Carbon statt Stahl

HENN
5. Juli 2023
Ansicht Nord (Foto: Stefan Müller)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Der CUBE ist das weltweit erste Gebäude, das mit carbonfaserverstärktem Beton entworfen und ausgeführt wurde. Der verwendete Beton ist dabei nicht mit herkömmlichen Stahlstäben bewehrt, sondern mit besonders leichten Elementen aus Carbonfasern. Das hat verschiedene Vorteile, insbesondere die Tatsache, dass Carbon im Gegensatz zu Stahl nicht korrodiert, Carbonbeton so mit deutlich weniger Beton auskommt und CO2 eingespart wird. Er ist dadurch bis zu vier Mal leichter als herkömmlicher Stahlbeton – und weist trotzdem eine vier- bis sechsfach höhere Zugfestigkeit auf. Daraus ergeben sich auch Erleichterungen für den Transport- und Einbauprozess.

Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?

Die größte Inspiration war natürlich das Material selbst. Es war sehr spannend für uns, mit diesem neuen Kompositmaterial zu entwerfen. Am Anfang des Gestaltungsprozesses galt es zu verstehen, welche neuen gestalterischen Möglichkeiten das Material bietet. Wir wollten diese neue Technologie erforschen und würdigen.

Die Carbonbewehrung besteht aus ultraleichten Fasermatten. Diese unterscheiden sich deutlich von der herkömmlichen Stahlbewehrung und haben eine fast textile Qualität. Daher kommt auch die Inspiration für die geschwungene Form des Gebäudes: wir wollten den Gewebecharakter des unsichtbaren Materials im Inneren sichtbar machen. Auch die Betonflügel, die wie freistehende Mauern zu beiden Seiten über das Gebäudes hinausragen, beruhen auf dieser Idee. Sie bieten dem Innenraum und dem Garten Schutz vor der belebten Kreuzung. Ihre schlanken Proportionen von nur fünf Zentimetern Dicke bei fast sieben Metern Höhe wären mit herkömmlichem Beton schlichtweg unmöglich gewesen.

Das Gebäude ist aus zwei Elementen zusammengesetzt, dem geschwungenen Baukörper, in dem sich ein Multifunktionsraum für Konferenzen und Events befindet und einer Box, die Büros und ein Labor beherbergt. Diese beiden Elemente zeigen die unterschiedlichen Möglichkeiten, die das Material bietet. Neben dem expressiven geschwungenen Baukörper zeigt die Box, dass die Technologie sich genauso für herkömmlichere Bauweisen eignet.

Besprechungsraum (Foto: Stefan Müller)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?

Das Projekt war ein Direktauftrag und wir hatten Glück, dass wir mit der TU Dresden und speziell mit Professor Curbach und seinem Institut zusammenarbeiten durften. Es war eine sehr besondere und intensive Beziehung. Nicht nur weil die TU die Nutzerin ist, sondern auch weil ihre Forschung fundamental dafür war, dieses neue Material zu schaffen. Die Bauherrin hat dieses Projekt also auf mehr als eine Art möglich gemacht. Besonders zu Beginn während der Konzeptfindungsphase haben wir mehrere Workshops mit Professor Curbach und seinem Team durchgeführt, um das neue Material wirklich zu verstehen – wie wir damit arbeiten und es richtig einsetzen können.

Louis Kahn empfahl bekanntlich seinen Studierenden, das Material zu befragen, wenn sie nach Inspiration suchten: »You say to brick, ›What do you want, brick?‹«. Wir hatten Glück, dass wir unser neues Material durch Professor Curbach befragen konnten und haben diese »Gespräche« anschließend in räumliche Tektonik überführt.

Dachaufsicht (Foto: Stefan Gröschel, IMB, TU Dresden)
Inwiefern haben Sie im Projekt die Verwendung von Naturbaustoffen und zirkulären Baustoffen angestrebt?

Carbonbeton bietet viel Potenzial für die Kreislaufwirtschaft. Einerseits erhöht er die Lebensdauer der Gebäude, weil es das Problem der Korrosion der Bewehrung nicht gibt. Andererseits wird gerade viel interessante und vielversprechende Forschung zu seiner Recyclingfähigkeit betrieben.

Testweises Auslegen einer Carbonmatte vor den Spritzarbeiten der Wetterschale (Foto: Stefan Gröschel, IMB, TU Dresden)
Abziehen der Betonoberfläche (Foto: Stefan Gröschel, IMB, TU Dresden)
Betonplatte mit eingespritzten, besandeten Carbongelegen (Foto: Stefan Gröschel, IMB, TU Dresden)
Welche digitalen Instrumente haben Sie bei der Planung eingesetzt?

Aufgrund der komplexen Gebäudegeometrie haben wir für die Planung eigene digitale Tools entwickelt, um die Gebäudegeometrie beschreiben und modifizieren zu können. Sobald das Konzept stand, aber auch um das Konzept zu konkretisieren, haben wir eigene Skripte erstellt, die, mit minimalem Input, einfach die detaillierte Gebäudegeometrie geschaffen haben. So konnten wir schnell die Gestaltung, aber auch Kosten, Konstruktionsfähigkeit und die Auswirkungen verschiedener alternativer Konzepte bewerten.

Vogelschau (Drohnenaufnahme: Stefan Gröschel, IMB, TU Dresden)
Beschäftigten Sie sich im Büro mit den Tendenzen des zirkulären Bauens und der sozialen Nachhaltigkeit?

Wir nehmen Nachhaltigkeit und die Verantwortung, die wir als Architekt*innen bei den multiplen ökologischen Krisen auf unserem Planeten tragen, sehr ernst. Wir haben ein eigenes Team, welches ich leite, das sich besonders darauf fokussiert, die Auswirkungen unserer Projekte auf die Umwelt und ihre Nachhaltigkeit zu bewerten. Als Teil unserer Bemühungen wollen wir zukünftig bei jeder Designentscheidung eine CO2-Analyse berücksichtigen und eine CO2-Bewertung für alle Projekte in allen Phasen durchführen. Darüber hinaus haben wir Tools entwickelt, die eine ganzheitliche Bewertung unserer Entwürfe sowohl in sozialer als auch ökologischer Hinsicht ermöglicht.

Lageplan (Zeichnung: HENN)
Entwurfskonzept (Diagramm: HENN)
Konzeptdesign Ansicht Süd (Visualisierung: HENN)
CUBE
2022
Einsteinstraße 12
01069 Dresden
 
Nutzung
Büro, Labor, Konferenzraum, Eventraum
 
Auftragsart
Direktbeautragung, LP1 – LP3 (Konzeptdesign)
 
Eigentümer
Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement (SIB)
 
Bauherrschaft
Manfred Curbach, Institut für Massivbau, TU Dresden
 
Architektur
HENN, München/Berlin
Projektteam: Giovanni Betti, Oliver Koch, Georg Pichler, Chiara Schüler
 
Generalplaner
AIB GmbH
 
Fachplaner
Assmann Beraten & Planen GmbH
Betonwerk Oschatz GmbH
Carbon Concrete Composite e. V.
Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, Institut für Betonbau
Hoch- und Tiefbau GmbH & Co. KG Sebnitz
Technische Universität Dresden – Institut für Massivbau
texton e. V.
 
Bruttogeschossgrundfläche
243 m²
 
Gesamtkosten
k.A.
 
Fotos
Stefan Gröschel, IMB, TU Dresden
Stefan Müller

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