Zum Deutschen Architekt*innentag 2023

Wie transformiert man Althergebrachtes?

Katinka Corts
4. Oktober 2023
Foto: Konstantin Gastman

Bevor die Transformationsforscherin Maja Göpel die Bühne betrat und ihr Referat begann, mögen sich manche, die sie noch nie haben reden hören, gefragt haben, was hinter ihrer Berufsbezeichnung steckt. Nach wenigen Minuten war es jenen aber auch klar, welche Transformation gemeint ist: Die Veränderung, in der wir uns befinden, in der unsere Umwelt, unser ganzes Lebensumfeld und damit auch die zu bauende Umwelt steckt, ist erschütternd. 
Um diese Veränderungen zu verstehen, brauchen wir eine andere mentale Infrastruktur, mit der wir uns die Welt erklären können, eine neue Sinnerklärung und zugleich eine Realitätsvereinfachung, so Göpel. »Wir sind an einem Zeitpunkt angekommen, an dem viele Vorstellungen, die lange gestimmt haben, aus der Zeit gefallen sind. Doch wie sieht die neue Realität aus?«, fragt sie daher in ihrer Forschung. 
Im Global Risk Report des World Economic Forum sind einige dieser neuen Realitätsbausteine gelistet. An vielen Orten der Erde ist die soziale Kohäsion bedroht, weil z. B. Dürren das Leben verunmöglichen, Menschen von einer Versorgung abgeschnitten sind und deshalb ihre Lebensräume verlassen. Gleichzeitig dringen wir immer tiefer in Räume, die bislang Tieren vorbehalten waren, was zu überspringenden Infektionen führen kann – seit Corona wissen wir alle, was Zoonosen sind.

Maja Göpel (Foto: Konstantin Gastmann)

Das Verständnis der Menschen vom Planeten Erde hat sich schon mehrfach revidiert und ist nun wieder im Wandel: Mit der kopernikanischen Wende stellte sich eine Grundannahme zum eigenen Lebensraum auf den Kopf – die Erde war nicht mehr als Zentrum der Welt zu verstehen. Mit der ersten Weltraumperspektive auf unseren Planeten, die als Weihnachtsbotschaft 1968 zur Erde gelangte, gab es eine nächste Zäsur: Erstmals konnten sich die Menschen ein Bild davon machen, wie die Erde aus dem Weltraum betrachtet aussieht und welches Zusammenspiel von Luft- und Wasserströmungen sowie Kontinentalmassen den Planeten definiert. 

Nun stehen wir an einer weiteren Wende: Wir stören das Gleichgewicht der Erde mit unseren Emissionen und Aktionen derart, dass Kipppunkte erreicht werden. Ein Kipppunkt stellt laut Weltklimarat IPCC eine »kritische Grenze dar, jenseits derer ein System sich umorganisiert, oft abrupt und/oder unumkehrbar«. Wurde früher meist nur von Ozonlöchern als Unheilsbringern gesprochen – weit entfernte, für uns Durchschnittsmenschen nicht erfahrbare Prozesse – , erleben wir nun ziemlich deutlich, dass sich das Klima verändert. Wir alle wissen von Eisschmelze genauso wie von Dürreperioden, wir erleben Überschwemmungen und Hitzewellen in einem vorher nicht bekannten Ausmaß (und das Jetzt sei dennoch die aktuell bestmögliche Option), wir wissen um den Anstieg des Meeresspiegels und den damit einhergehenden gravierenden Folgen für all jene Großstädte und Millionen-Metropolen, die sich entlang der Küsten unserer Kontinente auffädeln – und es gibt davon nicht wenige.

Werner Sobek, Andrea Gebhard, Tillman Prinz (Moderation), Margrit Sichrovsky, Luke Knese (Foto: Konstantin Gastmann)
Restlaufzeit: 6.5 Jahre?

Ob beim UIA in Kopenhagen 2023, bei Online-Formaten oder auch beim DAT23: »Wir müssen ins Handeln kommen« ist jener Satz, den ich am meisten höre. Was ich nicht höre, ist: »Wir haben gehandelt, nun wird es besser«, und auch nicht »Endlich sind alle gleichermaßen auf Kurs.« Werner Sobek wird uns auf dem Abschlusspodium vorrechnen, dass die Menschheit noch um die 290 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre emittieren darf, erdenweit und insgesamt, dann haben wir die 1.5 Grad durchschnittliche Erwärmung erreicht. Was für eine große Zahl, so viele Milliarden! Pro Sekunde, so Sobek weiter, gelangt aber um die 1300 Tonnen CO2 in die Atmosphäre, Tendenz steigend – das klingt schon mal erschreckend. »Sie können gern Klimaziele bis 2030 oder bis 2045 postulieren«, meint Sobek, »aber das ist dann eigentlich gar nicht mehr relevant – in sechseinhalb Jahren ist das Kontingent bereits erschöpft«, rechnet er vor. Und nun?

Maja Göpel und Tillman Prinz (Foto: Konstantin Gastmann)
Naturpositives Handeln

Maja Göpel schlägt vor, in ein anderes Denken und damit auch Handeln zu kommen, ein naturpositives Handeln zu etablieren. Nicht partiell und im Kleinen einzelne Probleme – losgelöst vom Ganzen und damit auch irgendwie direkt zum Scheitern verurteilt – zu behandeln, sondern vielmehr an anderes Denken zu implementieren, bei jedem. Erinnern Sie sich an »Inception«, den Film von Christopher Nolan aus dem Jahr 2010? Protagonist Dominick Cobb dringt über mehrere Traumebenen in das tiefe Unterbewusstsein von Menschen ein und beeinflusst damit deren Handlungen, wenn sie wach sind. Die Theorie dahinter: Wenn die Menschen einer grundlegenden Überzeugung folgen, die sie zutiefst verinnerlicht haben, kann das im wachen Dasein ihr Verhalten verändern. Wie komme ich darauf an dieser Stelle? Nein, Maja Göpel schlägt keine Massenhypnose vor! Aber sie baut in ihrem Vortrag das Bild eines Schwungrades auf, einer Methode, bei der jede und jeder einzelne überlegt, welchen Schritt sie oder er als nächstes machen kann, um die anderen in die richtige Richtung mitzuziehen. Ähnlich, wie das Myzel im Boden alles Gewachsene verbindet und darüber Informationen ausgetauscht werden, so, wie Kooperationen in großen Insektenstaaten funktionieren.

Foto: Konstantin Gastmann
Neue Wünsche wecken

Städte wie Oslo oder Paris machen vor, was mit einem Umdenken möglich wird: Sie haben ihren Bürger*innen den Gedanken einer 15-Minuten-Stadt schmackhaft gemacht, bauen seit Jahren die Fahrradinfrastruktur aus und schaffen sukzessiv Fußgängerzonen, wo früher Autoverkehr brummte und die Stadt zerteilte. Sie verfolgen also nicht den Ansatz, über auferlegte Beschlüsse die Bevölkerung umzuerziehen, stattdessen wecken sie bei den Menschen das Bedürfnis nach einer anderen Alltagsgestaltung. 

Nach Göpel belegen Studien, dass neun von zehn Menschen von sich behaupten, in der Natur glücklich zu sein. Ursprünglichkeit und freier, unveränderter Raum ist aber jenes Gut, was mit landwirtschaftlich genutzten Zonen und Bauflächen konkurrieren muss und sehr lange Zeit keine Lobby hatte. Die heutige Not und das daraus gewachsene Verständnis für Zusammenhänge und Prozesse schafft nun endlich ein Umdenken und es wird auch gefragt: Wie kann ich Lebensräume so gestalten, dass sie auf allen Ebenen einen Wert darstellen? Mit welchen Methoden kann Grünraum auch im Bestand mehr Raum gewinnen? Architects4Future haben ihre Forderungen für eine Bauwende längst klar formuliert – alles Bauen muss ab sofort nachhaltig und im Rahmen der planetaren Grenzen geschehen. Zugleich ist es wichtig, die Teilhabe sicherzustellen und soziale Verantwortung zu übernehmen.

Foto: Jens Ahner

Vieles, was in der Welt des 20. Jahrhunderts funktioniert hat, können wir uns in direkter Wahrnehmung und kurz vor Erreichen der Kipppunkte im 21. Jahrhundert nicht mehr leisten. Auch haben wir Besitzverhältnisse, die nicht mehr funktionieren: Göpel fragte in ihrem Vortrag auch, wieso es eigentlich möglich sein kann, dass der nur endlich verfügbare Boden privat sein darf. Viel stärker müssen wir also anfangen zu bilanzieren, was aus unserem Handeln, Planen und Bauen überhaupt gewonnen wird und danach abwägen, ob eine (Bau)Maßnahme notwendig und sinnvoll ist. Und viel mehr muss das, was heute unter »Pioniergeist« behandelt wird, zum neuen »Normal« werden. 

Wie stehen Effizienz und Suffizienz nebeneinander? Worum geht es eigentlich – sind wir noch dabei, die richtigen Ziele zu verfolgen? Und haben wir den Prozess richtig aufgegleist, um das Ziel zu erreichen? Dass es im Deutschen Worte wie »Hektarversiegelungsgeschwindigkeit« gibt, zeigt deutlich, dass wir den Bezug zu unserer Umwelt längst verloren haben und ihn dringend wiederfinden sollten. Und, dass wir uns nicht nur zeitgemäße Ziele setzen, sondern diese auch ernst nehmen sollten und danach handeln müssen.

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