Tatort Stuttgart

Thomas Geuder
24. Juni 2015
OB Fritz Kuhn (r.) gratuliert Peter Pätzold (l.) zum neuen Amt. (Bild: Landeshauptstadt Stuttgart / Lichtgut / Leif Piechowski)

Auch wenn der gemeine Berliner (er sei beispielhaft genannt, weil er seinerseits allzu gerne argwöhnisch auf die Schwaben blickt) vermutlich nur bedingt nachvollziehen kann, was im Ländle immer wieder vor sich geht, so waren die vergangenen Tage für die Stuttgarter Bürgerinnen und Bürger doch sehr bemerkenswert. Abgespielt hat sich da eine Art Geschichte in drei Akten, von denen zumindest einer weitestgehend bekannt ist: Vergangenen Sonntagabend traten die Tatort-Kommissare Lannert und Bootz in ein dubioses Immobiliennest, das bestimmt ist von einer raffgierigen Wirtschaft, einer korrupten Politik und einem nebulösem Investor, schlicht «Der Inder» genannt. Parallelen mit dem Dauerbrenner «Stuttgart 21» waren nicht nur erkennbar, sondern gewollt. Auch wenn die Handlung natürlich frei erfunden ist, so wird am Sonntagabend mancher Projektgegner vor Freude in die Hände geklatscht haben ob der zahlreichen Parallelen zur Realität. «Dafür haben Deine Kinder später einen schönen Bahnhof», sinnieren die beiden Kommissare, als sie den Stuttgarter Stau-Wahnsinn im Porsche hautnah erleben dürfen.

Kommissare Sebastian Bootz und Thorsten Lannert in «Der Inder». (Bild: ARD/SWR)

Dann passierte, was nicht oft passiert: Am Montag meldet sich – der nächste Akt – postwendend Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn per Pressemeldung und wehrte sich gegen die Darstellung im Film, der «bei vielen Zuschauern den Eindruck (hinterlässt), dass finanzstarke und korrupte Investoren in Stuttgart den Immobilienmarkt bestimmen. Das stimmt so nicht.» (Kuhn) Die (vielleicht irgendwann in 15 Jahren freiwerdenden, Red.) städtischen Bauflächen würden nicht an denjenigen verkauft werden, der den besten Preis bietet, sondern das beste inhaltliche Konzept. Ob die Politik das einzuhalten vermag, wird sich in ferner Zukunft herausstellen. Für den Stuttgarter jedenfalls ist dieser Gedankengang Musik in den Ohren, denn bauliche Qualität wurde und wird tatsächlich hier nicht immer groß geschrieben. Oder in den Worten der Tatort-Macher: «Schauen Sie sich Stuttgart an: ein Drecksloch, ein städtebaulicher Irrtum, ein zubetonierter Talkessel, der von den Abgasen einer ewig im Stau stehenden Blechlawine aufgeheizt wird.»

Zweifelsohne: Stuttgart besitzt auch viele schöne Momente. Und doch führt uns das unmittelbar zum nächsten Akt, der dem aktuellen Tatort sogar noch ein paar Tage vorausging: Stuttgart hat einen neuen Baubürgermeister gewählt! Das klingt für Außenstehende vielleicht unspektakulär, doch die Stadt am Neckar ist kein leichtes Terrain (s. oben) und braucht deswegen ein starkes Oberhaupt, das sich für die Baukultur einsetzt. Hinzu kommt, dass es schon im Vorfeld zur Wahl dieser Personalie viel Kritik am Verfahren aus der Baubranche hagelte (wir berichteten: Wie man einen Baubürgermeister wählt). Eine kritische Diskussion um den Kandidaten bzw. dessen Inhalte abseits parteipolitischer Abmachungen jedenfalls wurde von der Stadt kategorisch abgelehnt, mit der Begründung, der Baubürgermeister würde schließlich nicht von Bürgern direkt gewählt, sondern vom Gemeinderat, der nun mal das Vorschlagsrecht besitzt. Außerdem gelte es, die private und berufliche Sphäre der Bewerber zu schützen.

Am 18. Juni war es also soweit, und mit 35 von 58 Stimmen wurde der von den Grünen vorgeschlagene Peter Pätzold gewählt, der in der Architekturlandschaft bisher eher weniger herausstach. Das muss nichts heißen, schließlich geht es bei einem solchen Amt zwar um besagte hohe Qualität, aber auch um politische und wirtschaftliche Vernetzung, um eben diese Qualitäten durchsetzen zu können. Gute Architektur sei Geschmackssache und könne nicht durch einen Bebauungsplan verordnet oder gesichert werden, hat Peter Pätzold sogleich ausgerufen. Was er genau damit meint, wird er in den nächsten Jahren an dieser schweren Baustelle Stuttgart zeigen müssen. tg

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