Die Architektur der "Generationen Baumarkt"

Ursula Baus
5. Juni 2013
Die meisten Beispiele, die der Belgier Hannes Coudeny gesammelt hat, sind in mutmaßlich vom Auto und/ oder Verkehr verwüsteten Ambiente umgestaltet worden. (Bild: Hannes Coudenys, tumblr)

Eine von vielen: die "Generation Y"   Seit einiger Zeit besetzt sie die Feuilletons und Wirtschaftsrubriken der Medien: die Generation Y. Y = Why. Gemeint sind um 1990 geborene, gut ausgebildete Leute, die im Brabbelalter von ihren Eltern schon gefragt wurden, welches Kinderbettchen sie haben wollen. Man könnte von einer gut gemeinten Erziehung reden, die hier und da leider zu gnadenlosem Egozentrismus führt. Denn schon die Kleinen sind daran gewöhnt, dass die Dinge automatisch so laufen, wie sie sie vermeintlich wollten. Aber nur ein kleiner Teil unserer Gesellschaft – die als Ganze begriffen werden muss – kann es sich leisten, die Wünsche ihrer lieben Kleinen zu erfüllen. Jedem Kind beispielsweise sein eigenes Zimmer? Nach dem feministischen Credo der britischen Schriftstellerin Virgina Woolf (1882-1941), dass jede Frau ihr eigenes Zimmer brauche, mag das Begehren der Kinderchen konsequent scheinen.
Jetzt, so merkt man, sind diese Kinder aber im arbeitsplatzfähigen Alter, haben viel gelernt und sind – nicht nur! – in Unternehmen, die in Weltmarktführerbranchen tätig sind, sehr gefragt. Aber als Leistungsesel will sie, diese "Generation Y", nicht herhalten. Den Wohlstand kennen sie sattsam und glauben zu wissen, dass Geld nicht alles ist. Sie erwarten von ihren Arbeitgebern unumwunden, dass Zeit für die Familie und Freunde und Ausruhen und Spaßhaben im Arbeitsvertrag gesichert sein muss – und ein gut gestaltetes Arbeitsumfeld ist quasi Voraussetzung.

Eigentümer legen selbst Hand an: Ob Verschönerung oder funktionale Verbesserung im Eigenheim der Grund dafür sind, muss von Fall zu Fall entschieden werden. (Bild: Hannes Coudenys, tumblr)

Wohn- und Arbeitsalltag  So ließe sich frohlocken, dass Arbeitgeber als Bauherren mehr und mehr gefordert sind, Wert auf gute Architektur zu legen. Zum Teil erfüllt sich diese Hoffnung, dass sich mit gut erreichbaren Standorten, ansprechender Architektur und entsprechenden Raumangeboten (zum Beispiel Firmenkitas) einiges zum Guten wenden könnte. Neu ist dieser Zusammenhang nicht. Und darin deutet sich an, dass er keineswegs generationsgebunden ist: Wer gut ausgebildet war, hatte bei der Arbeitssuche immer eine Wahl. Wie immer sie ausfiel: Sie war architekturrelevant. Fantastische Verwaltungs- und Industriebauten aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts belegen dies. Aber parallel dazu wucherte hierzulande eine generationsübergreifende "Do-it-yourself"-Mentalität, die zwei Adressen hat: Baumärkte und Fertighäuser, Ausgeburten des schlechten Geschmacks, der an keine pluralistisch relevanten, stilistischen oder konzeptuellen Kategorien gebunden ist, sondern an eine fehlende ästhetische Erziehung.
Derzeit sorgt eine im Internet veröffentlichte Fotoserie für Furore: Der belgische Fotoamateur Hannes Coudenys fotografierte viele Häuser seiner wirklich scheußlichen Heimat und stellte die Bilder unter dem Titel "Ugly Belgian Houses" ins Internet. Mit grandiosem Erfolg: Griffen doch Tagesmedien wie die Süddeutsche Zeitung (1./2. Juni 2013) oder Fachblätter wie der Baumeister (B6|2013) das Thema gleich auf.

"Alltag in ...": Seit Jahrzehnten regt man sich über die Scheußlichkeiten auch in deutschen Groß- und Kleinstädten und Dörfern auf: Die db-Rubrik gab es seit Anfang der 1990er Jahre bis 2003.

Die Generationen "Baumarkt"  Man belustigt sich über diese Bilder, auch mit unterschwelliger Empörung: Wer macht denn so was? Dabei sollte man der Frage gewissenhaft nachgehen. Zum Teil – und wirklich nur zum Teil – lässt sich die Banalität damit erklären, dass die ästhetische Erziehung derer, die sparsam bauen müssen, fragwürdigen Instanzen als Wochenendbeschäftigung überlassen wird: den Baumärkten Obi oder Bauhaus oder Toom oder den Fertighausherstellern nach dem Motto "as you like it". Diese Sparte des Bauens und der Architektur spielt sich weitgehend in einer Parallelwelt ab, die als Phänomen in der Architekturtheorie einen Platz bekommen müsste; den Alltag einfach unter der Überschrift "Pluralismus" durchgehen zu lassen,verbietet sich von selbst. Die "Generationen Baumarkt" gibt es natürlich, seit es Baumärkte gibt. Dafür, Alltag und Baumarktästhetik in die Debatten einzubeziehen, leisten unter anderem die Fotografien von Hannes Coudenys Vorarbeit. Neu sind sie nicht, denn schon vor rund zwei Jahrzehnten rubrizierte die db deutsche bauzeitung derlei Alltag als Fachzeitschriftenthema: "Alltag in ..." war auf einer der letzten Seiten allerdings auch nur bildlich illustriert zu finden. Im gleichnamigen Buch (DVA, ISBN 3-421-03239-4) vermeldete Wilfried Dechau, damals Chefredakteur der db, er sei es satt, sich im Elfenbeinturm zu drehen und mit Scheuklappen durch den Rest der Republik unterwegs zu sein. In der db war – anders als bei Hannes Couvenys – auch die Kompetenz der Architekten in Frage gestellt. Hannes Couvenys beklagt, dass eigentlich passable Häuser von Laien übel verschandelt werden.

Die Grundrisse mochte man sich bei diesem Haus kaum vorstellen. (Bild: Wilfried Dechau)

Es naht der Tag der Architektur  Eine Veranstaltung, mit der sich Architekten beziehungsweise ihre Standesvertreter, die Architektenkammern, vom "Alltag" abheben wollten, war der Tag der Architektur, seit 1995 teilweise und später flächendeckend in Deutschland immer im Juni organisiert. Jedermann soll Zugang zu vorbildlicher Architektur bekommen – was löblich ist. Aber die Beispiele aus Nordrhein-Westfalen – traditionell das Gruselkabinett des länderweise organisierten Tags der Architektur – zeigen, dass alle Bemühungen, das Alltagsniveau in der Baukultur auch mit Hilfe von Architekten zu heben, kaum fruchten. Bauten schlechter Architekten + 95 % aller Fertighäuser + 95% aller Investorenarchitektur + 100 % aus dem Baumarkt = Alltag unseres Bauens. Dieser Alltag ist bislang kaum Gegenstand der Architekturtheorie. Das muss sich genauso ändern wie die Scheuklappensicht der Bauhistoriker, die weite Teile der Architekturgeschichte schlichtweg ausblenden. Es kann, weil alle Architektur den öffentlichen Raum prägt, nirgends und für niemanden mildernde Umstände geben. Auch für keine "Generation Y", die sich noch mehr zutraut als ihre (laienhaften) Vorgänger, die im Baumarkt ihr Glück suchten. ub

Zum Weiterlesen:
Wilfried Dechau: Architektur-Alltag. Woran Baukultur scheitert. Stuttgart, DVA, 1999
Wilfried Dechau: Graubuch
Karl Rosenkranz: Die Ästhetik des Hässlichen. Leipzig, Reclam, 2007 (1: 1853)
Umberto Eco: Die Geschichte der Hässlichkeit. München, Hanser, 2007
Hier das Thema > "Baukultur des Alltäglichen" bei der Bundesstiftung Baukultur mit inzwischen 23 Kolumnen

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