Kleine Schritte für Jenas Eichplatz

Manuel Pestalozzi
22. Januar 2024
Das Projekt von Strabag sieht auf der Weststeite des Platzes drei Hochpunkte vor, die allesamt vom Jentower aus den 1970er-Jahren überragt werden. (Visualisierung: © Thomas Müller Ivan Reimann Architekten für STRABAG Real Estate)

Die Nachbarn des Eichplatzes sind historische Bauwerke, wie die Stadtkirche Sankt Michael oder das alte Rathaus, eines der ältesten in Deutschland. Im Westen erhebt sich der von Hermann Henselmann entworfene, 1970–1972 realisierte Jentower. Der zylindrische, 144,5 Meter hohe Turm, war einst vorgesehen als Forschungszentrum des Kombinats Carl Zeiss Jena und ist heute das höchste Bürogebäude in Thüringen. Ursprung des Platzes ist eine Katastrophe: An seiner Stelle stand einst ein Häuserkarree. Es brannte im Oktober 1806 während der Schlacht bei Jena nieder und wurde nicht wieder aufgebaut. 1816 erhielt der »Brandplatz« den Namen Eichplatz, als in seiner Mitte Studenten der Urburschenschaft einen Baum dieser Gattung pflanzten.

Von 1969 bis 1973 sprengte die DDR-Stadtplanung die bestehende Platzgestaltung samt Burschenschaftseiche weg und taufte ihn zuerst in »Zentraler Platz«, dann in » Platz der Kosmonauten« um – es handelte sich um einen von gärtnerischen Anlagen umgebenen Aufmarschplatz. 1990 erfolgte die Rücktaufe, und seither steht der Platz im Zentrum einer langwierigen und komplexen politischen Auseinandersetzung. 1993 fand der erste städtebauliche Wettbewerb statt. Bereits ein Jahr zuvor wurde eine erste Bürgerbeteiligung durchgeführt. Es folgten zahlreiche weitere Anlässe zur Sache, an denen sich die Allgemeinheit beteiligen konnte. 2011 führte die Stadt einen europaweiten Wettbewerb mit Investoren durch. In Aussicht gestellt wurden ein grüner Wohn- und Lebensort mit neuen Flächen für Handel und Dienstleistung. Eine Bürgerbefragung lehnte die Bebauungspläne 2014 ab, der Stadtrat stimmte 2017 den abgeänderten, von Albert Speer und Partner überarbeiteten Plänen zu. 2020 fand ein Auswahlverfahren für das Baufeld A am Westrand der Freifläche statt. Den Siegerentwurf reichte der Investor STRABAG Real Estate GmbH ein. Er stammt von Thomas Müller Ivan Reimann Architekten, Berlin, und beinhaltet drei Hochpunkte von 66,5, 50 und 33 Metern. Damals sprach STRABAG von einem Baubeginn im Jahr 2023.

Das Baufeld A grenzt an den westlichen Rand des Platzes. (Plan: © Thomas Müller Ivan Reimann Architekten für STRABAG Real Estate)
Das Eigene und das Fremde

Mitte Januar 2024 berichtete der MDR unter der Überschrift »Bürgerbeteiligung geht in die nächste Runde« von der jüngsten öffentlichen Veranstaltung zur Causa Eichplatz. In fast 40 »Bürgerwerkstätten« habe die Bevölkerung ihre Wünsche und Änderungsvorschläge einbringen können. Nun gebe es eine zweite Tiefgaragenebene, mehr Schatten, mehr Grün auf den Dächern und mehr Bäume rundherum. Auch die geplanten Nutzungen seien konkretisiert worden. Kleine Geschäfte sollen im Erdgeschoss dominieren. »Es wird auch weitergehen mit der Werkstatt. Wir begleiten das noch«, sagte Elisabeth Wackernagel dem Sender. Die ehemalige CDU-Stadträtin war auch in den »Bürgerwerkstätten« beteiligt.

Jetzt läuft eine zweite Phase der Bürgerbeteiligung. Erneut kann die Bevölkerung ihre Einsprüche geltend machen oder neue Ideen formulieren. Die Gründe für kommende Einwände zählt der MDR wie folgt auf: zu hohe Kosten für die Stadt, illegale Kaufverträge, Planungsfehler, fehlende PV-Anlagen auf den Dächern, fehlende Gutachten, fehlender Klimaschutz, ungenügende Berücksichtigung des Stadtklimas. Bemängelt wurde auch die Absenz des sozialen Wohnungsbaus. Große Hoffnungen auf einen zügigen Baubeginn machte der Investor-Vertreter auch an der jüngsten Veranstaltung nicht. Es sei unklar, wie lange das weitere Planungsverfahren durch die Bürgerbeteiligung noch gehen werde. Bislang war von Ende des Jahres als Termin für den Baustart die Rede. 

Dass sich Bauwillige mit viel Geduld wappnen müssen, ist eine Binsenwahrheit. Doch in Jena scheint die Lage für Außenstehende besonders verfahren. Dies liegt vermutlich an den außerordentlichen städtebaulichen Umständen, mit der großen Brache direkt im historischen Zentrum – und möglicherweise auch daran, dass anonyme auswärtige Player den Charakter der Stadt an entscheidender Stelle mitformen möchten. Es ist beileibe keine Seltenheit, dass Städten ein vitales urbanes Organ eingepflanzt wird, das anderswo – gewissermaßen in vitro – konzipiert wurde und zu dem die Einwohner*innen nicht so einfach eine emotionale Bindung eingehen können. Von Seiten der Investor*innen wird dieser Mangel an Lokalpatriotismus in architektonischen Entwürfen vielleicht zu wenig berücksichtigt. Andererseits sollten diese auf ein Mindestmaß an Planungssicherheit zählen können. Wenn die Bürgerbeteiligung in einer Verhinderung endet, ist der Demokratie kein guter Dienst getan.

Vorläufig bleibt der Eichplatz wohl ein Parkplatz. (Foto: Update3/Wikimedia Commons)

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