feld72: Soziale Räume gestalten
Ulf Meyer
27. Juni 2023
Million Donkey Hotel, Prata Sannita, Italien, 2008 (Foto: Hertha Hurnaus)
Das österreichische Büro feld72 hat einen sozialen Anspruch an seine Bauten und möchte sich gesellschaftlichen Herausforderungen stellen. Eine Schau bei Aedes in Berlin zeigt, inwiefern seine Projekte den eigenen Erwartungen gerecht werden.
Das Architekturkollektiv feld72 gestaltet Bildungsbauten, Banken und Wohntürme – oft in Wien und Südtirol. Der Fokus liege dabei, so sagen die Architekt*innen selbst, auf dem sozialen Raum. Zu ihren bekanntesten Arbeiten gehören das Wohnquartier Kapellenhof in Wien, der Kindergarten von Algund in Südtirol und die in Holzhybridbauweise errichtete Wohnsiedlung Maierhof in der Vorarlberger Stadt Bludenz. Zusätzlich beschäftigt sich das Team, das sich an der Schnittstelle von Architektur, Urbanismus und Kunst verortet, mit Interventionen im öffentlichen Raum. Besonders eifrig verfolgt wurde dieses Thema in den ersten Jahren nach der Bürogründung 2002.
Temporäres Festivalzentrum im Stadtpark, Graz, Österreich, 2010 (Foto: Hertha Hurnaus)
Projekt Public Trailer, Shenzhen, China, 2009 (Foto: feld72)
In der Berliner Architekturgalerie Aedes ist derzeit eine Ausstellung zu sehen, die das Werk des Kollektivs darstellt. Sie heißt »Social. Spaces. Matter.«. Die Wiener Architekt*innen haben in der deutschen Hauptstadt ein einfaches Zelt aus Plastikfolie als »Raum im Raum« in die Galerie am Pfefferberg gestellt, das einen chronologischen Blick auf ihr mittlerweile über zwanzigjähriges Schaffen bietet. In dem Zelt ist ein Film von David Schreyer zu sehen, der den heutigen Zustand der Bauten von feld72 dokumentiert – allerdings wortlos, ohne Kommentar. Der Film wirkt bisweilen etwas ernüchternd, denn nicht immer scheinen sich die sozialen Erwartungen an die Bauten auch zu erfüllen. Leider fehlen der Schau Modelle und Details der Gebäude.
Kindergarten Niederolang, Südtirol, Italien, 2016 (Foto: Hertha Hurnaus)
Ungewiss bleibt die soziale Wirkungsmacht leider bei Gestaltungen wie dem Million Donkey Hotel, einem partizipativen Projekt im süditalienischen Dorf Prata Sannita. Die Grundidee bestand darin, leerstehende und der Verwahrlosung preisgegebene Räumlichkeiten im Dorf Zug um Zug in ein Hotel zu verwandeln. Innerhalb eines Monats wurden mit Freiwilligen und einem kleinen Budget von nur 10’000 Euro ein Schlafzimmer und ein Badezimmer gebaut. Ein Jahr später kamen unter anderem eine Terrasse und eine Bar hinzu. Das Hotel wird vom Verein local heroes betrieben. Nebulös bleibt auch der Impact des Projekts »urbanism – for Sale!«, einem Beitrag zur Architekturbiennale von São Paulo des Jahres 2007. Dabei wurden bunte Aufkleber überall in der brasilianischen Millionenstadt aufgeklebt.
Spätere Projekte wurden deutlich größer und handfester: Für den Neubau der Wohnsiedlung Kapellenhof (2019) wurde ein Schwesternwohnheim aus den 1970er-Jahren abgerissen. Der Wohnfonds Wien erwarb sodann das Grundstück. Die im Wettbewerb vorgesehene Dichte war hoch, die meisten Architekten schlugen Zeilenbauten vor. Doch feld72 und AllesWirdGut, die gemeinsam antraten und den Wettbewerb schließlich gewannen, ordneten die 450 Wohnungen in hohen Bauten an, die einen großen Grünraum als Hof fassen, den das Büro Carla Lo Landschaftsarchitektur entwarf. Bis zu acht Geschosse ragt der Blockrand über die Peripherie der österreichischen Hauptstadt.
Die in den Farben Rot und Beige gehaltene Anlage soll an die berühmten Wiener Gemeindebauten der 1920er-Jahre erinnern. Farblich ist das auch der Fall. Die Überbauung wird diagonal von zwei Fußwegen durchkreuzt und in vier Baukörper geteilt, die sich in der Höhe staffeln, im Grundriss Knicke aufweisen und hinsichtlich ihrer Fassaden durch Balkone gegliedert sind. Verschiedene Gemeinschaftsräume und ausgesuchte Bodenfliesen vor den Wohnungstüren in den Fluren gehören zu den Finessen, die das feld72-Team trotz des kleinen Budgets umsetzen konnte.
Wohnsiedlung Kapellenhof, Wien, Österreich, 2019 (Foto: tschinkersten)
Wohnsiedlung Maierhof, Bludenz, Österreich, 2019 (Foto: Hertha Hurnaus)
Geförderte Wohnungen mit hoher LebensqualitätDie Wohnsiedlung Maierhof (2019) in Bludenz weist einen feineren Maßstab auf, sodass sie sich gut ins Ortsbild einfügt. Dem Bau ging eine Studie voraus, in der die wesentlichen Parameter für die Bebauung des dreieckigen Grundstücks am Ortsrand definiert wurden: Durchlässigkeit, öffentliche Wege und gemeinschaftlich genutzte Freiräume. Bauträger der acht Häuser mit 67 Wohnungen war die Vorarlberger Wohnbauselbsthilfe.
Damit die Wohnsiedlung wie ein Dorf wirkt, gleicht kein Haus dem anderen. Die quadratischen Fenster und die Faschen aus Holz verweisen auf einen denkmalgeschützten Bestandsbau auf dem Grundstück. Die oberen Etagen in Hybridbauweise haben Holzfassaden aus lokaler Weißtanne. Das Holz wurde naturbelassen und sägerau verarbeitet. Die Dächer sind abwechselnd begrünt oder tragen Sonnenkollektoren für die Warmwasserversorgung.
Über die Mischung aus Ein- bis Vierzimmerwohnungen soll eine sozial heterogene Bewohnerschaft erreicht werden. Der von der Stadt verwaltete Gemeinschaftsraum am Eingang zur Siedlung orientiert sich zu einem Quartiersplatz. Die Autos wurden in eine Tiefgarage verbannt, um im Inneren der Siedlung einen großen Grünraum zu schaffen – ähnlich wie beim Kapellenhof.
Haus am Park, Wien, Österreich, 2018 (Foto: Hertha Hurnaus)
Foto: Hertha Hurnaus
Das Treppenhaus als sozialer RaumEin weiterer bemerkenswerter Wohnbau ist das Haus am Park in Wien (2018). Der Bau im Sonnwendviertel Ost besetzt mit seiner auffälligen Gestaltung eine prominente Ecklage am Helmut-Zilk-Park beim Hauptbahnhof. Die Staffelung der Geschosse gibt dem Haus ein signifikantes Erscheinungsbild und optimiert gleichzeitig den Lichteinfall für die Nachbargebäude und das eigene Atrium. Der Sockel nimmt Büros auf, in den Stockwerken darüber befinden sich Wohnungen. Das helle und räumlich in einer inspirierenden Weise komplexe Treppenhaus ist so ausgestaltet, dass es zum Treffpunkt für die Bewohnenden werden kann.
Kindergarten Niederolang, Südtirol, Italien, 2016 (Foto: Hertha Hurnaus)
Kindergarten von Terenten, Südtirol, Italien, 2010 (Foto: Hertha Hurnaus)
Alpines Bauen – eine weitere Facette im Werk von feld72Das Bauen in den Alpen sei von der Suche nach dem Elementaren und dem Umgang mit der Topografie geprägt, schreiben die Architekt*innen. Ihr Kindergarten in der Südtiroler Gemeinde Terenten wurde in den Hang eingebettet und ist ein Bestandteil der Landschaft. Der Bau entstand aus Rücksichtnahme auf den dörflichen Maßstab und die Perspektive der Kinder. Im Inneren sollen die Räume Eigenaktivität, Orientierung, Kommunikation und das soziale Zusammenleben fördern. Vielleicht ist es gerade dieses Projekt, das kleinste, das in Berlin gezeigt wird, das den hohen Ansprüchen der Architekt*innen am besten gerecht wird.
Eines der neusten Projekte des Büros schließlich ist die Erweiterung des Kindergartens von Algund (2022). Ein zweistöckiges Bauwerk mit Satteldächern und ein weiteres mit Flachdach wurden an ein Bestandsgebäude angeschlossen, das 1976 von Wilhelm Gutweniger entworfen worden war. Zwischen Zubau und Altbestand entspinnt sich dabei ein erfrischender Dialog. Der Massivholzbau mit Holzfassade hat begrünte Dächer und bietet im Inneren ein behagliches Raumklima. Eine wichtige Besonderheit ist die offene Lernlandschaft mit Gemeinschaftsräumen: Sie soll den Austausch zwischen Kindern mit deutscher und italienischer Muttersprache fördern – ein schöner Ansatz, der sich nun in der Praxis bewähren muss.
Erweiterung des Kindergartens von Algund, Südtirol, Italien, 2022 (Foto: David Schreyer)
Das Team von feld72 (Foto: Vilma Pflaum)
Die Ausstellung im Aedes Architekturforum (Christinenstrasse 18–19, 10119 Berlin) läuft noch bis zum 5. Juli dieses Jahres. Die Öffnungszeiten sind montags von 13 bis 17 Uhr, dienstags bis freitags von 11 bis 18.30 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen von 13 bis 17 Uhr.
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