Maßgeschneidert

Erfurts Innenstadt blieb von Kriegszerstörungen weitgehend verschont – und zum Glück auch von banausischer Bauwut in der Nachwendezeit. Im Nordosten des Zentrums steht das Augustinerkloster, dessen Bibliothek und "Waidhäuser" allerdings im Krieg doch zerstört wurden. Jetzt ergänzten die Architekten das Kloster wieder mit einem Gästehaus und einer neuen Bibliothek – letztere wird erst im August eingeweiht.

Die beiden gut proportionierten  Neubauten stehen mit ihren Satteldächern parallel zueinander und bilden eine Art Hof, der dem beschaulichen, ruhigen Charakter der ganzen Anlage zugute kommt. Im Gästehaus, das in seiner Kubatur und mit zwölf Zimmern deutlich kleiner ist als die Ursprungsbauten, sind zur Straße hin alte Mauersockel als Außenwände integriert, von denen die Innenräume mit einer lichtdurchlässigen Fuge angemessene Distanz halten.

Die drei Etagen werden laubengangartig über eine makellos detaillierte Treppe erschlossen, die frei vor dem alten Mauerwerk steht. Im Untergeschoss gibt es eine Art Andachtsraum; auf jeder weiteren Etage liegen rechterhand die Gästezimmer, links mal eine kleine Küche, mal ein Lesebereich und im Obergeschoss die Dachterrasse. Alle Materialien passen zum Bestand des evangelischen Klosters, das hier seine Tagungsgäste unterbringt. Schlichte Formen und Materialien fügen sich zu einer Behaglichkeit, in der Plüsch und Plunder nichts zu suchen haben.

Funktional konzipiert und optimal mit maßangefertigtem Inventar bestückt, bieten die Zimmer Platz genug für den Rückzug ins Private. Viel Stauraum wird der Tatsache gerecht, dass man sich zu einer gewissen "Auszeit" hier auch länger einquartieren kann. Wieder einmal zeigt sich, dass Alt und Neu in einer eleganten Kontinuität besser zusammenpassen als in zuckersüßer Anbiederung.
Ursula Baus