Uneinschränkende Lebensräume

Katinka Corts
21. September 2023
Umbau und Sanierung der Evangelischen Stadtkirche in Ravensburg. Nach dem Umbau von mlw architekten morent lutz winterkorn ist auch der Chorraum barrierefrei über eine integrierte Hubbühne erreichbar. (Foto: Martin Maier Photography BFF)

Beim Bauen fängt Gleichstellung schon im Kleinen an, wenn Schwellen am Boden oder optisch uneindeutig abgegrenzte Treppenstufen auch als Hindernis für Geh- und Sehbehinderte verstanden werden. Inklusiv zu bauen heißt unter anderem, Räume und Bauten so zu gestalten und zu erschließen, dass sie von allen Menschen genutzt werden können. Körperliche Einschränkungen wie Seh- oder Gehbehinderungen dürften demzufolge Menschen nicht mehr erschweren oder verunmöglichen, am Alltag teilzunehmen.

Dass immer noch nicht alle öffentlichen Räume barrierefrei erreichbar sind, fällt meist nur Betroffenen auf und ist nicht stark genug im allgemeinen Bewusstsein verankert. Als der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen Ende August die deutsche Delegation zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland befragte, wurde das auch wieder deutlich: Jürgen Dusel, der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen konstatierte, dass es in Deutschland »noch echte ›Baustellen‹, beispielsweise in den Bereichen der Barrierefreiheit, der Teilhabe am Arbeitsleben und der Inklusiven Bildung« gibt. Leider habe die Erfahrung gezeigt, dass es nicht ausreiche, auf Vernunft und Freiwilligkeit zu setzen. Schlussendlich scheinen nur präzisere Gesetze eine wirkliche Gleichstellung aller zu ermöglichen, kombiniert mit klaren Handlungsanweisungen auch für private Bauherrschaften und einer Sammlung gelungener Beispiele, die aufzeigen, dass inklusives Bauen nicht ein Makel am Gebäude, sondern dessen Aufwertung bedeutet.  

Umbau und Sanierung der Evangelischen Stadtkirche in Ravensburg (Foto: Martin Maier Photography BFF)

Mit dem »Dr. Ursula Broermann-Preis für beispielhaftes barrierefreies Bauen«, für den Dusel die Schirmherrschaft übernommen hat, wird daher nicht nur herausragende Architektur ausgezeichnet, sondern auch die gelungene Umsetzung barrierefreier Maßnahmen in Gebäuden und Stadträumen. Ausdrücklich werden barrierefrei gestaltete private Objekte und Anlagen gesucht, die Barrierefreiheit ohne Zwang als Mehrwert für Alle umgesetzt haben. »Barrierefreiheit muss zu einem selbstverständlichen Bestandteil der Baukultur werden und sollte nicht auf Bauaufgaben wie beispielsweise Pflegeheime oder Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen beschränkt sein«, heißt es dazu im Auslobungstext. 

Der Preis prämiert Objekte und Anlagen, die nach dem 1. April 2019 in Baden-Württemberg realisiert wurden. Zur Teilnahme berechtigt sind (Innen-/Landschafts-)Architekt*innen und Stadtplaner*innen, Ingenieur*innen sowie Bauherrschaften, die mit selbigen geplant und gebaut haben, die Unterlagen müssen bis zum 30. September 2023 eingereicht werden. Die Preisverleihung findet am 4. März 2024 im Rahmen der Regionalkonferenz »Inklusiv Gestalten« im ZKM | Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe statt. Die prämierten Arbeiten werden online und im Deutschen Architektenblatt (BW) veröffentlicht sowie in der App Architekturführer Baden-Württemberg.

Der Dachverband Integratives Planen und Bauen e. V. (DIPB) vertritt seit 30 Jahren im Bereich von Stadtplanung, Bauwesen und Umweltgestaltung die Interessen von Menschen, die in ihrer Mobilität, Wahrnehmung oder Orientierung eingeschränkt sind. Dr. Ursula Broermann hat den DIPB gegründet, mit aufgebaut und zur heutigen Bedeutung geführt. Die Architektenkammer Baden-Württemberg fördert gemäß ihrem gesetzlichen Auftrag die Baukultur und das Bauwesen. Ihre Mitglieder sind einer nachhaltigen Planung und Gestaltung der bebauten Umwelt verpflichtet. Beide Auslober sehen sich in der Verantwortung und loben für 2024 daher zum fünften Mal den Dr. Ursula Broermann-Preis für beispielhaftes barrierefreies Bauen aus. 

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