Zweite bundesweite Strohballen-Fachtage zielen auf einheitliche Standards ab

Thüringen bereitet Bauen mit Stroh den Weg

Leonhard Fromm
20. September 2023
Foto: Virko Kade

Hatte die Premiere 2022 noch an der Uni Bayreuth stattgefunden, wo auch Experten aus Weimar referierten, war der diesjährige Umzug in die Bauhaus-Stadt mit ihrer 100 Jahre alten Tradition in Architektur und Bauwesen mehr als nur ein Statement. Dazu passt, dass Thüringen als drittgrößtes Bundesland für Getreideproduktion in Deutschland Stroh als Baustoff massiv fördert. Davon profitieren Landwirte, deren Abfallprodukt aus der Ernte zum begehrten Rohstoff wird; die Forschung, die etwaige Risiken in Statik oder Haltbarkeit beherrschbar macht; die Natur, weil das Stroh CO2 speichert und als Ersatz für mineralische Baustoffe wie Beton massiv CO2 vermeidet in deren Herstellung und Logistik. Und schließlich profitieren die Wirtschaft, weil der Know-how-Transfer entlang der Wertschöpfungskette in Arbeitsplätze mündet, und die Bauherren, deren Häuser teils nur 60’000 Euro kosteten.

Die wachsende Bedeutung der Strohballenbranche spiegelte sich bei der Eröffnung wider: Die Anwesenheit von Landesumweltminister Bernhard Stengele, Staatssekretär Martin Gude aus dem Landwirtschaftsministerium, Oberbürgermeister Peter Kleine und Uni-Rektor Prof. Guido Morgenthal belegt, dass das Bauen mit Strohballen kein Nischenthema mehr ist, sondern ein seriöses Geschäftsfeld mit Potenzial. Auch vor Ort war der Weimarer Architekt Florian Hoppe, der 2006 sein eigenes Haus in Strohballen-Bauweise erstellt hat und Vorsitzender seines Fachverbands FASBA ist. Er kooperiert eng mit der Bauhaus-Uni, etwa im Fachbereich Tragwerksplanung, und der dort angegliederten Materialforschungs- und -prüfanstalt MFPA. Letztere arbeitet eng mit Hoppes Architekturbüro zusammen und greift immer wieder auf Forschungsdaten zurück, die an Hoppes Haus gewonnen wurden. 

Blick ins Plenum: Die vielen Referate begünstigen den Know-how-Transfer in die Baubranche und die Vernetzung untereinander. (Foto: Fromm)

Neben den Förderungen, betonte Morgenthal, begünstige das Bundesland mit »vereinfachten Genehmigungsverfahren und viel Pragmatismus« das Bauen mit Stroh. Konkrete Folge ist etwa der Bau eines Schulungszentrums der Diakonie Weimar Bad Lobenstein samt Gärtnerwohnung auf einem denkmalgeschützten Gutshof in Strohbauweise. Explizit benannte der Uni-Rektor das Ziel des Landes: Standards und Normen, die das Bauen mit Stroh begünstigen.

Dazu passte der Vortrag von Thomas Hering, Referent im Thüringer Landwirtschaftsministerium in Jena. 25 Jahre hatte der Forstwirt und Verfahrenstechniker darüber geforscht, Stroh als Abfallprodukt so zu verbrennen, dass es Öl, Gas oder Holz ersetzt. Auch hier habe man viele Vorurteile, Stichwort »Strohfeuer«, ausräumen müssen, ehe das Verfahren die EU-Zulassung bekommen habe. Allein in Thüringen stünden jährlich – abzüglich des Bedarfs zur Humusbildung – 880’000 Tonnen Stroh zur Verfügung, woraus man 42’500 Häuser bauen könnte. Zum Vergleich: Aktuell würden jährlich 2000 Einfamilienhäuser neu gebaut.

Neben den verschiedenen Getreidesorten mit ihren unterschiedlichen Materialeigenschaften – das machten gleich mehrere Referenten deutlich – ist der Wassergehalt des Strohs ein zentraler Faktor. Unterhalb von 15 Prozent gelten die Halme als trocken. Entsprechend sind die Ausstattung des Mähdreschers, um Länge und Richtung der Halme zu bestimmen, und der Ballenpresse wegen der Dichte von 100 bis 200 Kilogramm je Kubikmeter, die entscheidenden Parameter, um qualitativ hochwertigen Baustoff zu produzieren. 
 

Besonders Konstruktionstechniken zu Statik und Steifigkeit interessieren die Besucher. (Foto: Fromm)

»Das Weimarer Bauhaus ist heute Impulsgeber für den Strohbau wie vor 100 Jahren für den Holz- oder aktuell für den Lehmbau«, war nicht nur von den Referenten immer wieder zu hören, sondern war auch Tenor der Besucher*innen, die aus dem gesamten deutschsprachigen Raum kamen. Kontrovers wurde diskutiert, wann und durch wen die Normierung im lasttragenden Strohballenbau kommen werde: Manche sehen dabei den FASBA in der Verantwortung, der dafür staatlich gefördert werden müsse; andere das Deutsche Institut für Normung e. V. (DIN) als privatwirtschaftlich organisierte unabhängige Plattform für Normung und Standardisierung. 

Die Umsetzung könnten die Landmaschinenhersteller gewährleisten, die via Messtechnik digital Gewicht, Dichte und Feuchtegrad jedes einzelnen Ballens dokumentieren, meinte etwa Peter Weber, Landwirt aus Trier, der 2001 das erste lasttragende Strohballenhaus in Deutschland gebaut hatte und seither als Bauträger in der Pfalz und in Luxemburg tätig ist. Die Fahrer dieser 250’000 Euro teuren Fahrzeuge müssten auf Präzision und Qualität geschult werden, damit die Ballen nahezu identisch werden.

Braucht wenig Technik: Weimarer Schüler hatten mit Virko Kade (im Türrahmen rechts) im Vorfeld der Fachtage binnen zweier Tage ein Demohaus aus Strohballen errichtet. (Foto: Fromm)

Wie Weber empfahlen auch andere Referenten, etwa der Strohbaupionier Virko Kade aus der Steiermark, dass stets nur mit Ballen aus derselben Charge gebaut werden sollte. Diese Bau- und Konstruktionstechnik hat er sich in US-Agrarstaaten abgeschaut, in denen mangels Holz schon vor 130 Jahren mit Stroh gebaut wurde. Zumindest sollten die einzelnen Lagen durchgängig aus einer Lieferung stammen, um bei der späteren Setzung der Ballen dieselben Absenkungen zu haben. Vor allem hierzu macht die MFPA, die eng an die Bauhaus-Uni angelehnt ist und die Vorarbeiten zur Normierung leistet, seit Jahren wertvolle Versuche mit Klein-, Standard- und Jumboballen.

Dass der internationale Forschungsaustausch, etwa mit den USA oder Japan, zu wünschen lässt, erklären die Wissenschaftler Christopher Traube (Statik) und Dr. Stefan Helbig (Feuchte, Dichte etc.) mit dem Baurecht. Da nirgendwo auf der Welt die Regulatorik so hoch sei wie in Deutschland, sei der Prüfbedarf für das Bauen dort geringer. Allerdings erhöhten Erdbeben in Italien oder der Türkei sowie Starkregen und Hurricans in vielen Teilen der Welt auch dort die Vorgaben für die Statik. Mancherorts seien die Vorgaben verdreifacht worden, um dem fortschreitenden Klimawandel auch in 20 und 40 Jahren noch Rechnung zu tragen.
Eike Roswag-Klinge, Professor für nachhaltiges Bauen mit Lehm an der TU Berlin, brachte auf den Punkt, weshalb der Strohballenbau forciert werden solle: »Wir müssen den persönlichen CO2-Fußabdruck in Deutschland von derzeit elf Tonnen pro Jahr auf eine Tonne senken.« Das Stroh mit seiner exzellenten Klimabilanz sei dafür prädestiniert.

FASBA – Fachverband Strohballenbau Deutschland e.V.
Seit 2002 gibt es den Fachverband Strohballenbau, der mittlerweile bundesweit 230 Mitglieder hat. Deren Ziel: Mehr Bekanntheit für den regional überall verfügbaren Biobaustoff und einheitliche Standards für das Bauen, damit aufwändige und oft kostenintensive Einzelfallgenehmigungen enden, mit denen letztlich Rechtsunsicherheit für Investoren, Baudienstleister und Hersteller einhergeht.

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