Poesie statt Pragmatismus

Der Ort ist umkämpft. Einst geschaffen als preußische Reiterkaserne (1898-1901), nach 1945 genutzt von den Briten, gelang es Münsteraner Kunstfreunden, das Areal ab 1994 als neue Hochschuladresse der Kunst in der Wissenschaftspolitik zu verankern. Günther Domenig (Graz) ergänzte das Ensemble 1998-2001 mit einem Neubau für die Kunstakademie, Raimund Beckmann und Team sorgten für einen sorgsamen Um- und Ausbau der markanten roten Backsteinbauten (ehemals Kasernen) für den Fachbereich Architektur der FH Münster. Auch der Fachbereich Design konnte inzwischen einen Neubau auf dem Campus beziehen – nach Plänen des jungen Berliner Glass Kramer Löbbert. Doch es war wohl der letztgenannte Bau, der die benachbart lernenden Architekturstudenten aufhorchen ließ, als die bislang eigene Bibliothek erweitert werden sollte. Denn der Bau der Designer, vom Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (Münster) ausgeführt, hatte deutlich sichtbar in der Ausführung an Esprit verloren. Und so war nicht nur ein Gebäude zu entwerfen, sondern erst einmal eine Konstruktion der Beteiligung. Dieses gelang durch ein Entwurfsseminar unter der Leitung des Architekturprofessors und langjährigen Dekans Herbert Bühler, bei dem sich der Entwurf der Gruppe zauberschoen durchsetzen konnte. Und da sich der BLB auf dieses Experiment letztlich einließ, wurde das studentische Team auch mit der Ausführung beauftragt.

Diese neue Dialogfähigkeit scheint sich auch auf den Neubau übertragen zu haben: Der quaderförmige, rund 400 Quadratmeter große Einraum lehnt sich an die Außenwand der bestehenden Bibliothek und ist die Inszenierung dessen, was hier verliehen wird: Bücher. Von außen durch große Glasscheiben sichtbar, leuchten sie in die Hochschulwelt. Neben den Regal- und Zeitschriftenzonen wartet der neue Raum auch mit drei transparenten Studiolos sowie einem großzügigen Konferenzbereich auf. Das leichte Dach liegt hierbei auf eigenwillig geformten Stützen – die fliehenden Pferdebeinen gleichen, deren Form von einer Sequenz des britischen Fotopioniers Eadweard Muybrigde inspiriert ist.

Der Bau besticht durch ein klares, freches Entwurfskonzept und qualitativ hochwertige Details: Es ist ein Vergnügen, die Treppen, die Fenster, ja selbst die Regenwasserführung anzusehen. Die Architektur agiert und reagiert, ist als Ensemblespieler offensiv und defensiv zugleich, dabei weder schematisch, noch individualistisch. Offensichtlich hat das Projekt im Fadenkreuz der drei Bereiche Architektur, Design und Kunst allen Beteiligten Beine gemacht. Ganz im Sinne Leonardos.
Stefan Rethfeld