Wie viel Technik will der Mensch?

Ursula Baus
24. April 2013
Studio mit der Hauskulisse zu Jacques Tatis "Mon Oncle" von 1958 (Bild: http://badinicreateam.blogspot.de) 

Haus und Technik Wer kennt ihn nicht, den heiteren Film von und mit Jacques Tati als Monsieur Hulot, der seinen Neffen in dessen neuem, modernen Elternhaus hüten soll und von der automatisierten Technik in der Küche, im Garten, am Garagentor drollig überfordert ist? Und wer gerät nicht in Rage, wenn Laubbläser und elektrische Rasensensen von Stihl & Co. von Montag bis einschließlich Samstag mit bestialischem Lärm das Dasein an der frischen Luft zur Vorhölle machen? Oder die Höllenqualen bei offenem Fenster in die gute Stube bringen? Die Gerätebediener tragen Gehörschutz – aber all jene, die in der Nähe sind, empfinden dergleichen als Körperverletzung. Technik im Haus (zum Beispiel auch beim Kochen, wie sie Wolfgang Bachmann online köstlich beschrieben hat) und im Freien verselbstständigt sich bisweilen zur Tortur.
Überforderungen durch Steuerungselektronik, Körperverletzung durch Maschinen im Haus und im öffentlichen Raum nehmen zu. Aber nie darf man vergessen, dass Technik natürlich auch ein Segen sein kann, zumindest, wo sie als Erleichterung und Bereicherung des Alltags wirkt. Das Wichtigste: Die Technik gibt es nicht, sondern es gibt Techniker, die als Erfinder, Produzenten oder Vermarkter für den technischen "Fortschritt" mit all seinem Segen und in seiner Fragwürdigkeit verantwortlich sind. Aufschlussreich ist wieder mal die Sprache: Es gibt den nobilitierenden Begriff "high tech" – aber unter "high technicians" stellt man sich eher dubiose Figuren vor.

Eigentlich will man doch nur das Licht anschalten ... (Bild links: Gira KNX/EIB System) 

Bedarfsgenerierung Der Philosoph Peter Sloterdijk meinte kürzlich (14. April 2013) im Gespräch bei NZZ Standpunkte: "Die Technik treibt die Gesellschaft vor sich her". Man könnte einen Aspekt dazu präzisieren: Techniker tragen ganz erheblich zur "Bedarfsgenerierung" bei, deren Sinn mehr denn je hinterfragt werden muss. Denn Technikerideen und Wachstumsideologien fließen über die Bedarfsgenerierung in einer Konsumgesellschaft zusammen, die immer mehr Müll produziert. Das gilt uneingeschränkt auch für die Art und Weise, wie wir Architektur und Einrichtung trotz allen Nachhaltigkeitsgeredes immer noch als Konsumgut, als Wegwerfware behandeln. Jährlich belaufen sich Baurestmassen in Deutschland auf 285 Mio Tonnen; mit 23 Prozent des Abfallaufkommens bilden sie die größte Abfallgruppe. Mobiliar nicht mitgerechnet.
Es sind fast ausschließlich handfeste wirtschaftliche Interessen, die mit der Technisierung des Daseins die Gesellschaft beherrschen: Solutionism heißt ein Zauberwörtchen, mit dem technisches Denken in seiner Beschränktheit durchaus zum Ausdruck kommt. Gerechtfertigt wird Solutionism mit Effizienzsteigerung, höherer Sicherheit, größerem Komfort. Technik schafft damit immer wieder jene Probleme, die scheinbar nur durch neue Technik zu lösen sind.
Zurück zur Architektur als Lebensort von Menschen. Wo sich für unsere alternde Gesellschaft beispielsweise abzeichnet, dass die Pflegeaufgaben mehr und mehr werden, präsentiert die Industrie prompt Roboter mit menschlichen Körperkennzeichen, die immer raffinierter programmiert werden können. Als ob dieses Problem in erster Linie ein technisches sei. Auch hier manifestiert sich leider noch der bereits angesprochene alte Technikglaube, der allerdings problematische Felder erobert: Humanoide Roboter werden als Menschenersatz weiterentwickelt, der soziale Aufgaben übernehmen soll. Womit sich auch bislang ungelöste Haftungsfragen ergeben, die auch bei den Debatten über Kriegsdrohnen anstehen. Die rasant vorangetriebene Connectivity – also die gesamte Vernetzung von Steuerungssystemen jeglicher Art  – zieht außerdem Datenschutzprobleme nach sich, die von der Gesellschaft heillos unterschätzt werden.

"Roboy" – die Anpassung an Menschäußeres soll wohl bewirken, dass der Roboter besser akzeptiert wird. (Bild: www.roboy.org, ein interdisziplinäres Projekt) 

Stadt und Technik Aufgaben, die das Leben in einer Wohlstandsgesellschaft wie der deutschen bestimmen, können ohne technische Kompetenz scheinbar nicht bewältigt werden. Infrastruktur, Mobilität, Energieversorgung und sauberes Wasser aus der Leitung sollen Grundbedürfnisse befriedigen. Aber unser Wohlstandsbewusstsein fordert Mobilität jeder Art in reicher Fülle und Perfektion, außerdem Kuriositäten wie den Sauna-Wellness-Whirlpool-Komfort, der mit dem Attribut "Luxus" nachgerade untertrieben ist. Je mehr Quadratmeter ein einzelner Mensch obendrein alltäglich bewohnt, um so größer wird der Energieverbrauch. Fragt hier jemand nach einem vertretbaren, geschweige denn sinnvollen Energiebedarf? Die Energiewende ist und bleibt ein stadtrelevantes, gesamtgesellschaftliches, ethisch weitreichendes Thema. Sie wird hierzulande im Baubereich weitgehend auf ein Technikproblem reduziert, für das die Dämmstoff- und Haustechnikindustrie subito eine Lösung anbietet. Was für aberwitzige Folgen eine "verpackte Republik" innenräumlich und stadträumlich mit sich bringt, sprechen wir hier im eMagazin immer wieder an. Und das Stichwirt "graue Energie" sei hier nur am Rande erwähnt.
Ein weiteres Technikthema wird die Bewohnbarkeit unserer Städte bestimmen, ohne dass begriffen oder debattiert wird, was warum auf dem Spiel steht. Exportschlager aus Deutschland sind immer noch Autos und Maschinen. An den Autos ersticken inzwischen unsere Städte, und wenn Maschinen nicht ganz schnell sauberer und leiser werden, tragen sie erheblich dazu bei, dass das Dasein in der Stadt eine Zumutung wird. Und schon wieder propagiert die Autoindustrie eine technische Lösung: das automatisch gesteuerte Auto, mit dem der Verkehr besser fließt und alle Parkplätze optimal ausgenutzt werden. Der gesamtgesellschaftliche Diskurs darüber, wie weniger Verkehr mit weniger Autos zu größerer Zufriedenheit und zum wirtschaftlichen Erfolg anderer Gruppen führen kann, fehlt.

Die Facebook-Abstimmung gibt Auskunft über die Akzeptanz vermeintlicher Menschlichkeit (Bild: Facebook, Screenshot) 

Technik und Geistesgeschichte  Im Zusammenspiel von spielerischer Technikneugier, Digitalisierung und überkommenen Wachstumsideologien kommt eine vernünftige, weit über Technik und Ökonomie hinaus reichende Debatte darüber, wie Architektur und Stadt in ihrer Bewohnbarkeit, ihrem kulturellen Wert notwendigerweise weiterentwickelt werden müssen, zu kurz. Dass das technisch Machbare nicht automatisch dem Sinnvollen oder Notwendigen entspricht, wissen wir seit Jahrhunderten. Genausowenig wie das ökonomisch Rentable weder sinnvoll, noch notwendig ist. Die Digitalisierung mit allen Konsequenzen beschleunigt eine Technikentwicklung, die fast losgelöst von einem gesellschaftlichen Diskurs voranrast. Interpretierte man diese Feststellung als rückständig oder technikfeindlich, wäre er wieder da: Der falsche Gegensatz.
Dazu sehe man auch die arte-Reportage "Die grüne Stadt" des Finnen Pasi Toiviainen, die bis zum 29. April unter arte +7 online angeschaut werden kann. High Tech und Low Tech – hier werden sie wieder gegenüber gestellt. Einig sind sich alle nur in der Analyse: Müll und Energie sind die Themen, in denen auch andere als technische Lösungen gesucht werden müssen.

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