Im richtigen Verhältnis

Thomas Geuder
14. Oktober 2014
Die seit 1. August 2014 eröffnete Berufliche Schule am Standort Wieselerstraße ist ein kaufmännisches Kompetenzzentrum für die Ausbildungsberufe in den Bereichen Bürowirtschaft und Verwaltung. (Foto: Brigida González)

Der Weg von der Straße in ein Gebäude wird meist zwar wenig beachtet und wahrgenommen, bei genauerem Hinsehen aber kann er mitunter große Überraschungen bereit halten: Wie verändert sich der Raum, welche Formen und Materialien sind prägnant, wo und wie kann man gehen, wie ist der Weg zur gebauten Masse und den einzelnen Oberflächen angeordnet, wie verändern sich Akustik, Licht und Geruch? Ein klassisches Beisiel dazu wäre: der Kirchenbau, die nicht selten das Bild einer ganzen Stadt prägt und bei der sich das Raumgefühl beim „erlaufen“ permanent verändert. Aber auch weniger imposante und aufwändige Bauwerke können mit solch interessanten Wegführungen aufwarten und so den Charakter des Ortes bestimmen – je nach Finesse des Entwurfs mal mehr, mal weniger. In jedem Fall aber lohnt sich ein Ausprobieren: Wie reagiert man selbst auf ein Bauwerk, wenn man sich ihm immer mehr nähert, schließlich hinein geht und drinnen einen Weg beschreitet? Hier zeigt sich nicht selten die Intention des Architekten hinter seinem Entwurf.

Das Mauerwerk wurde zusätzlich zu den Fensterflächen in Teilbereichen perforiert, um einzelnen, großen Räumen oder Fluren zusätzliches Licht zu geben ohne die Klinkerflächen zu durchbrechen. (Foto: Brigida González)

Der Neubau der Beruflichen Schule in Nürnberg nordöstlich der Altstadt ergänzt das dort bereits bestehende Berufs-Schulzentrum und vervollständigt so die in diesem Stadtgebiet vorherrschende Blockrandbebauung. An der Ecke Wieselerstraße/Am Messehaus entsteht durch die Gebäudefigur ein kleiner, gut dimensionierter Vorplatz, der die von der U-Bahn-Haltestelle Schoppershof kommenden Schüler würdig empfängt. Stilprägend für die Fassade des gesamten Gebäudes ist ein anthrazit-braunes Verblendmauerwerk, dessen Wassserstrichziegel im Normalformat eine handwerkliche Ausstrahlung besitzen und zudem im wilden Verband aufgemauert sind. Ihre Oberfläche wurde während des Brennprozesses mit Kohlenstaub und Salz bestreut, wodurch eine leicht spiegelnde und dennoch grobe Wirkung entsteht. Im Sonnenlicht ergibt sich ein vielfältiges Wechselspiel zwischen hellen, dunklen, matten oder leicht glänzenden Steinen. Dieses Mauerwerk scheint sich wie ein schützender Mantel um das Gebäudeinnere zu spannen, durchbrochen nur von großflächigen Fensteröffnungen. Sie bestehen aus einer Pfosten-Riegel-Fassade mit Holz-Aluminium-Profilen, als Langfenster-Format oder als komplette Glasfassade. In der Außenansicht bilden die exakt geschnittenen Aluminiumprofile einen deutlichen, filigranen Kontrast zu den groben Mauerwerksziegeln. Ist der Außenraum noch geprägt von der Schroffheit der Klinkerfassade und der Klarheit der Aluminiumprofile, kommt man beim Betreten des Hauses durch die große, leicht wirkende Öffnung der Fensterfassade in einen Raum, der hell und freundlich, nahezu einladend ist. Dies entsteht durch Sichtbeton und helle Farben sowie durch ein großzügiges Oberlicht über der acht Meter breiten, vier Geschosse hohen und an drei Seiten von Unterrichtsräumen umschlossenen Halle. Die Fensterfassade besitzt hier schmale Profile aus hellem Holz, ebenso die Türen und Zargen zu den einzelnen Räumen. Über eine lange, dem Eintretenden zugewandte Treppe, die alle Geschosse miteinander verbindet, gelangt man schließlich in die einzelnen Räume. Eine indirekte, lineare Beleuchtung hellt am Abend Wände und Decken auf und sorgt so für eine angenehme Atmosphäre. Die Architekten von Michel+Wolf+Partner haben so ein Gebäude geschaffen, bei der ein architektonisch leichter Innenraum umhüllt, ja, fast schon geschützt wird von einer dunklen, groben Hülle, die nur partiell Ein- und Durchblick zulässt. So entsteht bereits beim Betreten des Gebäudes die richtige, behütete Atmosphäre zum Lernen und Lehren.  tg

Die großflächige, über Ecke verlaufende Glasfassade mit schmalen Profilen öffnet die Klinkerfassade und lädt zum Hineingehen ein. (Foto: Brigida González)
Drinnen erwartet den Besucher bzw. Schüler eine vier Geschosse hohe Aula mit Sichtbeton und weißen Putzflächen sowie Holz an Türen, Zargen und der Fassade. (Foto: Brigida González)
Blick zurück: Die Aula wird mit viel natürlichem Licht von oben und der Eingangsfassade beleuchtet. (Foto: Brigida González)
Lageplan (Quelle: Michel+Wolf+Partner)
Grundriss 1. Obergeschoss (Quelle: Michel+Wolf+Partner)
Grundriss Erdgeschoss(Quelle: Michel+Wolf+Partner)
Das komplette Fassadensystem THERM+ wurde nach neuesten Kriterien vom Passivhaus Institut Dr. Wolfgang Feist zertifiziert. (Bild: Raico)
Die Steinoberflächen wurden während des Brennprozesses sowohl mit Kohlestaub und mit Salz bestreut, wodurch je nach Lichtverhältnissen ein lebendiges Wechselspiel zwischen hellen, dunklen, matten oder leicht glänzenden Steinen entsteht. (Foto: Michel+Wolf+Partner)
Ein Schriftzug auf der Hallenrückwand aus Sichtbeton mit dem Begriff des ehrbaren Kaufmanns erinnert die Schüler an die ethische Dimension des kaufmännischen Handelns. (Foto: Brigida González)

Projekt
Neubau Berufliche Schule
Nürnberg, D

Architekt
Michel+Wolf+Partner, Freie Architekten BDA
Stuttgart, D

Hersteller
RAICO Bautechnik GmbH
Pfaffenhausen, D

Kompetenz
Fassadensystem THERM+ H-I
Dachfenstersystem WING 50 A

Bauherr
Stadt Nürnberg
Nürnberg, D

Bauleitung
Michel+Wolf+Partner
mit
Bär, Stadelmann, Stöcker Architekten
Nürnberg, D

Tragwerksplanung
Dr. Kreutz+Partner
Nürnberg, D

Landschaftsarchitekt
Preuss Planung
Weil der Stadt, D

Bauphysik
IBAS Ingenieurgesellschaft mbH
Bayreuth, D

HLSE-Planung
IB Schicho
Regensburg, D

Glasfa​ssaden, -dach
Roschmann Konstruktionen aus Stahl und Glas GmbH
Gersthofen, D

Fertigstellung
2014

Fotografie
Brigida Ganzález


Projektvorschläge
Sie haben interessante Produkte und innovative Lösungen im konkreten Projekt oder möchten diesen Beitrag kommentieren?
Wir freuen uns auf Ihre Nachricht!

Praxis-Archiv
Alle Beiträge der Rubrik «Praxis»

Die Rubrik «Praxis» ent­hält aus­schließ­lich redak­tio­nell er­stellte Bei­träge, die aus­drück­lich nicht von der Indus­trie oder anderen Unter­nehmen finan­ziert werden. Ziel ist die un­ab­hängige Be­richt­er­stat­tung über gute Lösungen am kon­kreten Pro­jekt. Wir danken allen, die uns dabei unter­stützen.

Andere Artikel in dieser Kategorie