Café Niederegger Lübeck
Caféhaustradition seit 1806
22. Mai 2013
Die süße Verlockung im Herzen der Hansestadt Lübeck: Café Niederegger in der Breiten Straße.
Wofür das Wort »Niederegger« steht, wusste ich lange bevor ich es schreiben konnte, auch wenn es die köstlichen, schokoladeumhüllten Marzipan-»Schwarzbrote« bei uns zuhause nur zu Weihnachten gab. Auf meinem Schulweg bin ich beinahe täglich am Stammhaus Niederegger vorbeigekommen – als Café habe ich es erst als Primaner zu schätzen gelernt. Seither gehört das Stück Nusstorte zum Pflichtprogramm, wenn ich mal wieder in der alten Heimat bin – oben im Café, gegenüber vom Renaissance-Treppenhaus des Rathauses. Nun ist »mein« Café Niederegger umgebaut worden. Für jemanden, dessen Heimatgefühle dort verankert sind, ist das eine im ersten Moment alarmierende Nachricht. Also musste ich schleunigst nachschauen – ist doch für die Caféhaus-Kultur in den letzten Jahrzehnten ein lausiger Niedergang zu beklagen.
Das vertraute Geschirr kommt auf edler Holzoberfläche ebenso zur Geltung wie auf Tischdecken mit Überhang – die man in den 1960er Jahren aufdeckte.
Vom Kohlmarkt her durch die Rathausarkaden kommend, bin ich schon mal beruhigt: Hat das Café Niederegger nicht schon immer so ausgesehen? Viel Rot und Weiß und, wohl dosiert, etwas Gold? Also hinein. Durch den Laden hindurch. Vorbei an den zum Verkauf ausliegenden Marzipan-Köstlichkeiten. Hinauf ins Café. Vorn ans Fenster. Auf Tassen und Kännchen immer noch das von Alfred Mahlau (1927!) entworfene, unveränderte Logo. Ich bin wieder daheim. Beruhigt kann ich mich umsehen. Was ist tatsächlich geändert, umgebaut, erneuert worden?
Angekommen im Obergeschoss, wirkt das Café leichter und lichter, kein ärgerndes Detail springt ins Auge.
Schaut man genauer hin, summiert es sich. Die Fenster wirken aufgeräumt (abgetakelt). Die ehemals zur Seite gerafften Stores sind weit hoch gezogenen Raffrollos gewichen. Vorhänge gibt es nur noch angedeutet in den Raumecken. Stühle und Tische sind neu und wirken doch so, als stünden sie schon immer dort. Versuche ich mir ins Gedächtnis zu rufen, wie es vorher ausgesehen hat, komme ich in die Bredouille. In Erinnerung geblieben ist mir das Interieur der 1960er Jahre – die in den Leimfugen knarzenden, gepolsterten Stühle mit geschwungenen Holzarmlehnen und die weißen, überhängenden Tischdecken auf runden Caféhaustischen. Die uncharmanten Modernisierungen der Zwischenzeit hatte ich erfolgreich verdrängt.
Die jetzt neuen Tische und Stühle sind, zum Glück, alles andere als modisch. Das prominente Vis-à-vis wird als Ausblick endlich gewürdigt.
Eine (natürlich rot-weiß gekleidete) Serviererin holt mich in die Gegenwart zurück: »Haben Sie noch einen Wunsch, mein Herr?« »Ach, könnten Sie mir bitte noch ein Stück Nusstorte bringen?«
Nachdem ich das Café verlassen habe, schaue ich mich noch einmal um und stelle fest, dass auch das Äußere etwas aufgeräumt worden ist. Die glänzende Natursteintapete der Erdgeschosszone (samt viel zu neckischen Dreiecks-Vordächern) wurde abgeschlagen. Und die Brüstungsfelder sind neu gestaltet worden.
Mit diesem Umbau häutet sich das 1806 gegründete Traditionshaus nach Kriegszerstörung und Wiederaufbau zum soundsovielten Male. Und es hat jetzt nach baulich wechselvoller Geschichte innen wie außen eine Form gefunden, die zum Inhalt passt. Tradition bedarf keiner Rekonstruktion, sondern solch gelungener Erneuerung.
Wilfried Dechau
Plan Innenansicht
Café Niederegger
2013
Breite Straße 89
23552 Lübeck
Bauherr
J.G. Niederegger GmbH & Co.KG
Lübeck
Architekt
Haufe Petereit Architekten
Lübeck
Projektleitung
JOI-Design GmbH Innenarchitekten
Medienpark [k]ampnagel
Hamburg
Haustechnik
Henning Harms, Ingenieurbüro
Lübeck
Tischler
Twents GmbH
Gescher
Textilien und Dekorationen
baumeister programm KG
Lüneburg
Kunstkonzept
Mareile Hellwig
Buchholz i.d. Nordheide
Bruttogeschossfläche
ca. 710 m²
Fotografie
JOI-Design GmbH Innenarchitekten
Medienpark [k]ampnagel
Wilfried Dechau (Bild 2)