Changierendes Äußeres

HENN
30. November 2022
Durch die teils zugezogenen Vorhängen entsteht ein lebhaftes Bild der gläsernen Fassade, mal opak, mal einsehbar. (Foto: Laurian Ghinitoiu)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Thomas Polster (TP): Mit dem Neubau der baramundi SoftwareFactory haben wir uns von traditionellen Bürokonzepten befreit. Anstatt auf statische Grundrisse mit abgeriegelten Büros zu setzen, überrascht das Gebäude mit seiner Offenheit: Es kommt fast vollständig ohne Innenwände aus. Durch raumhohe Vorhänge auf Schienen kann die Nutzerin selbst entscheiden, welche Raumkonstellation am besten zu ihrer Arbeitsweise passt. Das Besondere bei diesem Projekt ist, dass das Gebäude auch in Zukunft an weitere Nutzungen und Anforderungen individuell angepasst werden kann – auf jeden Fall ein wichtiger Aspekt, wenn es um nachhaltiges Bauen geht.
 

Peter Bäuml (PB): Das Thema der Offenheit wird auch in der Fassade weitergeführt. Anstatt sich von der Umgebung abzuschotten, öffnet sich die vollverglaste Gebäudehülle zu allen Seiten.  Das Haus ist vollständig einsehbar und nimmt so bewusst Kontakt zur Außenwelt auf. Ein öffentliches Café im Erdgeschoss vernetzt die SoftwareFactory zusätzlich mit der Stadt und bietet neue Möglichkeiten des Austauschs.

Eine zentrale Treppe öffnet sich im Erdgeschoss zu einem Stufenpodium und bietet so Platz für Veranstaltungen und informelle Treffen. (Foto: Laurian Ghinitoiu)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

PB: Es sollte ein Ort für Austausch entstehen, daher ziehen sich unterschiedliche Kommunikationsbereiche wie ein roter Faden durchs Gebäude. Diese vernetzten Zwischenräume, die sogenannten Third Spaces, fördern ungeplante Begegnungen und ermöglichen, dass sich die Mitarbeitenden untereinander besser vernetzen können. Fließende Übergänge von öffentlichen zu eher privaten Bereichen lösen bislang gekannte Grenzen innerhalb eines Gebäudes auf und schaffen Raum für Innovation und Kreativität. Ein offenes Atrium verbindet alle Geschosse miteinander und lässt Blickbeziehungen quer durchs Gebäude zu, sodass eine bessere Orientierung und Sichtbarkeit von Mitarbeitenden untereinander möglich ist.

Ein innenliegendes Atrium lädt auf vielfältigen Aufenthaltsbereiche zum Verweilen ein. (Foto: Laurian Ghinitoiu)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

TP: Die baramundi SoftwareFactory ist eines der ersten Gebäude, das im gerade entstehenden Innovationspark in Augsburg fertiggestellt wurde. Das öffentlich zugängliche Café am zukünftigen Quartiersplatz lädt benachbarte Nutzer*innen ein und schafft eine offene, campusartige Atmosphäre. Das Gebäude verschanzt sich nicht hinter Schießscharten einer Lochfassade, sondern tritt mit der offenen, transparenten Gebäudehülle direkt mit seiner Umgebung in einen Dialog. Technisch reagiert das Gebäude auf wechselnde äußere Bedingungen, indem ein vollautomatisches Vorhangsystem im Zwischenraum der Fassade den Blend- und Sonnenschutz gewährleistet.

PB: Beim Entwurf war es wichtig, dass der Neubau sowohl die Blickachse zur Straße als auch zum öffentlichen Platz aufgreift und akzentuiert. In den nächsten Jahren ist der zweite Bauabschnitt geplant. Dieser befindet sich direkt neben der fertiggestellten SoftwareFactory und ist ebenfalls so konzipiert, dass wichtige Blickbeziehungen erhalten und zwei unterschiedliche Adressbildungen konkurrenzfrei nebeneinander bestehen können.

Die Arbeitsplätze und Teamflächen sind an der Fassade angeordnet, Kommunikations- und Supportbereiche sind zum Atrium hin zentriert. (Foto: Laurian Ghinitoiu)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

TP: Von der ersten strategischen Diskussion bis zur Fertigstellung haben wir kontinuierlich einen vertrauensvollen Dialog mit Bauherrnschaft und späteren Nutzerinnen gepflegt. In gemeinsamen Workshops und Interviews haben wir uns intensiv mit den Zielen der Auftraggebenden auseinandergesetzt und sind übergangslos in den finalen Entwurf übergegangen. Dabei haben wir alle Entwurfsphasen, vom Programming über Workplace Consulting bis hin zum Interior Design, gemeinsam entwickelt und abgestimmt.

Bronzefarbene Vorhänge werden als flexible Raumtrennungen eingesetzt, die eine leicht anpassbareArbeitsumgebung ermöglichen. (Foto: Laurian Ghinitoiu)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

PB: Es ist uns gelungen, die wesentlichen konzeptionellen Ideen der frühen Phasen bis zur finalen Umsetzung beizubehalten. Vergleicht man ein frühes Rendering, das bereits in der Leistungsphase 2 entstanden ist mit dem fertigen Gebäude, wird deutlich, dass es sich nur minimal verändert hat. Auch die Idee eines Büros ohne Innenwände stand schon von Anfang an fest.

Ein öffentlich zugängliche Café lädt benachbarte Nutzer*innen ein und schafft eine offene, campusartige Atmosphäre. (Foto: Laurian Ghinitoiu)
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

TP: Die größte Herausforderung lag darin, den akustischen und thermischen Anforderungen gerecht zu werden. Diese ergeben sich aus der Kombination des großen zusammenhängenden Raumvolumens und offenen Atriums mit einer Glasfassade. Den Zielkonflikt konnten wir mit einem thermisch aktivierten Rohbau bei gleichzeitig integrierter akustischer Absorption in den Decken lösen. Mit einer Betonkerntemperierung können die Geschossdecken als thermischer Speicher und zur Klimatisierung genutzt werden, sodass eine jährliche Kerntemperatur von 21 Grad erreicht wird. 

Je nach Himmelsrichtung muss die Fassade unterschiedliche Anforderungen erfüllen, denn im Süden muss stärker gekühlt werden als im Norden. Anhand von Simulationen und Bemusterungen wurden hier die passenden Vorhänge und die richtige Wärmeschutzbeschichtungen der Verglasung festgelegt.

PB: Spezielle akustische Maßnahmen waren vor allem im Bereich des Atriums notwendig: Die Brüstungen sind mit einem Akustikputz versehen, zusätzlich verhindert ein großer Absorber direkt über dem Luftraum, dass der Schall ungehindert in die Arbeitsbereiche geleitet wird. Weitere in den Betondecken flächenbündig eingelegte Absorptionselemente sorgen für guten Schallschutz bei gleichzeitiger thermischer Abstrahlung der Decke. Ein wiederkehrendes Element sind die textilen Vorhänge, die sowohl im Gebäudeinneren als auch im Zwischenraum der Doppelfassade eingesetzt wurden: Als flexible Raumtrenner verbessern sie die Akustik, nach außen gewährleisten sie ausreichend Sicht- und Sonnenschutz.

Der Luftraum verbindet durch eine zentrale Treppenfigur die Geschosse miteinander und sorgt für kurze Wege und schnellen Kontakt zwischen den Projektteams. (Diagramm: HENN)
Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung: HENN)
Grundriss 3. Obergeschoss  (Zeichnung: HENN)
Schnitt (Zeichnung: HENN)
baramundi SoftwareFactory
2022
Forschungsallee 3
86159 Augsburg
 
Nutzung
Büro
 
Auftragsart
Direktbeauftragung
 
Bauherrschaft
Wittenstein Immobilien GmbH
 
Architektur
HENN, München
Verantwortlicher Partner: Joachim Grund
Projektleiter: Peter Bäuml, Thomas Polster
Team: Alexandra Berger, Michael Reininger, Florian Kornberger, Kathrin Schmidt, Kathrin Stamm, Handan Yalki Toyhan, Quirin Mühlbauer, Deborah Klajmic, Marcus Jacobi
 
Fachplaner
Tragwerksplanung: Sailer Stepan Tragwerkteam München GmbH
Fassade: iPb Ingenieurbüro Planung Blei
Akustikplanung: PMI GmbH
Klimakonzept: Ingenieurbüro Hausladen GmbH
Technische Gebäudeausrüstung: Pfähler + Rühl Ingenieurbüro GmbH
Elektroplanung: Ingenieurbüro Rainer Metzger
Freiraumplanung: Nowak.Müller Landschaftsarchitekten
Küchenplanung: Geisel GmbH
 
Ausführende Firmen
Rohbauarbeiten: KREUZER GmbH + Co. KG Bauunternehmung
Fassadenarbeiten: Heinrich Würfel GmbH & Co. Betriebs KG
Trockenbauarbeiten: Baierl & Demmelhuber Hoch- und Ausbau GmbH
Tischerarbeiten: Barth Innenausbau KG
Heizungs-Kältetechnische Anlagen: Engelhardt Heizung + Sanitär GmbH
Raumlufttechnische Anlagen: Scheel Gebäudetechnik GmbH
Elektro: Erhardt + Leimer Elektroanlagen GmbH
 
Hersteller
Deckensystem: Innogration GmbH
Verglasung: Flachglas Markenkreis
Vorhänge: Création Baumann
Akustikputz: Sto
Akustikpaneele: Troldtekt
Stromschienen: ERCO
 
Bruttogeschossfläche
13.600 m²
 
Gebäudevolumen
51.000 m³

Gesamtkosten
k.A.
 
Auszeichnung
DGNB Zertifizierung Gold -> Zertifizierung Platin in Bearbeitung
 
Fotos
Laurian Ghinitoiu

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