Unterkünfte für Zehntausende

Katinka Corts
26. August 2015
Die Studentinnen Alina Schilmoeller und Franziska Schumacher wollen Flüchtlinge provisorisch, aber human auf einem stillgelegten Güterbahnhof nahe dem Zentrum von Hannover in Waggons unterbringen. (Bild: dabonline.de)

Hier würden die Flüchtlinge zwar untergebracht, Wohnen könnten sie in den meisten Fällen aber nicht. «Das Fehlen individueller Rückzugsräume ist auch so gravierend, weil die meisten Zuwanderer zur Passivität gezwungen sind und in der Regel keiner Arbeit nachgehen können», schreibt Seifert. «Bei Anhörungen zur Erschließung neuer Standorte ist die Sozialbehörde inzwischen vorbereitet auf die immer wieder gestellte Frage, was diese Menschen denn den <lieben Tag lang> machen. Verwiesen wird auf Integrations- und Sprachkurse.» Pastorin Fanny Dethloff mißbilligt vor allem die «Grundhaltung bürokratischen Verwaltens von menschlichem Elend, die sich bis in die Architektur niederschlage.» Die Container seien lediglich lieblos hingeknallt und können nicht als Willkommensgeste dienen.

Nelli Seibel und Georgios Stavropoulos wollen die schmalen Lücken zwischen Hannovers Gründerzeitbauten schließen (Bild: dabonline.de))

In einem kürzlich gesendeten Radiobeitrag erläuterteArchitekt Jörg Friedrich, Professor an der Leibniz Universität Hannover, ein neues Konzept zur Unterbringung von Flüchtlingen. Die Studienarbeiten zeigten, dass beispielweise eine zentrumsnahe Unterkunft realisierbar wäre: «Es kamen Lösungen heraus, dass Flachbauten der fünfziger und sechziger Jahre aufgestockt werden und Mischnutzungen stattfinden. Es kamen Lösungen heraus, dass man auf ausgedehnten Eisenbahnhöfen plötzlich neue Flächen generieren konnte. Es wurden Parkhäuser analysiert, die zu über 40 Prozent Leerstand über das Jahr haben und die dann verdichtet werden können.» 15 baulich umsetzbare und finanzierbare Lösungen habe man erarbeitet, hier besonders für den Standort Hannover.

Gegenüber der Zeit äußerte sich Anfang August Architekt Manuel Herz, Professor für Architektur und Städtbau an der Universität Basel, zu den Chancen für die Stadtentwicklung, die mit der Neuplanung von Flüchtlingsunterkünften einhergehen. Als gelungenes Beispiel für ein solches Lager führt er jene der Sahrawis in Algerien auf: Sie stammen aus der Westsahara und konnten in Algerien eigene Lager mit Verwaltung, Schulen und Infrastruktur aufbauen. Direkt übertragbar nach Deutschland sei dies natürlich nicht, aber es zeige eine andere Umgehensweise mit Hilfesuchenden. «In Europa traut man den Flüchtlingen nicht», so Herz. «Man glaubt nicht, dass sie aktiv an der Gesellschaft teilnehmen könnten. Das ist ein ganz großer Fehler.» Gute Beispiele für menschenwürdige und angemessene Unterbringung sind nur schwer zu finden, Zeltstädte, Container und Bunker sind es wohl kaum. Vielleicht reicht für eine gedankliche Wendung auch der Griff «an die eigene Nase»: Wie würde man selbst denn in der Fremde empfangen werden wollen?  kc

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