Festo AutomationCenter in Esslingen, D

Gut gedimmt

Thomas Geuder
26. Januar 2016
In Esslingen bei Stuttgart hat das weltweit agierende Unternehmen Festo damit mit begonnen, die Firmenzentrale zu einem Hochtechnologiecampus auszubauen. (Bild: Festo)

Projekt: Festo AutomationCenter (Esslingen, D) | Architektur, Innenarchitektur: Architekturbüro Jaschek (Stuttgart, D) | Bauherr: Festo AG & Co. KG (Esslingen, D) | Hersteller: EControl-Glas GmbH & Co. KG (Plauen, D), Kompetenz: dimmbares Sonnenschutzglas EControl smart Typ 50/10 | weitere Projektdaten siehe unten

Festo ist eine jener Firmen, die in der öffentlichen Wahrnehmung nicht wirklich präsent sind, dennoch lokal wie global zu den wichtigsten und führenden Playern zählen. Bei Festo geht es um Steuerungs- und Automatisierungstechnik, die letztendlich überall zu finden ist, ob im Automobilbau, in der Medizintechnik, in der Textilindustrie, der Wassertechnik und vielen anderen Bereichen. In Esslingen, nur rund zehn Kilometer von Stuttgart entfernt, hat das Unternehmen seinen Stammsitz, mit einem bereits bestehenden beachtlichen Areal. Dieses wurde nun um ein weiteres Haus erweitert, ein Hochhaus mit 16 Geschossen und einer für die Umgebung eher untypischen Höhe von 67 Metern. Ungewöhnlich ist auch die Gebäudeform, die aus einem Grundriss in Form eines Rhombus entwickelt ist. Die Idee der Architekten des Büros Jaschek aus Stuttgart dahinter hat mehrere Ursprünge: Die städtebauliche Konzeption nimmt Rücksicht auf die Durchlüftungskorridore der Umgebung und bindet so die Kaltluftströme in den gesamtökologischen Plan ein. Das Gebäude zeigt durch seine charakteristische Form außerdem wie eine Kompassnadel mit seiner Spitze auf die angrenzende, bestehende Firmenzentrale und – nicht zuletzt – ist eine weithin sichtbare Landmarke mit hohem Identifikationswert.

Mit dem neuen Gebäude will Festo neben einem Wahrzeichen für die Region vor allem eine Stätte der Begegnung und modernen Raum für zukunftsweisende Ideen und Innovationen schaffen. (Bild: Festo)

Durch die rhombische Form lässt sich auch der Grundriss sinnvoll einteilen: In den beiden gegenüberliegenden Spitzen befinden sie die zwei aussteifenden Gebäudekerne mit jeweils zwei Glasaufzügen und Panoramablick. Die Fläche dazwischen steht für die Büros zur Verfügung und muss nur noch von insgesamt fünf Stützen gehalten werden. Hohlkammerdecken sorgen hier dafür, dass deren Gewicht auf ein Minimum reduziert wird. Wichtig neben diesem formalen Rahmen war Architekten wie Bauherren die Gebäudeautomation, sprich: alle Bereiche der technischen Infrastruktur, Heizung, Lüftung, Klima, Elektroanlagen, Beleuchtung, Beschattung, Zutrittskontrolle, Sicherheit und Energiemanagement. Hier haben die Planer einige moderne Technologien angewendet, wie etwa die reversible Nutzung von Geothermie in Kombination mit einem Eisspeicher, arbeitsplatzabhängige LED-Beleuchtung der Arbeitsplätze, die frequenzbezogene Optimierung der Raumakustik und vieles mehr. In Sachen Gebäudetechnologie sollte der Bauherr mit seinem Neubau auf dem innovativsten Stand sein.

Die Durchsicht bleibt dank dimmbarer Gläser erhalten und eine natürliche Lüftung ist jederzeit möglich, da sich die Fenster teilweise manuell öffnen lassen. (Bild: Festo)

Ein paar wichtige Gedanken verstecken sich in der Fassade. Denn die hätte als komplette Glasfassade mit den üblichen Problemen der Sonneneinstrahlung und der daraus folgenden Erhitzung zu kämpfen. Der Bauherr hat sich daher entschieden, sie als Abluftfassade zu konzipieren, bei der das Luftvolumen zwischen dem inneren Blendschutz, den Aluminiumbauteilen der Elementfassade sowie der Verglasung permanent abgesaugt wird. So kann die durch die Sonneneinstrahlung erwärmte Luft die Büroräume gar nicht erst erreichen, entsprechend geringer ist die Notwendigkeit zu kühlen. Diese Absaugung direkt am Fenster ersetzt zudem das herkömmliche System an der Decke. Eine weitere Raffinesse verbirgt sich in der Verglasung der Parallelausstellfenster. Sie sind mit einem dimmbaren Sonnenschutzglas (EControl) ausgerüstet, das sich nach Bedarf per Knopfdruck blau einfärben lässt. Dieses besteht aus einer Sandwichscheibe, die einen elektrochromen Effekt nutzt: Ein geringer elektrischer Spannungspegel von maximal fünf Volt aktiviert einen Ionenaustausch. Durch die nanostrukturierte Beschichtung färbt sich das veredelte Glas blau ein und reduziert so in der Verbundscheibe die Transmission des Sonnenlichts. Von der hellsten (Tv=15 %) bis zur intensivsten Färbung (Tv=55 %) dauert dieser Vorgang rund 20 für den Raumnutzer kaum wahrnehmbare Minuten. Der Gesamtdurchlass g variiert dabei zwischen 12 und 40 Prozent (DIN EN 410), bei einem Wärmedämmwert Ug von 1,1 W/m²K, mit Dreifachverglasung sogar 0,5 W/m²K. Trotz Färbung bleibt die Durchsicht erhalten. Natürlich ist eine Lüftung jederzeit möglich, da sich die Fenster manuell öffnen lassen. So wird in der Verglasung mit den dimmbaren Gläsern eine Schicht geschaffen trotz leichten Energiebedarfs über das Gesamte gesehen Energie spart, weil die Gesamtkosten für die Klimatisierung reduziert werden können. Auch die Kosten für einen mechanischen Sonnenschutz und dessen Wartung fallen an dieser Stelle weg. Beim Festo AutomationCenter erfolgt die gesamte Steuerung vollkommen automatisch. So will das Unternehmen seiner Rolle als Impulsgeber in der Automatisierungstechnik auch im neuen Haus folgerichtig gerecht werden.

Die Fassade ist als Abluftfassade konstruiert, bei der das bei Sonneneinstrahlung erwärmte Luftvolumen der Verglasung permanent abgesaugt wird. (Bild: Festo)
Lageplan (schematisch), Grundriss Regelgeschoss (schematisch), Fassadenschnitt (Quelle: Jaschek, Festo)
Grundriss Regelgeschoss (Quelle: Jaschek)
Ein Spannungspegel von nur fünf Volt aktiviert einen Ionenaustausch, durch den sich das Glas mit der nonostrukturierten Beschichtung blau färbt. (Quelle: EControl)
Rund 1000 m² dimmbares Econtrol-Glas sind in den 441 Parallelausstellfenstern verbaut, die somit Sonnenschutz und Ausblick gleichzeitig ermöglichen. (Bild: Festo)
Sowohl mit geschlossenen Cockpits und offenen Einzelarbeitsplätzen als auch mit Besprechungsräumen und Multifunktions- bzw. Thekenbereichen soll ein modernes Arbeitsumfeld geschaffen werden. (Bild: Festo)
Auch die Reinigung der 8.500 m² großen Fassade erfolgt übrigens automatisch: Ein Reinigungsroboter Gekko (Serbot) kann mit seinen Vakuumfüßen sogar auf den senkrechten Glasoberflächen laufen. (Bild: Festo)

Projekt
Festo AutomationCenter
Esslingen, D

Architektur, Innenarchitektur
Architekturbüro Jaschek
Stuttgart, D

Hersteller
EControl-Glas GmbH & Co. KG
Plauen, D

Kompetenz
dimmbares Sonnenschutzglas EControl smart Typ 50/10

Weitere Hersteller
Fassadenreinigungsroboter Gekko: Serbot AG, Buochs, CH

Bauherr
Festo AG & Co. KG
Esslingen, D

Fassadenplanung
priedemann fassadenberatung GmbH
Großbeeren/Berlin, D

Fassadenbau
Schindler Fenster + Fassaden GmbH
Roding, D

Umbauter Raum
55.000 m³

Fertigstellung
2015

Fotografie
Festo


Projektvorschläge
Sie haben interessante Produkte und innovative Lösungen im konkreten Projekt oder möchten diesen Beitrag kommentieren? Wir freuen uns auf Ihre Nachricht!

Andere Artikel in dieser Kategorie