Kein Jahrbuch für Ingenieurbaukunst mehr

Ursula Baus
21. August 2013
Im Juli 2013 pünktlich fertig und ambitioniert in Form, Funktion und Konstruktion: die neue Baakenhafenbrücke in Hamburg von Wilkinson Eyre und Buro Happold Ltd. (Bild: Wilfried Dechau)

Die am Bau Beteiligten Gewiss, es gibt Ausnahmen – dieser Beitrag ist beispielsweise mit Bildern der gut dokumentierten, nagelneuen Baakenhafenbrücke des Bauherrn HafenCity Hamburg illustriert. Aber generell darf man feststellen, dass Bauingenieure ihre Arbeit einer interessierten Öffentlichkeit weder zeigen, noch erklären wollen beziehungsweise können. Mit unterschwelligem Vorwurf und gelegentlicher Larmoyanz heißt es dann, dass es doch die Architekten seien, die schöne Bilder zeigten und große Worte machten. Die Kabbeleien zwischen den beiden Berufsständen sind keineswegs neu, und wenn man es genau nimmt, darf man ihre Ursprünge bereits im 18. Jahrhundert suchen, im Themenkreis neuer Verkehrsnetze, in denen vor allem Brücken und Infrastrukturbauten gebraucht wurden. Da fragt man sich schon, warum über zwei Jahrhunderte später die Probleme immer noch ähnlich zu charakterisieren sind. Denn eigentlich sollte es sich herumgesprochen haben, dass die Industriegesellschaft in weiten Teilen eine Dienstleistungs- und Mediengesellschaft geworden ist und dass in hartem Wettbewerb nichts unversucht bleiben darf, den Nachwuchs gewissenhaft und gut auszubilden und in die komplexe Planungs- und Realisierungspraxis zu führen. Mit dem Jahrbuch für Ingenieurbaukunst gab es seit 2001 ein hochwertiges Kommunikationsinstrument für die Bauingenieure – ein Buch, in dem die Faszination des Berufs bestens zum Ausdruck kam; ein Buch, das sich sehen lassen konnte und das man jungen Menschen gern in die Hand gab, die noch nicht sicher waren, was sie studieren sollten. Hält man einem Abiturienten eine der typischen Bauingenieurpublikationen vor die Nase – etwa die Zeitschrift Bauingenieur –, dient das eher der Abschreckung.

Victor Buyck Steel Construction, Eekli und Wondelgem schweißten in Belgien die 3 Brückensegmente, die in Hamburg spektakulär zusammengesetzt wurden. (Bild: Wilfried Dechau)

Wer baut das Land um? Kurz darf daran erinnert werden, was hierzulande in den nächsten Jahrzehnten ansteht. Das gesamte Verkehrsnetz – Straßen, Brücken, Schienen – ist marode, mit Flickwerken hie und da ist niemandem geholfen. Es geht um viel mehr. Bei der Erneuerung unserer Verkehrswege steht nicht nur Reparatur an, sondern der Umbau eines Landes, das mit seiner Mobilität nicht mehr zurecht kommt. Hinzu kommt, dass die Umstellung der Energieversorgung des Landes weitreichende Konsequenzen für Landschaften und Städte hat – mit dem Illerkraftwerk in Kempten von Becker Architekten und der Konstruktionsgruppe Bauen griff das Ingenieurbaukunst-Jahrbuch 2012/2013 schon auf dem Titel genau das richtige Thema auf. Obendrein wissen wir nicht erst seit den Kalamitäten mit Stuttgart 21, dass dieser Umbau eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit ist, in der die Kenntnisse von Fachleuten allgemeinverständlich in die Öffentlichkeit getragen werden müssen. Sie, die Öffentlichkeit, ist ja nicht doof, lässt sich nicht mehr alles gefallen, misstraut gelegentlich den staatlichen Stellen  und will mitreden – Architekten wissen aus anderen Planungsaufgaben, wie die immer wichtigeren Mitbestimmungsverfahren begleitet und moderiert werden können. Bauingenieure? Tun wie Tulpe und wundern sich, wenn ihre Kompetenzen nicht als sakrosankt hingenommen werden. Gern wiederhole ich mich: Es gibt Ausnahmen!

Elegant und erstaunlich sichtdurchlässig im Unterbau – die Widerlager im kaum noch sichtbaren Untergrund bauten Himmel & Papesch (Bild: Wilfried Dechau)

Gewagtes debattieren Es sind tatsächlich immense Aufgaben, an denen sich Bauingenieure in den nächsten Jahrzehnten maßgeblich beteiligen müssen. Wenn die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Rubrik "Unternehmen" (17. August 2013) berichtet, dass in Großstädten "eine zweite Etage eingezogen" werden könnte, glaubt man zunächst, abwinken zu dürfen: Olle Kamellen aus den Wirtschaftswunderzeiten, als die "verkehrsgerechte Stadt" noch ein weitgehend akzeptiertes Ideal war. Aber ein amerikanisches Unternehmen, dass sinnfällig "Terrafugia" heißt und eine Gründung aus dem kalifornischen MIT ist, entwickelt schon mal ein Auto, das fliegen kann. 6 Mio. US Dollar investierten so genannte Wagniskapitalfonds, den Jungfernflug konnte man am 13. Juli 2013 in Wisconsin verfolgen. In Europa, so die FAZ, gebe es das staatlich subventionierte EU-Projekt "Mycopter", auch in Israel werde an einer Kombination aus Auto und Flugzeug gearbeitet – "Airmule Urban Aeronautics". Verkehrssysteme in zweiter Ebene sind natürlich auch nicht neu, man denke nur an die Wuppertaler Schwebebahn aus der Zeit um 1900. Seilbahnen werden hierzulande, weil sie vergleichsweise günstig sind, vielerorts überlegt. In La Paz bauen österreichische Seilbauer eines der weltweit größten zusammenhängenden Seilbahnnetze. Es tut sich also gerade sehr viel in alternativen Transportsystemen – aber wo sitzen Politik und Planer zusammen, um öffentlich über Chancen in deutschen Städten zu debattieren?

Dem Bauherrn Hafencity kam es auf eine stadtverträgliche Zusammenführung verschiedener Verkehrsteilnehmer an . (Bild: Wilfried Dechau)

Ingenieurbaukunst: War's das? Es seien finanzielle Gründe, aus denen die Bundesingenieurekammer das Jahrbuch in seiner bisherigen Form nicht fortführen will. Wenn ein solches Buch allerdings in Verlagshände kommt – bislang war die Buchproduktion einer Redaktion unter Leitung von Ullrich Schwarz anvertraut –, dann muss es dort rentabel sein. Zu befürchten ist ein mit Anzeigen durchsetztes Sammelsurium, und ob die Inhalte von einem unabhängigen Herausgeberrat festgelegt werden sei dahingestellt. Es droht auch eine faktische Qualitätsminderung bei den Text- und Fotobeiträgen, weil vielleicht keine Honorare mehr bezahlt werden sollen. Dann lesen wir PR-Texte der Ingenieure und sehen aus der Hüfte geschossene Handy-Bildchen? Der Schwarze Peter liegt bei den Bauingenieuren, die durchschnittlich wesentlich besser bezahlt werden als Architekten. Wenn es ihre Berufsstands-Bundesorganisation schon nicht mehr schafft, ein solches Buch zu produzieren, dürften sich die Bauingenieure etwas anderes einfallen lassen, um ihre bislang präsentabelste Publikation weiter erscheinen zu lassen.

War's das? Einige Titelbilder der gelungenen Jahrbücher zur Ingenieurbaukunst seit 2001

Links:
www.bundesingenieurkammer.de, dort Links zu den Ingenieurkammern der Bundesländer

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