Lichtfilter mit Durchblick

Thomas Geuder
18. November 2014
Das Bürogebäude mit einer Sonnenschutzfassade aus filigranen Aluminium-Lamellen empfängt den Besucher auf der «Haßleyer Insel» südöstlich der Hagener City. (Foto: Christa Lachenmaier)

Mit dem Sonnenschutz an Bürogebäuden ist es am Ende wie mit – sagen wir – Süßigkeiten: Eine gewisse Menge tut gut, zu viel davon macht eher unglücklich. Abgedunkelte Räume verursachen bei den Mitarbeitern eben ein Bauchgrummeln, weil der Bezug zum Außenraum abhanden kommt. Das Dilemma dabei liegt im Aufeinandertreffen mehrerer Bedürfnisse verborgen: Die Mitarbeiter mögen gerne helle, von natürlichem Licht durchströmte und deswegen „freundliche“ Arbeitsräume, in denen das Licht jedoch nicht zuletzt wegen der Bildschirme nicht blenden und wo eine eine Überhitzung durch zu intensive Sonneneinstrahlung vermieden werden soll. Dieser vermeintlichen Quadratur des Kreises können Architekten und Planer je nach technischer wie gestalterischer Anforderung sehr unterschiedlich begegnen. Bei dem Wasser- und Energieversorger Enervie in Hagen haben sich die Architekten von JSWD für ein System entschieden, das unmittelbar auf die Sonneneinstrahlung reagiert und so das Optimum zwischen Außenraumbezug und Verschattung schaffen soll.

Analog zu den übrigen Fassaden erhielten auch die Werkstätten und Lagerbereiche eine vertikal gegliederte, silberne Metallfassade, hier bestehend aus gedämmten Aluminium-Paneelen. (Foto: Tom Philippi)

Dem Bauherren ging es mit seinem Neubau (in dem jetzt mehrere Standorte aus Hagen und der Region zusammengefasst werden) um die Sichtbarmachung einer neuen Unternehmenskultur: Die Architektur soll den Anspruch von Offenheit und Transparenz nach außen wie innen transportieren. Die Gebäudeteile für Verwaltung, Werkstätten, Technikzentrale, Küche, Lager und Sozialbereiche gruppieren sich um einen großzügigen Innenhof. Diese Zentrierung um einen hellen Binnenbereich erleichtert allen Nutzern die Orientierung und vermeidet unerwünschte Hinterhof-Situationen. Die Fassaden der maximal zweistöckigen Werkstätten und Lagerhallen sind dabei ihrer Nutzung entsprechend eher geschlossen gestaltet.

Ein großes Panoramafenster mit sehr schmalen Sprossen markiert den Eingang zum großzügigen, viergeschossigen Foyer. (Foto: Christa Lachenmaier)

Der fünfgeschossige, kubische Bürobau bildet den Hochpunkt und gleichzeitig den Auftakt des Gebäudekomplexes. Seine Fassade ist umlaufend als Bandfassade mit hinterlüfteten Aluminiumblechen als Brüstung und pulverbeschichteten Aluminiumfenstern ausgebildet. Außen davor befinden sich vertikale Sonnenschutzlamellen, deren seitliche gekantete Blechte mit einem Anteil von rund 16 % gelocht sind und so zwar verschatten, aber auch den Durchblick von innen ermöglichen. Die Vertikal-Lamellen sind außerdem motorisch drehbar und fahren dem Sonnenstand nach. Sie fungieren also als filigraner Lichtfilter, der den Mitarbeitern jedoch einen weitgehend freien Ausblick ermöglicht. Die Kinematik der insgesamt 1.990 vorwiegend 3,19 m langen und 65 cm breiten Lamellen ist verdeckt angeordnet, eine selektierte Drehmomentabschaltung soll die Klemm- und Quetschgefahr abmindern.

Das Gebäude wurde in Stahlbetonskelettbauweise mit einem Achsraster von 5,40 m errichtet, die Fassaden von Verwaltung, Multifunktionsbereich und Kantine haben ein Fassadenraster von 1,35 m. (Foto: Christa Lachenmaier)

Die gesamte Sonnenschutz-Konstruktion samt Lamellenkern, horizontal verlaufendem Auflagerprofil als Strangpressprofil und Lamellenkinematik wurde zusammen mit dem Sonnenschutzhersteller Warema als Sonderlösung entwickelt und realisiert. Sie wirkt wie ein in der Sonne schimmerndes Kleid, das dem Gebäude je nach Belichtungs- und Bleuchtungssituation ein völlig anderes Ausstehen verleiht. Der Sonnenschutz ist außerdem wichtiger Teil der Nachhaltigkeitsplanung, die (laut Architekten) der Energieeinsparverordnung EnEV 2009 entspricht und nach den Vorgaben der LEED (Leadership in Energy and Environmental Design) in der Kategorie Gold zertifiziert wird. Zu den Nachhaltigkeitskriterien gehören ebenfalls unter anderem der Einsatz von ausschließlich LED-Leuchtmitteln, die Wärmeversorgung über Gasbrennwertkesselanlagen, die Kälteversorgung über luftgekühlte Kaltwassersätze, eine extensive Begrünung sowie Photovoltaik- und Solarthermie-Anlagen auf dem Dach.

Blick ins Innere des Bürobaus: Auf einer quadratischen Grundfläche umschließt das Gebäude einen eigenen, luftigen Innenhof. (Foto: Tom Philippi)
Lageplan (Quelle: JSWD)
Grundriss Obergeschoss (Quelle: JSWD)
Grundriss Obergeschoss (Quelle: JSWD)
Längsschnitt (Quelle: JSWD)
Die gelochten Lamellen fahren dem Sonnenstand automatisch nach und fungieren als filigraner Lichtfilter, der den Mitarbeitern trotzdem einen weitgehend freien Ausblick ermöglicht. (Foto: Tom Philippi)
Die Büroräume sollen mit der Ausbildung von offenen Arbeitswelten ein flexibles Grundgerüst bieten, das mühelos an wechselnde Arbeitsplatzkonzeptionen (Open Space, Zellenbüro, Kombibüros etc.) angepasst werden kann. (Foto: Christa Lachenmaier)
Projekt
Unternehmenszentrale der ENERVIE
Hagen, D

Architekt
JSWD Architekten
Köln, D

Hersteller
Wings Professional Project GmbH
ein Unternehmen der WAREMA Gruppe
Marktheidenfeld, D

Kompetenz
Sonderlösung bewegliche, einwandige, perforierte Großlamellen Typ «ENERVIE»

Bauherr
ENERVIE AG
Hagen, D

Projektsteuerung
Drees & Sommer
Düsseldorf, D

Generalunternehmer
Ed. Züblin AG
Köln, D

Verfahren
Geladener Generalplaner-Wettbewerb mit vorgeschaltetem Qualifikationsverfahren 2011

Fertigstellung
2014

Fotografie
Christa Lachenmaier
Tom Philippi

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