mehr zugänglich.

Lageplan (Zeichnung: bez + kock architekten)
Wie haben Sie auf den Kontext reagiert?

Zunächst haben wir uns ausführlich mit der historischen, geographischen und der baulichen Situation auf dem Gelände befasst. Danach haben wir beschlossen, dem Gelände wieder eine angemessene Ordnung zu verleihen, in der Alltagsstrukturen, die außerhalb klarer Konzepte entstanden sind und sich dafür auch nicht verwenden lassen, entfernt werden. Anschließend haben wir uns die Frage gestellt, welche Form, welche Größe und Sichtbarkeit vor Ort angemessen wären. Dabei lag unser wesentlicher Entschluss darin, dass wir die zeitliche Vielschichtigkeit der Anlage fortschreiben wollen und somit einerseits zum Ausdruck bringen können, dass unser Baustein sicher noch nicht der finale sein wird. Andererseits ermöglicht diese Haltung, auch mit einem gewissen Selbstbewusstsein etwas zu erschaffen, was erkennbar neu ist und Ausdruck des Bemühens unserer Zeit, einen Beitrag zur Entwicklung des Geländes zu leisten.

Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung: bez + kock architekten)
Längsschnitt (Zeichnung: bez + kock architekten)
Wie organisieren Sie das Nationalmuseum Karthago in Tunis?

Das neue Nationalmuseum als Gebäude besetzt den Innenhof, der durch die Kathedrale und das winkelförmige Priesterseminar aufgespannt wird. Es vermeidet bewusst, den durch den Gebäudewinkel angedeuteten Innenhof zu schließen und somit einen Schlussstein zu setzen, sondern öffnet sich zum wesentlichen Bereich der Ausgrabungen und auch zum Blick über die Landschaft. Das neue Museum ist durch seine zentrale Lage der räumliche Verteiler, der die als Auditorium genutzte frühere Kirche, wie auch die im ehemaligen Priesterseminar befindlichen Museumsnebenräume und die Verwaltung zusammenbindet.

Eingang Restaurant (Visualisierung: Grauwald Studio / bez+kock architekten)
Welche Bedeutung kommte den Freianlagen zu?

Die Freianlagen haben sowohl für das Konzept als auch für die Anlage an sich eine sehr zentrale Bedeutung. Dies wird zum einen beim UNESCO-Platz, dem Platz des Ankommens aus der Stadt deutlich, der bisher keinerlei Struktur oder Fassung hat und durch unsere Intervention eine deutliche Aufwertung erfährt. Zum anderen ist es auch bei den Freianlagen essentiell, die Eingriffe richtig zu dosieren. Das Alter der Anlage und die immer währende Überformung, die selbst in »katholischer Zeit« nicht vollständig war, also Spuren der Vergangenheit erhalten hat, erzeugt eine sehr spezifische Atmosphäre in der die partielle Verwitterung, die Sichtbarkeit von »Alter« als bereichernd empfunden wird und unbedingt zu erhalten ist. Insofern beginnt auch unser Konzept mit einer klaren Haltung, entwickelt aber seine Qualität durch die Anpassung an die jeweils vorgefundene Situation.

Stuktur Konzept (Bild: bez + kock architekten)
Können Sie uns durch das Nationalmuseum Karthago führen als ob es schon fertiggestellt wäre?

Das fällt mit offen gestanden ziemlich schwer, aber ich erzähle gerne von dem Gedanken, den Eindruck einer Ausgrabungsstätte auch im Museum zu erhalten beziehungsweise zu erzeugen. Aus diesem Grund soll der Boden des neuen »Hauses« im Ausstellungsbereich nicht einfach nur eine ebene Fläche sein, sondern mal befestigt, mal nicht befestigt, mal tiefer liegend, mal erhöht, mal als breiter Weg und mal als schmaler Pfad ausgebildet werden, um den Besuchern so beispielsweise einen Eindruck der Mühen zu verschaffen, die mit dem Auffinden der Ausstellungsstücke verbunden sind beziehungsweise waren.

Isometrie der Gesamtanlage mit UNESCO-Platz“ (Bild: bez+kock architekten)
Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?

Ja, den gibt es, aber er eignet sich noch nicht zur Veröffentlichung durch uns.

Nationalmuseum Karthago in Tunis
Offener Wettbewerb
 
Auslobung: Expertise France, in Zusammenarbeit mit dem Tunesischen Ministerium für Kultur und mit Unterstützung der Europäischen Union
Betreuung: Union internationale des architectes - UIA
 
Jury
Alberto Veiga, Architect, Veiga Barozzi, Spain (UIA representative, jury president) | Fathy Kouched, Architect, Ministry of Cultural Affairs, Tunisia | Lamine Hibet, Architect, Tunisia (Order of Architects of Tunisia representative) | Gabriela Carrillo, Architect, Taller de arquitectura, Mexico | Neil Porter, Landscape architect, Gustavson Porter + Bowman, United Kingdom | Meriem Chabani, Architect and urban planner, New South, France/Algeria | Momoyo Kaijima, Architect, Atelier Bow Wow, Japan
 
1. Preis
bez + kock architekten, Stuttgart
Arge mit Koeber Landschaftsarchitektur, Grauwald Studio
 
2. Preis
Septembre
Arge mit Arkitektaal, Solstice, Achille Racine, Clémence Lasagna Studio and Luseo Group
 
3. Preis
Arke Architects Associes
Arge mit Bassinet Turquin Paysage, NeM / Niney et Marca architectes, Sélim Adhoum, Salah Ksouri, Béchir Riahi
 
4. Preis
Locus
Arge mit Studio Meteores, Philippe Rahm Architectes
 
5. Preis
Achitect Anis Souissi
Arge mit Uram International, Opus Ark, Sami Montsaar

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