Wenn einer eine Reise tut

Thomas Geuder
16. Juni 2015
Das 4-Sterne-Hotel Steigenberger am Kanzleramt ist Teil des Lehrter Stadtquartiers zwischen Hauptbahnhof und Spreebogen am westlichen Rand des Washingtonplatzes. (Bild: Stefan Josef Müller)

Als im Jahr 2006 der Berliner Hauptbahnhof – damals von vielen noch liebevoll «Lehrter Bahnhof» genannt – seine Tore und Gleise öffnete, war das von gmp errichtete Gebäude noch eine Art Solitär in einer Industriebrache. Zwar existierte seit 1994, also ein Jahr nachdem gmp den Wettbewerb zum Hauptbahnhof gewinnen konnte, ein Entwicklungsplan für das Lehrter Stadtquartier aus der Feder von O. M. Ungers, doch erst im Sommer 2006 wurde auf dessen Grundlage ein konkreter Bebauungsplan erstellt. Heute nennt sich das Gebiet rund um den Berliner Hauptbahnhof ganz modern «Europacity» und erstreckt sich vom Spreebogen nach Norden über den Bahnhof bis zur Perleberger Straße. Das erste Gebäude, das hier errichtet wurde, ist der «Tour Total» aus dem Jahr 2012 von den Architekten Barkow Leibinger, nördlich des Bahnhofs. Auf dem Gebiet südlich des Bahnhofs, dessen Charakter geprägt ist durch den Bahnhof sowie durch das Regierungsviertel mit Kanzleramt und Reichstagsgebäude, sieht der Bebauungsplan neben dem Washingtonplatz fünf Gebäude in einem streng rechtwinkligen Straßenraster plus einem Solitär vor. Die fünf Bauten in traditioneller Blockrandbebauung sind derzeit nahezu fertiggestellt.

Die Konglomeratstruktur der Fassade entwickelt sich aus dem Wechselspiel zwischen großflächigen, außenwandbündigen Verglasungen und in tiefer Leibung liegenden, zweigeschossigen Fensteröffnungen. (Bild: Stefan Josef Müller)

Vier der fünf Gebäudeblöcke verstehen sich als urbane Einheit: Sie tritt vor allem in Hinblick auf Baukörpergestalt sowie Materialisierung in Erscheinung. Das städtebauliche Leitmotiv ist hierbei eine in vier Teile zerbrochene Platte mit klaren Umrissen und unregelmäßig gebrochenen Innenkanten. So erscheinen die Baukörper in der Außenansicht wie ein Kubus, lediglich ein zweigeschossiger Rückschritt im Sockelbereich markiert den Haupteingang zum Hotel am Washingtonplatz. An den inneren «Bruchkanten» treten die Baukörper bis zu zwei Meter vor oder hinter die Bauflucht, wodurch sich hier der Stadtraum immer wieder aufweitet und verdichtet. Für einen der Baukörper, das «Steigenberger am Kanzleramt», entwickelten die Architekten von O&O Baukunst auf der Fassade ein lebhaftes Wechselspiel zwischen großflächigen sowie schmalen, zweigeschossigen Fenstern, die mal außenwandbündig liegen und mal eine tiefe Leibung entwickeln. Sellenberger Muschelkalk verstärkt diese Wirkung noch durch eine besonders kräftige Materialcharakteristik.

Mit einer Bruttogeschossfläche von rund 23.000 Quadratmetern, 339 Zimmer, davon 23 Suiten, zählt das Hotel zu den größten der Hauptstadt. (Bild: Frank Eidel / Steigenberger Hotels AG)

Für den Innenraum zeichnete sich Michael Mayer vom Reutlinger Büro Markus-Diedenhofen verantwortlich. Sein Ansatz greift die örtliche Nähe des Hotels zu den Regierungsgebäuden auf: «Die Kanzler der Bundesrepublik greifen wir als Thema spielerisch auf – und stellen es dem Faktor Mode gegenüber. Mode und Macht sind es doch, die diese Stadt prägen», erläutert er und ließ es sich deswegen auch nicht nehmen, eine «Kanzlerwand» in das Einrichtungskonzept zu integrieren. Die geradlinige Einrichtung ist – analog zur Vorgabe durch die Fassade – von warmen Farben geprägt. Lediglich ein paar wenige, gezielt eingesetzte Farbtupfer lösen diese Gemütlichkeit immer wieder, aber sehr zurückhaltend auf. Auch in der Formensprache gibt es, außer bei ein paar Designer-Möbeln, keine Extravaganzen. In den Zimmern, von denen ein Großteil nach außen orientiert ist, entsteht durch die großen Fensteröffnungen ein besonderes Raumgefühl mit Ausblick, das man in einigen Zimmern bequem auch von der Badewanne (Bette Starlet Oval Silhouette) aus genießen kann. Sie steht als klarer, symmetrischer und angenehm geformter Solitär im Bad-Bereich und könnte so der Endpunkt einer langen, vielleicht anstrengenden Reise sein, an bzw. in dem man sich wohlfühlen und (beim Blick über die Stadt) entspannen soll. Und das sogar mit gutem Gewissen, denn das Material aus Stahl und Email steht für Nachhaltigkeit, weil es langlebig und reinigungsfreundlich ist. Das passt letztendlich zum gesamten Gebäude, das von der DGNB das Zertifikat in Gold erhalten hat. tg

In allen 23 Suiten befindet sich die freistehende Badewanne Starlet Oval Silhouette mit symmetrischer Form, in der man dadurch auf der einen oder anderen Seite liegen kann. (Bild: Frank Eidel / Steigenberger Hotels AG)
Lageplan (Quelle: O&O Baukunst)
Grundriss Regelgeschoss (Quelle: O&O Baukunst)
Grundriss Erdgeschoss (Quelle: O&O Baukunst)
Fernsicht vom Bett aus: Aufgrund seiner zentralen Lage sowie der Nähe zu Bahnhof und Regierungsviertel hat sich das Hotel ganz auf Business-Gäste eingestellt. (Bild: Stefan Josef Müller)
Im obersten Geschoss des achtstöckigen Gebäudes gewährt ein Sport-, Spa- und Wellnessbereich den Gästen einen unverstellten Blick auf die Stadt. (Bild: Frank Eidel / Steigenberger Hotels AG)
Teil des Nachhaltigkeitskonzepts ist, dass Veranstaltungen im Hotel CO2-neutral abgehalten werden können. (Bild: Frank Eidel / Steigenberger Hotels AG)
Etwas mehr Farbe darf es in der Lobby sein, die sich unter einem zentralen Glasdach befindet. (Bild: Frank Eidel / Steigenberger Hotels AG)

Projekt
Hotel Steigenberger am Kanzleramt
Berlin, D

Architektur
O&O Baukunst
Berlin, D

Team
Florian Matzker (Projektleiter), Sebastian Kablau, Lars Riebschläger,
Nino Schiddel, Jessica Seidel, Caroline Jasper

Hersteller
BETTE GmbH & Co. KG 
Delbrück, D

Kompetenz
Starlet Oval Silhouette

Weitere Hersteller
Natursteinfassade: Hofmann Naturstein GmbH & Co. KG, Werbach-Gamburg, D
Kompetenz: Sellenberger Muschelkalk, geschliffen C30

Bauherr
Hotel am Kanzleramt GmbH & Co. KG
(Strauss & Co. Development GmbH)
Berlin, D

Innenarchitektur
Markus-Diedenhofen
Reutlingen, D

Landschaftsarchitekur
Coqui Małachowska-Coqui
Berlin, D

Tragwerk
HTPS
Berlin, D

Haustechnik
Scholze Gruppe
BerlinWarschau/Wien

Brandschutz
hhpberlin
Berlin, D

Bauphysik, Akustik
Ingenieurbüro Axel C. Rahn GmbH
Berlin, D

Fassade
O&O Baukunst
mit
Ingenieurbüro Franke
Glienicke, D

Fertigstellung
2014

Fotografie
Stefan Josef Müller
Frank Eidel
Steigenberger Hotels AG



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