Galeries Lafayette in der Schwebe

Manuel Pestalozzi
8. April 2024
Unter welchen Umständen eignet sich der ehemalige Konsumtempel für ein Bücherdepot? Die Debatte ist eröffnet. (Foto: Jensens/Wikimedia Commons)

Das vollständig verglaste Gebäude, das sich über ein ganzes Geviert der Friedrichstraße entlangzieht, wurde am 29. Februar 1996 eröffnet. Der französische Konzern Galeries Lafayette gilt als eines der ersten Unternehmen, das nach der deutschen Wiedervereinigung im ehemaligen Ostteil Berlins ein Warenhaus eröffnete. Die ahistorische Fassade, die in der Ecke Friedrichstraße / Franz Straße elegant gerundet ist, konnte dergestalt ausgeführt werden, weil das Grundstück schon 1991 verkauft wurde. Die Gestaltungsvorgaben von Senatsbaudirektor Hans Stimmann für Bauten in der Innenstadt Berlins, die bei Neubauprojekten eine »kritische Rekonstruktion« anstrebten, waren noch nicht in Kraft getreten.

Das Gebäude macht den Anschein, als sei es von Jean Nouvel für die Galeries Lafayette maßgeschneidert worden; die Architektur des Konsumtempels orientiert sich an der Tradition des französischen Grand magasin, interpretiert diese auf zeitgemäße Art und passt sie ins orthogonale Bebauungsmuster der Friedrichstadt ein. Das Warenhaus war aber nie die einzige Nutzerin der Immobilie, die in Fachkreisen unter dem Namen »Quartier 207« bekannt ist, sie enthält auch Büros und Einzelhandelsgeschäfte. Hinter jedem identifizierbaren Brand versteckt sich eine anonyme Vielheit, für die es keine räumlichen oder zeitlichen Beschränkungen und auch keine Permanenz gibt – die Verspiegelungen in der Gebäudehülle wie auch bei den verglasten vertikalen Trichtern im Innern symbolisieren diese undurchsichtige Sachlage eigentlich zur Perfektion.

Die verglasten Trichter im Gebäude verteilen das Tageslicht, verhindern aber den klaren Durchblick. (Foto: Manfred Brückels/Wikimedia Commons)
Der Staat greift ein

Im vergangenen Oktober wurde bekannt, dass das Warenhaus Ende 2024 schließen soll. Der Mietvertrag für die Filiale in der Friedrichstraße in Berlin mit dem Immobilieneigentümer Tishman Speyer* werde nicht verlängert, teilte das Kaufhaus damals mit. Manche hatten das Ende der Galeries Lafayette nach 28 Jahren an der Friedrichstaße kommen sehen. Es sei dort ein Fremdkörper geblieben, schrieb die »Welt« in einem vorgezogenen Nachruf. Die Hoffnung, die Gegend werde an ihren Vorkriegsglanz anschließen und zur Luxusmeile, habe sich nicht erfüllt. Andere schöpfen aus dieser Erkenntnis Hoffnung: Für eine Nachnutzung gebe es bereits fortgeschrittene Pläne, ist im Tagesschau-Beitrag nachzulesen. Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) wolle in dem Gebäude die Zentral- und Landesbibliothek unterbringen. Dafür soll die Liegenschaft »Quartier 207« der Immobiliengruppe abgekauft werden.

Mittlerweile wurde die Schließung des Warenhauses auf Ende Juli 2024 verschoben. Damit bekommt die Diskussion um die Nachnutzung des Gebäudes von Jean Nouvel eine neue Dringlichkeit, wie die Akademie der Künste in einer Pressemitteilung festhält. Sie ruft dazu auf, die von Joe Chialo angestoßene Debatte zur Umnutzung des Kaufhauses als neuen Sitz der Zentral- und Landesbibliothek Berlin ernsthaft fortzuführen. Fritz Frenkler, Direktor, und HG Merz, Stellv. Direktor der Sektion Baukunst der Akademie der Künste, finden, dass sich »am Beispiel der Galeries Lafayette« einige der wichtigsten Themen des heutigen Architektur- und Stadtdiskurses öffentlich verhandeln lassen, etwa die Ressourcenschonung durch Umnutzung und Umbau. Oder die Verödung der Innenstädte durch sich veränderndes Nutzungs- und Konsumverhalten. Dass die angedachte Umnutzung zu Lasten der Steuerzahler*innen gehen soll, wird bislang nicht öffentlich diskutiert. Die Sektion Baukunst der Akademie der Künste bietet sich mit ihrer internationalen Expertise als neutrale Plattform für die Debatte an. Sie sollte wirklich offen erfolgen, idealerweise mit Beteiligung der aktuellen Besitzerin, welche sich über ihre Ideen zur Zukunft der Immobilie noch nicht öffentlich geäußert hat. Die Umnutzungspläne könnten auch Belange des Urheber*innenrechts von Architekt*innen tangieren. Sie sind in letzter Zeit etwas in den Hintergrund gerückt und wären in dieser Angelegenheit ebenfalls ein diskussionswürdiges Thema.

* Anmerkung: 2014 ging ihr Besitz von einer luxemburgischen Fondsgesellschaft an die Allianz Real Estate Germany über. 2022 gelangten das Quartier 207 mit dem Kaufhaus sowie die Quartiere 205 und 206 (Adresse: Friedrichstraße 76–78 = Friedrichstadt-Passagen) in das Eigentum der US-Immobiliengruppe Tishman Speyer, die es für ihren Fonds European Real Estate Venture VIII und weitere Co-Investoren nutzen will.

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