Vielfalt

Thomas Geuder
19. Mai 2015
Das Hotel, Büro- und Geschäftshaus «Zoofenster» an der S-Bahn-Haltestelle Zoologischer Garten gehört mit knapp 119 m zu den höchsten Gebäuden in Berlin. (Bild: HGEsch Photography)

Thomas Geuder: Herr Prof. Mäckler, herzlichen Glückwunsch zum Gewinn des Deutschen Natursteinpreises. Ich habe Sie kürzlich bei den Jung Architekturgesprächen in Stuttgart zusammen unter anderem mit Max Dudler erlebt. Es war eine sehr witzige und hitzige Diskussion, in der es auch um den Umgang mit Raum in der Stadt ging. Was kann das Material Naturstein Ihrer Meinung nach für den Stadtraum leisten?
Christoph Mäckler: Zunächst einmal: Naturstein kann – anders als Beton, Glas oder Metall – altern. Er setzt Patina an. Eine Natursteinfassade bleibt erhalten, wenn sie einigermaßen vernünftig gearbeitet ist. Das ist meiner Meinung nach einer der wesentlichen Werte, die dieses Material besitzt. Außerdem ist der Naturstein, wenn man ihn in der Oberfläche bearbeitet, wenn man ihm also durch Vor- und Rücksprünge – um Le Corbusier zu zitieren – dieses Spiel von Licht und Schatten auf der Fassade ermöglicht, für das Auge einfach etwas Wunderbares. Es wird eine gewisse Haptik und Festigkeit erzeugt. Diese beiden Dinge zusammen bilden eine Einheit, die dem Ort, an dem das Bauwerk steht, eine Dauerhaftigkeit geben. Ich glaube, in unserer schnellen Welt sind nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus kulturellen Gründen eine gewisse Dauerhaftigkeit und auch eine Vertrautheit mit einem Ort, ein Halten an bestimmten Dingen, die wir erleben und an die wir uns gewöhnt haben, unglaublich wichtig.

Für das gesamte Zoofenster wurde der gleiche Naturstein verwendet, die Baukörper sind über unterschiedliche Oberflächenbearbeitungen ausformuliert. (Bild: HGEsch Photography)

Das hat letztendlich in gewisser Weise auch mit Nachhaltigkeit zu tun, oder?
Ja, ich spreche hierbei immer gerne von Dauerhaftigkeit. Der Begriff der Nachhaltigkeit kommt ja aus der Forstwirtschaft. Bei Gebäuden muss man eigentlich in Jahrhunderten, oder zumindest in Jahrzehnten denken, deswegen Dauerhaftigkeit. Ich glaube, wir brauchen sie nicht nur aus kulturellen und ökologischen Gründen, sondern auch aus volkswirtschaftlichen Gründen, denn wir werden es uns nicht lange leisten können, Gebäude, die kaum 30 Jahre alt sind, schon wieder abzureißen.

Das Zoofenster verfügt über unterschiedliche Fenstergeometrien und -typologien aus leicht hervortretenden Kastenfenstern, Lochfenstern mit Laibung und Fensterflächen. (Bild: HGEsch Photography)

Diese Gebäude werden oftmals aus energetischen Gründen abgerissen, manchmal aber auch aus ästhetischen Gründen, weil die Architektur angeblich nicht mehr zum Eigentümer oder zur Gesellschaft passt.
Es gibt natürlich verschiedene Gründe, warum so etwas stattfindet, etwa wenn Architektur zu modisch, überzogen und zeitgebunden ist. Deswegen plädiere ich auch immer für eine Art der Selbstverständlichkeit in der Architektur, also einer zeitlichen Ungebundenheit, die ich für die Qualität von Architektur für sehr wichtig halte. Natürlich gibt es auch rein ökonomische Gründe, etwa bei Immobilieninvestoren, denen im Prinzip völlig egal ist, was mit dem Ort passiert, weil sie das Haus eigentlich nur als Verkaufsobjekt und Ware sehen. So aber funktioniert Stadt gerade nicht.

Tiefe Einschnitte als Loggia an der Joachimsthalerstraße im ersten Obergeschoss weisen auf die besondere Nutzung hin: Hier befindet sich der Ballsaal. (Bild: HGEsch Photography)

Stadt funktioniert vermutlich auch in einer gewissen Maßstäblichkeit und Detaillierung, was sich mit dem Material Naturstein wiederum sehr gut umsetzen lässt.
Ja, zum Beispiel bei der Größe der Gebäude: Vielfalt in der Stadt ist unglaublich wichtig. Wir brauchen nicht nur die großen Investorenbauten, sondern wir müssen – auch politisch – dafür sorgen, dass eine Parzellierung stattfindet, damit im Stadtbild die Vielfalt von Fassaden, Nutzungen und von Eigentümern erhalten bleibt, in der jeder mit seinem Eigentum anders umgeht, als der Nachbar.

Lageplan, Grundrisse und Schnitte (Quelle: Christoph Mäckler Architekten)

Das war letztendlich auch das Prinzip Ihres Projekts Quartier Goetheplatz in Frankfurt am Main.
Hier waren wir gezwungen, aus zwei Häusern fünf zu machen.

​Gezwungen waren Sie?
Naja, um dem Ort eben nicht zu schaden. Den Bauherren hat dieser Punkt eigentlich nur wenig interessiert, aber wir haben aus Überzeugung aus den zwei Häusern, die dort realisiert werden sollten, fünf gemacht. Wir wollten die Vielfalt und die Parzellenhaftigkeit des Ortes nicht zerstören.

Alle Preisträger und Nominierten des Deutschen Natursteinpreises (Bild: NuernbergMesse / Thomas Geiger)

Was Ihnen gelungen ist, wie ich finde. Ihr Projekt «Zoofenster» in Berlin, mit dem Sie auch den Deutschen Naturstein-Preis erhalten haben, ist natürlich nicht ihr erstes Projekt, bei dem Sie den Naturstein an der Fassade verwendet haben. Was fasziniert Sie an diesem Material?
Mich fasziniert die Detailgenauigkeit, mit der man mit Naturstein arbeiten kann. Gebäude aus den vergangenen Jahrhunderten haben in ihrer Feinheit und Handwerklichkeit der Oberflächen einfach eine unglaubliche Ausdruckskraft, einen Charme und eine Vielfältigkeit, die mir persönlich sehr viel Spaß macht, weil ich bei meiner Arbeit gerne ins Detail gehe. Mich interessiert, wie ein Sockel auf dem Boden steht, wie das Gebäude darüber weiter geht usw. All das interessiert mich bis ins letzte Detail. Diese Detailqualität kann man zum Beispiel mit einer Aluminiumfassade nur schwer herstellen, denn am Ende ist es doch nur Blech. Stein dagegen ist etwas sehr handwerklich Geprägtes. Die Steinindustrie bietet damit der Fassade und dem Stein in der Fassade unglaubliche Möglichkeiten, die teilweise noch überhaupt nicht richtig zum Tragen gekommen sind. Das fasziniert mich am Stein.

Bei unserem Projekt «Lindencorso», das nun schon fast ein Viertel Jahrhundert alt ist, haben wir uns zum ersten Mal getraut, «Kanneluren» einzusetzen, und zwar horizontal. Wir hatten keine Ahnung, ob das funktioniert, ob man Steine auf diese Art fräsen kann. In Frankfurt am Main gab es damals sehr viele Natursteingebäude, die möglichst einfarbig und mit Kreuzfugen gestaltet waren, die also deutlich machten: Wir sind mit Naturstein nur verkleidet. Je weniger Maserung der Stein damals hatte, desto besser war es. Und dann bin ich durch Berlin gelaufen und habe diese wunderbaren alten Fassaden gesehen, wie etwa von Peter Behrens am Alexanderplatz, dessen Umgang mit Stein mich fasziniert hat. Ich fragte mich: Was drücken diese Fassaden eigentlich aus, und warum gefallen uns diese alten Fassaden besser als das, was wir mit den glatten Kreuzfugenfassaden haben? Dabei ist mir klar geworden, dass es eben keine Stilfrage des 18. oder 19. Jahrhunderts ist, sondern es an diesem Spiel von Licht und Schatten liegt, das sich auf einer solchen Steinfassade abbildet. Beim Bau des «Lindencorso» hatten wir Bauherren, die bei alledem auch mitgespielt haben, jedoch sind wir aber auch dafür furchtbar beschimpft worden.

Preisträger Kategorie «Landschaftsbau und Freiraumgestaltung», Zach + Zünd Architekten, vetschpartner Landschaftsarchitekten: Der Sechseläutenplatz in Zürich ist als erweiterte Bühne des Opernhauses in Natursteinparkett aus Valser Quarzit entworfen. (Bild: Manuel Bauer)

Von wem?
Nun, in der Kollegenschaft wurde das Gebäude unter anderem häufig als faschistisch bezeichnet. Heute sehe ich das Gebäude – zumindest für mich – als ein Haus, das die Idee des Steines in der Fassade stark voran gebracht hat. Ob einem das Lindencorso gefällt oder nicht: Es war von der Fügung der Steine, der Oberflächengestaltung durch die horizontalen «Kanneluren», Bossensteine, Sockelsteine usw. einfach etwas, was es bis dahin so nicht gegeben hat.

Preisträger Kategorie «Landschaftsbau und Freiraumgestaltung», Zach + Zünd Architekten, vetschpartner Landschaftsarchitekten: Das Bellevue wie auch die angrenzenden Fassadenfluchten wurden von den Landschaftsarchitekten in die städtebaulichen Überlegungen miteinbezogen. (Bild: Manuel Bauer)

Damit sprechen Sie die Detaillierung an, durch die sich am Gebäude auch immer mehr entdecken lässt, je näher man heran tritt.
Natürlich. Stellen Sie sich vor, Sie gehen an einer 100 m langen Glas- oder Betonfassade entlang. Manche verwenden bei solchen Bauten gerne den Begriff der «Abstraktheit», und zwar durchaus in einem positiven Sinn. Ich glaube aber, dass diese abstrakten Großformen, die eine gewisse Gleichmäßigkeit in die Fassade bringen, im Grunde nichts anders als Langeweile erzeugen. Man braucht also die Vielgestaltigkeit, um beim Vorbeilaufen an dieser 100 m langen Fassade nicht zu verdursten.

Preisträger Kategorie «Massive Bauteile und Bauen im Bestand», Thomas Müller: Beim Technischen Dienstleistungszentrum in Bielefeld haben Neu- und Altbau eine Natursteinfassade aus Jura-Kalkstein erhalten. (Bild: Stefan Josef Mueller)

Sie haben bei der Preisverleihung gesagt, dass dieser Preis etwas Besonderes für sie ist. Warum ist er das?
In der Vergangenheit habe ich mich sowohl in der Theorie als auch in der Praxis, also in meinen Projekten, mit Naturstein intensiv auseinandergesetzt. Das ist auch in mein Buch «Werkstoff Stein» über die Verarbeitung von Naturstein mit eingeflossen. Nicht zuletzt habe ich am Campus Westend in Frankfurt am Main auch politisch Einfluss genommen, wo hinter dem großen I.G.-Farben-Haus von Hans Poelzig, das heute das Haupthaus der Universität ist, neue Universitätsgebäude entstanden sind. Hier ging es mir darum, dass nur Gebäude mit Natursteinfassade gebaut werden, um ein einheitliches Ensemble zu schaffen. Das war ein sehr schwieriger Prozess, der mir auch unglaublich viel Ärger eingebracht hat, vor allem von Seiten der Architektenschaft. Wir hatten damals im Bewerbungsverfahren sogar Architekten ausgeschlossen, die keine Referenzen zum Thema Bauen mit Naturstein besaßen. Viele Architekten arbeiten ja absurderweise nur mit «ihrem» Material, und nicht mit allen Materialien, wie man es von einem Architekten eigentlich erwarten würde. Der Erfolg des Campus Westend aber ist deutlich sichtbar, weil dort in einem Ensemble hinter dem Poelzig-Bau verschiedene Qualitäten von Architekturen entstanden sind, die über das Material eine Einheit bilden, obwohl sie völlig unterschiedlich sind. Von Jan Kleihues über Ferdinand Heide bis hin zu Volker Staab und Ivan Reimann haben hier völlig unterschiedliche Gebäude mit völlig unterschiedlichen Qualitäten geschaffen, die alle zusammen ein wunderbares Ganzes bilden. Die Möglichkeit, dass ich das umsetzen konnte, berührt mich heute sehr und macht mich in einer gewissen Weise auch stolz.

Bei unseren eigenen Bauten muss ich in diesem Zusammenhang auch meinen Partner Thomas Mayer nennen, der nicht nur Architekt, sondern auch Schreinermeister ist und ein großes Gefühl für alle die von mir erwarteten Details hat, an denen wir oft lange zusammen arbeiten. Es macht einen unglaublichen Spaß, sich mit solchen Dingen auseinandersetzen zu können! All diese Dinge haben dazu geführt, dass ich mich heute sehr glücklich fühle, und deshalb freue ich mich sehr, mit diesem Preis eine solche Anerkennung erhalten zu haben.tg

Preisträger Kategorie «Massive Bauteile und Bauen im Bestand», Thomas Müller: Durch die eher horizontale Ausrichtung und die zurückhaltende Farbigkeit des im Lager geschnittenen Steins soll die Plastizität jedes Baukörpers betont werden. (Bild: Stefan Josef Mueller)
Preisträger Kategorie «Ein- und Mehrfamilienhäuser», Luscher Architects: Der Plan des Quartier du Grand-Pré in Crans-près-Céligny in der Schweiz leitet sich aus den Prinzipien einer abstrakt interpretierten Dorfarchitektur ab. (Bild: Pierre Boss)
Preisträger Kategorie «Ein- und Mehrfamilienhäuser», Luscher Architects: Als «Kleid» des Hauses geht die Fassade nahtlos in die eingeschnittenen Balkone und Terrassen über und zieht sich bis ins Treppenhaus hinein. (Bild: Pierre Boss)
Gesprächspartner Prof. Christoph Mäckler bei der Preisverleihung (Bild: NuernbergMesse / Thomas Geiger)


Deutscher Natursteinpreis 2015
Preisträger Gesamtpreis und Kategorie «Öffentliche Gebäude und Gewerbe»

Projekt

Zoofenster – Waldorf Astoria
Berlin, D

Architektur
Christoph Mäckler Architekten
Frankfurt am Main, D

Mitarbeiter
Projektleitung: Dieter Hassinger, Kathrin Gallus, Stephanie Wymer
Team: Michael Beckermann, Marcus Büntig, Larissa Chinenaya, Joachim Gastner, Carolin Gerum, Jochen Hettmann, Katja Hoppstädter, Daniela Hübener, Marin Juko, Boris Kaster, Jens Kleiner, Torsten Klöppelt, Tina-Maria Klug, Kentaro Matsuno, Gloria Mühlenfeld, Ulrike Nix, Damian Paris, Birgit Roth, Udo Schallenkammer, Saskia Steudel, Marek Sylla, Cheng Zheng

Bauherr
Harvest United Enterprises Ltd.
Frankfurt am Main, D

Naturstein
Trosselfels, Tauern Grün, Nero Assoluto

Fertigstellung
2012

Fotografie
HGEsch Photography
Dieter Hassinger

Preisträger Kategorie «Landschaftsbau und Freiraumgestaltung»
Projekt: Sechseläutenplatz, Zürich, CH
Architektur: Zach + Zünd Architekten GmbH, Zürich, CH
Landschaftsarchitektur: vetschpartner Landschaftsarchitekten AG, Zürich, CH
Mitarbeiter: Jürg Zollinger, Walter Vetsch, Nils Lüpke, Simone Schmid
Bauherr: Tiefbauamt der Stadt Zürich
Naturstein: Valser Quarzit

Preisträger Kategorie «Massive Bauteile und Bauen im Bestand»
Projekt: Technisches Dienstleistungszentrum, Bielefeld, D
Architektur: Thomas Müller, Berlin, D
Mitarbeiter: Torsten Glasenapp, Dirk Massute, Günther Schwanz, Jens Graul, Jonas Houba, Johannes Lott, Florian Steinbeck, Tobias Kahl, Andrea Huse, Thomas Emmrich, Christoph Bröke, Marco Kühn, Peter Omnis, Kerstin Wegener, Astrid Kneib
Bauherr: Stadt Bielefeld
Naturstein: Jura Kalkstein

Preisträger Kategorie «Ein- und Mehrfamilienhäuser»
Projekt: Quartier du Grand-Pré
Architektur: Luscher Architects SA, Lausanne, CH
Mitarbeiter: Projektleiter Mario da Campo
Bauherr: privat
Naturstein: Travertin – Typ classic, hell

Bilder der drei weiteren Preisträgerprojekte unter dem Interview.


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