Berlin kann auch anders

Claus Käpplinger
31. Oktober 2012
Berlins "Mitte der Stadt" 27 mal im Format 40 x 40 cm: die Ideensuche des BDA 
Reich – aber sexy?

Luxuswohnungen sind derzeit der Schlager auf Berlins Immobilenmarkt. Kaum eine Woche vergeht ohne Bekanntgabe von zwei oder drei neuen Wohnprojekten für exklusive Anlegerkreise, die immer größere städtebauliche Maßstäbe erreichen. Auf zehn Stockwerke wächst das "Yoo-Berlin" gegenüber dem Bahnhof Friedrichstraße, also genau dort, wo einst das Große Schauspielhaus Max Reinhardts stand. Nur 200 Meter entfernt davon hat der Umbau gleich zweier großer Baublöcke begonnen, die der Unternehmer Ernst Freiberger mithilfe von David Chipperfield und Patschke+Partner – das Büro, dem die Stadt das Hotel Adlon zu verdanken hat – zu einer 95.000 Quardatmeter großen Lifestyle-Insel für gehobene Stadtnomaden transformieren will.
Berlin ist heute international angesagt. Und die Begehrlichkeiten sind groß in einer Zeit, wo nur wenige Geldanlagen sichere Renditen versprechen. Die Stadt beziehungsweise das Land Berlin sind dagegen arm, was sich durch den mehrere Milliarden schweren Betriebsunfall des neuen Flughafens Schönefeld noch weiter verschärfen dürfte (german-architects.com berichtet nächste Woche!). Das beste "Tafelsilber" an landeseigenem Immobilienbesitz wurde schon in den letzten Jahren an Private veräußert, was nun das Land verstärkt nach neuen Bodenreserven suchen lässt. Und eines der größten und attraktivsten Areale in Berlins Mitte ist das Marx-Engels-Forum, jener große Freibereich um den Fernsehturm, der von der Spreeinsel bis zum Alexanderplatz reicht und seine Existenz dem Sozialismus verdankt. Mit dem bald beginnenden Wiederaufbau des Schlosses auf der Spreeinsel rückt das neue Berlin an diesen Raum heran, den schon Hans Stimmann mit seinem "Planwerk Innenstadt" mit neuen Häusern zu füllen versuchte.

Anderhalten Architekten rekonstruieren den Palast der Republik – um die Spreeachse gespiegelt – als "Labor für Gegenwartskunst", Christine Edmaier fordert eine "Pause" für die Mitte. (Bilder: Architekten/ BDA Berlin) 
Subversiv: der BDA

Genau diesen Bereich wählte nun der Berliner BDA als Gegenstand der zweiten Ausstellung seiner noch jungen Reihe "40/40". Auf einem Blatt von 40 mal 40 Zentimetern konnte jeder Architekt seine Ideen oder visuellen Kommentare zu diesem Gebiet einreichen, bevor die Politik auch hier kaum mehr zu ändernde Fakten schaffen wird. Vor allem zwei Fragen stellten die drei Initiatoren der Reihe (Heike Hanada, Andrew Alberts und Armin Behles) allen Teilnehmern: "Was wird mit dem Raum zwischen Stellas Stadt-Loggia und Alexanderplatz, zwischen Wohnscheiben und Rotem Rathaus? Und wie können wir an diesem zentralen Ort Stadt in ihrer kollektiven, geteilten Identität entwickeln und zugleich unserer pluralistischen Gesellschaft Ausdruck verleihen?"
Zwei Fragen, die offenbar viele Architekten überforderten – wie wohl auch die erhebliche Größe des Areals in zentraler Lage. Wie sonst ist zu erklären, dass dieses Mal nur 27 Blätter abgegeben wurden, von denen viele sich konkreter Vorschläge für den Ort enthielten? Gut ein Drittel aller Blätter, die nun in der BDA-Galerie in der Mommsenstraße ausgestellt sind, bringen eher ein generelles Unbehagen gegenüber Berlins Entwicklung zum Ausdruck. So sieht man hier eine romantisch überwucherte Schlossruine (Klaus Block), dort mehrere Stadtikonen-Montagen (Thomas Stadler) oder diverse grafische Experimente (Collignon), die für mehr Partizipation plädieren.

Machleidt + Partner/ Planungsgruppe Stadtkern/ Philipp Jädicke planen eine "Synthese aus Vorkriegs- und Nachkriegsgeschichte", Urs Füssler schlägt u. a. 3.440 Wohnungen im "Bauch des Wals" Berlin vor. (Bilder: Architekten/ BDA Berlin) 
Berlin 2012

Drei Arbeiten dieser Gruppe stechen jedoch mit der Klarheit ihrer Botschaft hervor: Eine schlägt den Wiederaufbau des Palasts der Republik vor – nun aber am anderen Ufer der Spree (Anderhalten)! Eine setzt den Schriftzug "Zweifel" auf das neue Schloss (Edmaier) mit der Bildunterschrift "Eingraben. Ausgraben. Zerstören. Verschieben. Rekonstruieren. Kopieren. Berlins alte Mitte braucht eine Pause". Und eine dritte implantiert provokant eine neue Siedlung von 21-Geschossern (Urs Füssler), welche den Opfern der Luxussanierungen wieder Raum in der Innenstadt schaffen will. Ironisch, ja fast schon bösartig sind diese Arbeiten, die sich deutlich von den klein-parzellierten Stadtrekonstruktionsversuchen der zweiten Gruppe abheben, die vor allem der Horror Vacui des freien Raums eint. Die dritte Gruppe von Papieren bewegt sich zwischen den beiden anderen Gruppen und versucht pragmatisch, wenngleich auch sehr bildmächtig Großstrukturen adäquat der Größe des Areals zu entwickeln. Von Central-Park-Visionen über Ringanlagen und temporäre Erinnerungsplatzanlagen oder hohe Zeilenbauten reicht das Spektrum dieser Gruppe, die durchweg eher an die Moderne als an die Stadt des 19. Jahrhunderts anzuknüpfen versucht. Einen "großen Wurf" jedoch sucht man unter allen Arbeiten vergebens, die dennoch in ihrer Summe den Blick auf diesen speziellen Stadtraum zu schärfen verstehen.

Blick in die Forum-Factory-Ausstellung "50 Jahre Gropiusstadt" (Bild: Claus Käpplinger) 
Heimat Großsiedlung

Ganz anders verhält es sich mit der Ausstellung 50 Jahre "Gropiusstadt", eine Art Bilanz mit Ausblick auf weitere Verdichtungen, die zeitgleich in der Forum Factory  gezeigt wird. Sie macht wieder auf die Ränder der Stadt aufmerksam, die aus dem öffentlichen Diskurs nahezu verschwunden sind. Sie wagt eine durchaus selbstkritische Reflexion des Erreichten wie auch Versäumten nicht nur allein in Architektur und Städtebau, sondern auch sozial und kulturell. Und sie wagt Vergleiche mit anderen europäischen Großsiedlungen der Zeit, die heute durchaus national sehr unterschiedlich bewertet und "aufgewertet" werden. Selten erlebte man ein Soziales Wohnungsbauunternehmen so selbstkritisch, aber auch wieder offensiv wie hier im Falle der "Degewo", die mit ihrer Retrospektive gleich mehrere Zukunftsprojekte verknüpft.

Der "Siegerentwurf" des städtebaulichen Gutachterverfahrens zur Nachverdichtung der Gropiusstadt von Christoph Mäckler Architekten mit Imke Woelk und Partner: 300 neue Wohnungen in der 1. Stufe (Bild: Claus Käpplinger) 

Durchweg spannend ist so der Parcours durch ihre dichten Informationstafeln, die 50 Jahre Sozialen Wohnungsbau, Design und Alltagskultur zu vermitteln wissen. Der Kuratorin Romana Schneider gelang eine sehr kurzweilige Ausstellung, die nahezu bruchlos zu den aktuellen Umbau- und Verdichtungsprojekten überzuleiten versteht. Spannend und höchst kontrovers kann man hier die Ergebnisse eines Gutachterverfahrens zur Verdichtung der Gropiusstadt diskutieren, an denen die Büros Christoph Mäckler/Imke Woelk+Partner, Bernd Albers und Barkow Leibinger teilnahmen. Bestimmt für ein breites Publikum vermisst hier der Architekturversierte nur mehr Grundrisse zu den Bauten Georg Heinrichs, Walter Gropius' oder Klaus Müller-Rehms, die allein im sehr lesenswerten Katalog zu finden sind. Dennoch ist die Stadt als Wohn- und Lebensraum hier fassbarer als bei der BDA-Ausstellung, zumal an einem Ort, der nicht jedem bekannt sein und der nun durch den neuen Flughafen Schönefeld eine neue "Gründerzeit" erleben dürfte. Claus Käpplinger

Bis 22. November 2012: In der Mitte der Stadt | 40/40
BDA-Galerie, Mommsenstraße 64, 10629 Berlin
Montag, Mittwoch und Donnerstag 10-15 Uhr

Bis 25. November 2012: 50 Jahre Gropiusstadt
Forum Factory, Besselstraße 13-14, 10969 Berlin
Montag bis Freitag 11-20 Uhr, Samstag bis Sonntag 11-18 Uhr
Fachtagung Heimat Großsiedlung, 1. und 2. November 2012

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