Wechselvolle Geschichte

Altbauwohnungen sind nicht nur zum Wohnen sehr beliebt, denn sie lassen sich auch gut in Büros verwandeln. Doch gerade in den Ballungszentren, wo (günstiger) Wohnraum fehlt, ist diese Fremdnutzung nicht immer sinnvoll. Dass es für diesen Zweck andere, ungeahnte Möglichkeiten gibt, zeigen baurmann.dürr architekten mit ihrem eigenen Atelier in der Karlsruher Südweststadt. Was früher ein Supermarkt und danach eine Galerie war, bietet den Architekten und ihren Mitarbeitern heute viel Platz zum Arbeiten. Wie das Büro, das sich im Erdgeschoss eines Hauses aus den 1960er Jahren befindet, nach dem Umbau im Detail aussehen würde, wusste zu Beginn niemand so genau. Die abgehängten Decken verbargen die wahre Deckenhöhe, die Fassade zum Garten hatte nur Oberlichter, so dass es im hinteren Teil des Raumes sehr dunkel war. Die Stahlstützen waren mit einem Mosaik bekleidet, das allerdings zu große Schäden aufwies, um es zu erhalten.

Die Lage inmitten eines Gründerzeitviertels, die Nähe zur Innenstadt und der durch nur wenige Stützen geprägte Grundriss waren für Henning Baurmann und Martin Dürr Grund genug, sich auf dieses Abendteuer einzulassen. Unter der abgehängten Decke kam ein Wust von Leitungen zum Vorschein, von denen aber nur noch vier in Betrieb waren. Deshalb konnte das Betontragwerk freigelegt werden, der Raum wies plötzlich ganz andere Dimensionen auf. Vier neue, großflächige Fenster, denen an der Seite je ein Lüftungsflügel zugeordnet wurde, sorgen heute dafür, dass der Raum zum einen gut belichtet wird und zum anderen ausreichend gelüftet werden kann. Die Stahlstützen wurden gespachtelt und poliert, so dass sie den Originalen in ihrer Optik sehr nahe kommen. Die Schaufensterfassade aus den 1960er Jahren hin konnte aus energetischen und technischen Gründen nicht erhalten werden. Doch die neue Variante wirkt so elegant, dass dem Bestand niemand nachtrauert. Dank zweier großer Schiebeelemente kann sie zur Hälfte geöffnet werden. Eine dezente Beleuchtung als Kombination von Strahlern, Deckenleuchten und linearen Arbeitsleuchten ergänzt das klare, den industriellen Charakter betonende Konzept.

Die Treppe zum Untergeschoss verbirgt sich im hinteren Bereich des Ateliers. Denn Besprechungszimmer, Küche, Archiv und Werkstatträumen sind die Rückzugsbereiche und durch die Lage der Treppe nicht gleich für jedermann einzusehen und zu erreichen. Die Wahl der Materialien und die Ausstattung schaffen eine fast wohnliche Atmosphäre, die im Kontrast zum rau wirkenden Erdgeschoss mit seinem dominanten Tragwerk steht. So sehr man dort unten vor neugierigen Blicken geschützt ist, so sehr lädt das Erdgeschoss dazu ein, den Architekten bei ihrer Arbeit über die Schulter zu blicken, einen Dialog herzustellen zwischen den Menschen, die unsere Städte durch ihre Planungen verändern und denen, die sich später darin zurechtfinden und auch wohlfühlen müssen.
Simone Hübener