Die große Freiheit?

Die Begeisterung über das deutsche Schulsystem nimmt bei Eltern, Lehrerinnen und Schülern nicht erst seit der Pisastudie stark ab. Immer stärker sind flexiblere Modelle gefragt, Schulformen, die den individuellen Neigungen der Schüler mehr Raum geben. Freies, eigenverantwortliches Lernen steht bei den so genannten Freien Schulen ganz oben auf der Prioritätenliste. Wie sich diese Freiheit in der Architektur der Schulgebäude umsetzen lässt, kann man an der Freien Schule Anne-Sophie in Künzelsau von Siegfried Müller und Maja Djordjevic-Müller begutachten. Auf einem 40.000 Quadratmeter großen Grundstück stehen frei verteilt die einzelnen Gebäude. Grundschüler, Mittel- und Oberstufenschüler sind in jeweils separaten Bauten untergebracht, Mensa, Bibliothek, Schwimm- und Turnhalle sorgen für den Kontakt zwischen den verschiedenen Altersstufen.

Kleinere Räume, Kuschelecken, Nischen und bunte Farben kennzeichnen das Gebäude für die Grundschüler, diagonal gesetzte Fenster verleihen dem Baukörper nach außen hin einen verspielten Charakter. Je älter die Kinder und Jugendlichen werden, desto klarer und geradliniger wird die Architektur, die Farben werden dezenter. Im Innern und in der Ausbildung der Fensteröffnungen noch so verschieden, verbindet eine einheitliche Holzverkleidung alle Bauten wieder miteinander - eine richtige Entscheidung der Architekten, denn sonst würde sich die Freie Schule Anne-Sophie in der Kleinteiligkeit verlieren.

Das gesamte Gelände ist mit einem Zaun eingefriedet, um Konflikte mit der Umgebung zu vermeiden. Mit der in der Schule propagierten Freiheit hat dies nichts zu tun. Der Vorschlag der Architekten, eine dichte Hecke zu pflanzen, wäre die bessere Alternative gewesen und hätte keine so deutlich sichtbare Grenzlinie zwischen Schulgelände und Umgebung erzeugt. Die Kinder und Jugendlichen in ihren kleinen, jahrgangsübergreifenden Lernteams mit nur zehn Schülern scheinen dies allerdings schnell zu vergessen und sich statt dessen an den möglichst naturbelassenen Materialien, den großzügig bemessenen Klassenzimmern und Fachklassen und der quietschbunt gestalteten Mensa zu erfreuen und so im Nachhinein die Entscheidung der Jury für den 2006 ausgelobten Wettbewerbs zu bestätigen.
Simone Hübener