Zwei Berliner im Allgäu

Thomas Geuder
3. September 2013
Das Museum der Bayerischen Könige liegt malerisch am Alpsee. Im Hintergrund: das weltberühmte Märchenschloss Neuschwanstein. (© by Wittelsbacher Ausgleichsfonds, MdbK. Foto: Marcus Ebener)

Wer beim Thema «Allgäu» vor allem an saftig grüne Wiesen, schöne Kühe, traditionelle Häuser und Berge denkt, hat ein nicht unbedingt falsches Bild vor Augen. Und doch fehlt ein wichtiger Teil: der Winter. Der kann in diesem südlichsten Teil Deutschlands ziemlich hartnäckig und schneeintensiv sein. Dächer müssen vom Planer daher mit besonderen Schneelasten berechnet werden, wir befinden uns hier in der höchsten Schneelastzone 3. Gelten für die meisten Gebiete Deutschlands Werte von  0,85 kN/m² als normal, im Allgäu müssen jedoch fast 5 kN/m² angekommen werden. Da sind Statiker, Architekt und Planer gleichermaßen gefragt, denn die eingesetzten Materialien müssen viel wegstecken können und sollen nach wenigen Jahren nicht schon alt aussehen. Witterung ist also nicht nur eine Frage der Bauphysik, sondern auch der Optik, und somit der Gestaltung.

Die Lichtplanung des Museums wurde von dem renommierten Büro LichtKunstLicht aus Bonn/Berlin übernommen. (Foto: © Marcus Ebener)

Als ganz praktisch erweist sich da etwa Aluminium, das der Korrosion, in unserem Falle also der Oxidation, viel entgegenzusetzen hat. Zumindest was reines Aluminium angeht, bildet es nämlich – einmal mit der Luft in Verbindung gekommen – eine dünne Oxidschicht (ca. 0,05 µm), die dem Material eine stumpfes und silbergraues Aussehen verleiht und gleichzeitig als passivierende Oxidschicht wirkt. Mit anderen Worten: Alu korrodiert dann nicht mehr. Diesen Effekt macht man sich im Bauwesen zunutze und stellt ihn künstlich her. Durch elektrische Oxidation, dem sogenannten Eloxieren, wird eine oxidische Schutzschicht auf der Oberfläche erzeugt, die im Gegensatz zur atmosphärischen Oxidschicht ganze 5 bis 25 µm stark sein kann. Das Besondere daran: Da diese Schicht aus dem Material selbst heraus entstanden und nicht aufgetragen ist, ist sie besonders widerstandsfähig. Färben lässt sich das dann durch das sogenannte Sondalor-Verfahren, bei dem sich durch elektrolytisches Färben und/oder absorptives Färben in den Poren der transparenten Eloxalschicht farbige Metalloxide ansammeln. Hinterher wird die Oberfläche noch mit einem amorphem Aluminiumoxidhydrat verdichtet. Der Vorteil für die Gestaltung: Bei diesem Verfahren bleibt der metallische Charakter des Aluminiums erhalten. Die Farbpalette richtet sich nicht nach RAL oder Panthone, sondern nach speziellen Eloxalfarben, wobei die Auswahl recht groß ist. Verschiedene Oberflächenqualitäten sind ebenfalls möglich.

Jede Aluminium-Schindel ist an lediglich zwei Stellen mit der Unterkonstruktion vernietet. Eine Überlappung von 5 cm überdeckt die Vernietung. (© by Wittelsbacher Ausgleichsfonds, MdbK. Foto: Marcus Ebener)

Otto Normaltourist hat es bereits vermutet: Hier in Hohenschwangau ist beim neuen Museum der Bayerischen Könige besagtes Sandalor-Aluminium zum Einsatz gekommen. Auf dem Mittelbau des barock anmutenden, dreiteiligen Bestandsgebäudeensembles – bestehend aus dem ehemaligen Grand Hotel „Alpenrose“, dem Jägerhaus und den beide Bauten verbindenden eingeschossigen Speisesaal von 1910 – ist eine in fünf verschiedenen Rottönen eingedecktes Tonnendachkonstruktion das Hauptaugenmerk. Der Entwurfsgedanke von Volker Staab – zwar aus Berlin, dennoch im südwestdeutschen Heidelberg geboren ist und in Zürich studiert – verbindet viele gestalterischen Eckpunkte: Die Raute als formales Motiv nimmt die Raute der Bayerischen Fahne auf, der metallische Glanz strahlt Wertigkeit aus, die Rottöne beziehen sich auf die Bestandsdächer, und die schimmernde Beleuchtung im Innenraum verweisen auf die royale Vergangenheit des Ortes, der seinen Höhepunkt mit dem «Märchenkönig» Ludwig II erlebte. Die Konstruktion des Dachs mit einer Stützweite von immerhin 21 Metern ist so aufgebaut, dass innen wie außen ausschließlich die Rautenform Gestalt prägend ist: innen der nach dem «Zollinger Prinzip» zusammengefügten Stahlblechträger (Stärke der Blechte: 15 mm, verbauter Stahl: 45 Tonnen), außen die Aluminiumschindeln. Diese 1 mm starken und 420 x 320 mm großen Schindeln sind auf eine Unterkonstruktion aus dem Kompositmaterial Alucobond genietet, das werkseitig bereits mit Löchern versehen wurde. So konnte die gleichmäßige und schnelle Montage der Schindeln vor Ort gewährleistet werden. Dieses gesamte Paket ist eine Sonderanfertigung des Dachbauers Wittenauer, der die Schindeln von dem Oberflächenspezialisten HD Wahl einfärben ließ.

Konstruiert wurde das Projekt übrigens von den Ingenieuren ifb frohloff staffa kühl ecker aus Berlin, die für ihre Leistung den diesjährigen Ingenieurpreis des Deutschen Stahlbaues in der Kategorie Hochbau erhielten (vom Gewinner in der Kategorie Brückenbau haben wir bereits berichtet). Angesichts der Komplexität der Bauaufgabe und der anspruchsvollen Lösung eines filigranen, trotz der großen Kräfte sehr leicht wirkenden Daches eine würdige Entscheidung.

Die Felder zwischen den Rautenstäben sind mit hinterleuchteten, transluzenten PETG-Scheiben und teilweise zusätzlichen Spots versehen. (© by Wittelsbacher Ausgleichsfonds, MdbK. Foto: Marcus Ebener)
Die mittlere Tonnendachschale wurde in fünf einzelnen Teilen vorgefertigt, die beiden äußeren Halbschalen konnten als Ganzes auf die Baustelle gebracht werden. (© by Wittelsbacher Ausgleichsfonds, MdbK. Foto: Marcus Ebener)
Statisch besteht die Konstruktion aus drei Tragebenen: (1) der rautenförmige Stahlblechträger, (2) die als Obergurt wirkenden Stahlprofil-Pfetten parallel zur Tonne und (3) die Flachstahlbänder quer zur Tonne. (© by Wittelsbacher Ausgleichsfonds, MdbK. Foto: Marcus Ebener)
Dachkonstruktion, tragende Bauteile (Quelle: Staab Architekten)
Querschnitt durch die komplette Dachkonstruktion (Quelle: Kalzip / Wittenauer)
Die Sandalor-Oberflächen besitzen eine eigene Farbpalette. (Quelle: HD Wahl)
Eloxieren und einfärben nach dem Sandalor-Verfahren. (Quelle: Sandalor)
An der Traufkante bildet das Schindeldach einen deutlich sichtbaren Übergang zur Glasfassade. (Foto: Der Raumjournalist Thomas Geuder)
Die Farbigkeit wurde entsprechend der umgebenden Dachflächen gewählt. Hier: die Sicht von Schloss Hohenschwangau aus. (Foto: Kalzip)
Lageplan. Rechts: Schloss Neuschwanstein. Mitte links: Schloss Hohenschwangau. Direkt am See links: das Museum. (Quelle: Staab Architekten)
Grundriss Obergeschoss. (Quelle: Staab Architekten)
Grundriss Erdgeschoss. (Quelle: Staab Architekten)
Die vordere Halbschale bietet den Besuchern des Museums einen Parnoramablick zum Alpsee und zum Schloss Hohenschwangau. (© by Wittelsbacher Ausgleichsfonds, MdbK. Foto: Marcus Ebener)
Der Gasthof „Zur Alpenrose“ 1852 wurde 1852 erstmals urkundlich erwähnt, 1894 vom bayerischen Königshaus erworben, um die Jahrhundertwende wesentlich erweitert und bis in die 1940er-Jahre als Grand Hotel genutzt. (Foto: Der Raumjournalist Thomas Geuder)
Ingenieurpreis des Deutschen Stahlbaus
Gewinner Kategorie Hochbau

Projekt
Museum der Bayerischen Könige
Hohenschwangau, D

Tragwerksplanung Neubau
 
IFB Frohloff Staffa Kühl Ecker
Berlin, D

Architekt
Staab Architekten
Berlin, D

Bauherr
Wittelsbacher Ausgleichsfonds, vertreten durch die Schlosshotel Lisl GmbH & Co. KG
Hohenschwangau, D

Dachdeckung
Wittenauer GmbH
Sasbach, D

Produkt
Alu-Schindeln, Sonderanfertigung

Farbigkeit
Sandalor
HD Wahl GmbH
Jettingen-Scheppach, D

Unterbau
Alucobond
3A Composites GmbH
Singen/Hohentwiel, D

Bauleitung, Denkmalpflegerische Fassaden- und Dachsanierung
Rustler Schmid Architekten
Friedberg, D

Tragwerksplanung Altbau
Barthel und Maus
München, D

Stahlbau
Prebeck GmbH
Bogen, D

Metallbau
Fittkau
Berlin, D

Restauration
Atelier Gerhard Gingele
Füssen, D

fachliche Begleitung
Klaus Klarner
München, D

Lichtplanung
LichtKunstLicht
Berlin, D

Ausstellungsdesign
Yan Liu Design
Berlin, D

Bauphysik
Müller BBM
Planegg, D

Haustechnik/TGA
Kuehn Bauer Partner
München, D

Freiraumplanung
realgrün
München, D

Fotonachweis
Wittelsbacher Ausgleichsfonds, MdbK
Marcus Ebener
Thomas Geuder
Staab Architekten
Kalzip
Wittenauer

Projektvorschläge
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