Neubau der Höllentalangerbrücke

Kräftig gegen die Kälte

Thomas Geuder
15. Dezember 2015
Eine steigende Lawinengefährdung des Standortes durch den Rückgang des Schutzwaldes erforderte eine neu geformte Topographie der Höllentalangerhütte. (Bild: Schöck)

Projekt: Höllentalangerhütte (Höllental bei Grainau, D) | Architektur: Homann.Zehl Architekten (München, D) | Bauherr: Sektion München des Deutschen Alpenvereins e.V. (München, D) | Hersteller: Schöck Bauteile GmbH (Baden-Baden, D), Kompetenz: Thermoanker

Bereits seit 1894 haben Bergsteiger im Höllental – östlich unterhalb der Zugspitze auf knapp 1400 m ü. NHN – eine Übernachtungsmöglichkeit. Anfangs noch eine 40 m² kleine Blockhütte für 6 Matratzen und 16 Heulager, wuchs der Bau über die Jahre kontinuierlich auf eine stattliche Hütte mit 80 Lagerplätzen, Gastronomie, eigener Stromversorgung, Wasch- und Toilettenräumen, Kläranlage und Materialseilbahn. Kurz: Alles, was das Bergsteigerherz braucht, inklusive eines fantastischen Ausblicks auf die Zugspitze und Waxensteinkamm. Schon in den 1990er-Jahren wurde jedoch klar, dass der Bau – in seiner jüngsten Form immerhin seit 1925 bestehend – nicht mehr den heutigen Anforderungen an Brandschutz, Arbeitsstättenrichtlinien oder Hygiene entsprach, und so wurde bereits 1997 ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben, dessen Gewinnerbau jedoch nicht gebaut wurde. Das Satteldach-Gebäude war laut Experten nicht lanwinenfest genug und daher nicht versicherbar.

Zwischen Hang und Neubau wurde mit dem Abbruchmaterial des Vorgängerbaus aufgeschüttet. (Bild: Stephan Zehl)

So wurde rund 15 Jahre später der Münchner Architekt Stephan Zehl mit seinem Entwurf für die neue Höllentalangerhütte beauftragt. Sein dreigeschossiger, treppenartig gestufter Bau mit Pultdach grenzt direkt an einen Hang an und bietet so möglichen Nassschneelawinen von Osten (also von der Gebäuderückseite) keinerlei Angriffsfläche. Möglichen Staublawinen und deren Winddruckkräfte von Westen (von der Zugspitze her) begegnet der Bau mit einer stufenartigen Abtreppung. Der Neubau bietet nun rund 100 Schlafplätze, dem aktuellen Bedarf entsprechende Sanitäranalgen sowie Wasch-, Trocken- und Schuhräume. Und natürlich entsprechende gastronomische Flächen für die hungrigen Bergsteiger-Bäuche.

Die Wände des Untergeschosses bestehen aus kerngedämmten Stahlbeton-Doppelwänden mit PUR-Dämmung. (Bild: Schöck)

Das Zeitfenster, in dem in dieser Höhe ein Haus erreichtet werden kann, ist sehr klein. Nachdem die alte Hütte 2013 beschlossen wurde, konnten erst im Mai 2014 die Bauarbeiten aufgenommen werden, im Herbst und Winter sind alle Wege zum Höllental gesperrt. Das beeinflusste nicht zuletzt die Wahl der Baustoffe und -techniken. So wurden so viele Bauteile wie möglich vorgefertigt und per Hubschrauber zum Baustelle geflogen, etwa ein Großteil der Wände in Kreuzlagenholzbauweise. Zwar wurden die statisch anspruchsvolle Rückwand am Bergmassiv, die Stütz- und Querwände aus Stahlbeton errichtet. Für die Konstruktion des Sockelgeschosses aber bestellte man beim Fertigteilwerk Siegl kernisolierte Elementwände. Die in Wörth an der Isar vorgefertigten, 3,11 x 2,57 m großen Wände haben eine besondere Oberflächenstruktur: Ihre Matrizenschalung erinnert an einen Naturstein, ihr Design wurde von Stephan Zehl entworfen und soll die Hütte harmonisch in die natürlich raue Umgebung am Bergmassiv einbinden. Diese Beton-Außenschale und die eigentlich tragende Wand werden mit Abstandhalter aus glasfaserverstärktem Kunststoff (Schöck Thermoanker) verbunden. So wird die Wärmebrücke auf ein Minimum reduziert, umgekehrt also die Wärmedämmeigenschaft der Betonwände deutlich verbessert und die gängige Branschutzanforderung nach EN-STandard erfüllt. Die geringe Wärmeleitfähigkeit und die hohe Zugfestigkeit der Kunststoffanker schützt vor Rissen und Schäden. Hier in den Bergen ist das ein gewichtiges Argument, denn der Temperaturunterschied zwischen der Luft und der Wandoberfläche kann bei Schnee und Sonnenschein schnell bis zu 60° C betragen. «Im Durchschnitt sind in jeder Elementwand 50 bis 60 Thermoanker horizontal und 10 diagonal eingesetzt», erläutert Norbert Grupp von der Anwendungstechnik bei Schöck in Baden-Baden. «Um die Stabilität der Elementwände auch beim Hubschrauber-Transport zu sichern, hat man die diagonalen Thermoanker Elemente der freihängenden Fassade kreuzweise angeordnet.»

Die besondere Bauaufgabe «Berghütte» animierte die Architekten dazu, alle Baustoffe möglichst roh und für die Nutzer sichtbar zu lassen und so einen zeitgemäßen «Hüttencharakter» zu schaffen. (Bild: Stephan Zehl)

Die Bauaufgabe «Berghütte» animierte den Architekten dazu, alle Baustoffe möglichst roh und für die Nutzer sichtbar zu lassen. So «wächst» das Sockelgeschoss als Massivbau aus der Erde, der Holzbau darüber «lehnt» sich gegen die hangseitige Stützwand. Im Inneren entstand ein zeitgemäßer, praktisch reduziert gestalteter «Hüttencharakter» mit vielen Holzoberflächen, warmen Farben und einigen Applikationen als Referenz an das Thema Bergsteigen, wie etwas Seil in der Geländerfüllung. So ausgestattet ist die Höllentalangerhütte für die nächsten 100 Jahre bestens gerüstet.

5.000 Bergsteiger erklimmen die Zugspitze jährlich zu Fuß, viele von ihnen übernachten Bergwanderer traditionell in der Höllentalangerhütte. (Bild: Schöck)
Grundriss Dachgeschoss (Quelle: Homann.Zehl Architekten)
Grundriss Erdgeschoss (Quelle: Homann.Zehl Architekten)
Grundriss Untergeschoss (Quelle: Homann.Zehl Architekten)
Querschnitt (Quelle: Homann.Zehl Architekten)
Insgesamt wurden beim Bau elf vorgefertigte Betonplatten à 3,11 x 2,57 m verwendet, im Durchschnitt sind in jeder Elementwand 50-60 Thermoanker horizontal und 10 diagonal eingesetzt. (Bild: Schöck)
Stephan Zehl entwarf eine spezielle, reliefartig strukturierte Matrix für die Fertigbetonteile, die sich an die gestalterisch an die umgebende, rohe Natur anlehnt. (Bild: Schöck)
Seit August 2015 können sich Bergsteiger zur Zugspitze wieder an der Zwischenstation Höllentalangerhütte erfreuen. (Bild: Schöck)

Projekt
Höllentalangerhütte
Höllental bei Grainau, D

Architekt
Homann.Zehl Architekten
München, D

Team
Stephan Zehl, Nicole Homann-Zehl, Julian Franzen, Florian Plajer, Clemens Eichner, Michael Deckert, Ferdinand Albrecht

Hersteller
Schöck Bauteile GmbH
Baden-Baden, D

Kompetenz
Thermoanker

Bauherr
Sektion München des Deutschen Alpenvereins e.V.
München, D

Landschaftsarchitekt
T17 Landschaftsarchitekten
München, D

Tragwerksplaner
Dipl. Ing. Ludwig Krumbachner
Dachau, D

Brandschutzplanung
Dr. Zuzana Giertlova
Gräfelfing, D

Akustische Beratung
IFT Rosenheim

HLS-Planung
Dipl. Ing. Wolfgang Nowak
München, D

Elektroplanung
Dipl. Ing. Marcus Erhard
Gilching, D

Küchenplanung
Dipl. Ing. Christian Pillich

Planung Ver- und Entsorgung
Dr. Ing. Dieter Schreff
Miesbach

Fertigestellung
2015

Fotografie
Stephan Zehl
Schöck
 


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