Klang-Grotte aus Schaum

Ulf Meyer
22. Oktober 2014
Der Haupteingang ist auf die Achse des Parks ausgerichtet (Alle Bilder: Ulf Meyer)

Als Peter Sloterdijk in seiner «Sphären-Trilogie» 2004 «Schäume» zum Thema machte, konnte er nicht ahnen, was er damit am anderen Ende der Welt anrichtet. In Japan nahm Toyo Ito den deutschen Denker beim Wort und ersann ein fluides Raumkontinuum, das auf dem Tragverhalten von Schaum aufbaut. Ursprünglich für das Kulturforum in Gent geplant, kam die Idee in Taiwan zum Zuge, als Ito den Wettbewerb für den Bau einer neuen Oper in Taichung gewann. Itos Marshmallow besteht aus doppelt gekrümmten Wänden, die «Klang-Höhlen» bilden. Die Wände gehen nahtlos in die Böden und Decken über und schaffen eine kontinuierliche Raum-Landschaft. In den bizarren Interieurs fühlen sich Besucher wie im Inneren eines Resonanzkörpers.

Großer Saal

Taichung, eine Stadt mit 2,6 Millionen Einwohnern, möchte eine Ikone. Bisher als Geburtsort des taiwanesischen Nationalgetränks, des Bubble Teas (Schwarz-Perlen-Milchtee) bekannt, hat Taiwans drittgrößte Stadt unlängst architektonische Ambition entwickelt. Im Stadtpark, umgeben von einem Spalier neuer Wohnhochhäuser, liegt das neue Theater. Vom Bubble Tea zum blasen-förmigen Musiktheater führt hier ein kurzer Weg: Der Haupteingang ist auf die Achse des Parks ausgerichtet, mit dem das Gebäude mittels Rasenflächen und flachen Wasserbecken einen Zusammenhang herstellt und bleibt doch ein Objekt im Park. Der große Saal hat 2000 Sitze, weitere 800 finden sich im kleinen Saal und 200 im Experimentaltheater. Das Gebäude erwies sich unter taiwanesischen Bedingungen als fast unbaubar. Die Oberflächen wurden als Stahlgerüst gebaut, das mit Beton bespritzt wurde. Die 58 verschiedenartigen, abgerundeten und ineinander übergehenden Wände, lassen kurvenreiche Innenräume entstehen. Das Tragwerk aus tragenden Katenoiden vermeidet alles Lotrechte. Cecil Balmond hatte die Schalenkonstruktion entwickelt. Das Erdgeschoss ist nahezu funktionslos und leer. Von hier führt eine große Treppe hinauf in das sensationelle Foyer in seiner expressiven Höhlenarchitektur. Der Taiwanesische Künstler Michael Lin wird eine Wand mit einem riesigen, roten Blumenwandbild dekorieren, wie man es von gestickten Kissen kennt. Hinzu kommen riesige braune Vorhänge in Edelknitter an den Wänden.

Bei Sloterdijk wird Schaum «in seiner Instabilität zum Kriterium einer Lebensrealität, die in ihrer Komplexität mit dem Begriff «Gesellschaft» nicht mehr gefasst werden kann». Die anspruchsvolle Geometrie wird im Detail weder vom Architekten noch von den Bauausführenden beherrscht. Aussen ist die neue Oper eine mausgraue Kiste, deren Blasen-Fassade nichts von den Höhlen im Inneren verrät. Abends sind Bullaugen illuminiert und erinnern an Perlen, die in den Sektgläsern während der Pause aufsteigen mögen. Die neue Oper in Taichung ist ein kulturelles Feigenblatt im Schmelzkäse-Look. Ihre Geometrie ist ausser Kontrolle geraten und kaum je raumwirksam: Im Theatersaal ist es schließlich meist dunkel - und ohne Licht gibt es keinen Raum. Ulf Meyer

Im Stadtpark, umgeben von einem Spalier neuer Wohnhochhäuser
Kurvenreiche Innenräume

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