Geschnitten und verdreht

Thomas Geuder
2. Dezember 2014
Das Eingangsbauwerk der EZB durchschneidet die ehemalige Großmarkthalle, die 1926-28 nach den Plänen des damaligen Frankfurter Stadtbaudirektors Martin Elsaesser errichtet wurde. (Foto: European Central Bank / Robert Metsch)

Thomas Geuder: Herr Prix, manche sagen, Sie hätten ihr Bauwerk in zwei Hälften geteilt, um mehr natürliches Licht in jedes Büro zu bekommen. War das der ausschlaggebende Grund?
Wolf D. Prix: Das ist natürlich nur einer der Entwurfsgedanken. Denn wenn man das komplette Raumprogramm in ein einziges Gebäude stecken würde, wäre der Block zu massiv geworden, mit unbelichteten Flächen. Deswegen haben wir den Baukörper in zwei Hälften geteilt – allerdings in zwei sehr spezielle: mit einem Schnitt von oben nach unten und gedreht. So haben wir HP-Fassaden erhalten (Anm. d. Red: hyperpoloiode Flächen). Ihr Vorteil ist, dass sie sich nur aus geraden Teilen zusammensetzen. Sehen Sie, wir wollten ein Gebäude entwickeln, das nicht unbedingt ein Icon ist, das aber in Erinnerung bleibt, eindrucksvoll ist und das man gerne anschaut. Das erreicht man am besten über eine sehr prägnante Geometrie, und die HP-Geometrie war dafür die beste Variante. Was wir dadurch erhalten haben, würden wir nicht als „Form“ oder „Gebilde“ bezeichnen, sondern als „Gestalt“. Denn die Gestalt ist mehr, sie ist Form, inhaltlich verknüpft mit dem Inhalt.

Also mit Europa?
Man sagte ja immer, die Europäische Union habe kein dreidimensionales Zeichen – jetzt hat sie eines. Wie etwa das CCTV in China von Rem Koolhaas, das eine starke Präsenz hat, und zwar durch die eigenartige Geometrie, genau wie bei unserem EZB-Gebäude. Dieses Entwurfskonzept ist ein ganz wichtiger Punkt. Die andere Geometrie ist das, was man sich merkt an einem Gebäude.

Die Eingangshalle ist der zentrale Verteiler zum Besucherzentrum, zur Lobby, zur Cafeteria, zu den Konferenzräumen, zum Mitarbeiterrestaurant sowie schließlich (ganz hinten) zum Büroturm. (Foto: Der Raumjournalist Thomas Geuder)


In der ehemaligen Großmarkthalle, die von der Eingangshalle durchschnitten wird, befindet sich der Konferenzbereich, eingestellt wie ein Haus im Haus. Im Raum zwischen Alt und Neu entstehen so spannende Raumsituationen.
Genau das was auch die Absicht. Hier sollte die alte Substanz aus dem Jahr 1928 großzügig spürbar werden.

Die beiden Teile des Hochhauses sind sehr vielfältig miteinander verbunden, über Ebenen, Rampen und Streben. Welcher Gestaltungsgedanke steckt hier dahinter?
Im Prinzip handelt es sich hier um ein räumliches Fachwerk, das die Stabilität bringt. Aus diesem Grund sind übrigens auch die beiden inneren Wände gerade, während die Fassaden draußen in sich gedreht sind. Alle Verbindungen zwischen den beiden Hochhausteilen sind also statisch begründet. Natürlich sind die Streben so geplant, dass sie den Rampen und Ebenen nicht im Weg sind.

Damit die ehemaligen Großmarkthalle als Ganzes wahrnehmbar bleibt, sind Alt und Neu konstruktiv nicht miteinander verbunden. (Foto: Der Raumjournalist Thomas Geuder)
Die Einfachverglasung der Großmarkthallenfassade wurde aus energetischen Gründen durch eine Doppelverglasung ersetzt. (Foto: Der Raumjournalist Thomas Geuder)

Wäre es nicht auch ein Gedanke gewesen, das Atrium in seiner ganzen Höhe offen zu halten, durchbohrt nur von Rampen und Trägern, um so den Raum in seiner kompletten Höhe wahrnehmen zu können?
Die Verbindung hat natürlich auch einen psychologischen Effekt. Wir wollten die Trennung nicht so absolut machen, sonst gibt es die einen, die im Nordturm sitzen, und die anderen, die im Südturm sitzen. Es soll keine inhaltliche Trennung zwischen beiden Gebäudeteilen entstehen, sondern die interne Kommunikation gefördert werden.

Und auf den Verbindungsebenen herrscht, wie wir eben gesehen haben, eine erstaunlich intime Atmosphäre und auch Ruhe.
Ja, so sollte es auch sein. Hier soll man sich treffen und ungestört unterhalten können. Wichtig ist uns hier die Funktion. Wir sind eigentlich sehr funktional denkende Architekten.

Rampen, Träger sowie drei Ebenen im 15., 27. und 38. Stockwerk verbinden die beiden Teile des Hochhauses. (Foto: Der Raumjournalist Thomas Geuder)
Blick nach oben im Atrium: Alle Geschosse besitzen einen Balkon zum Glasatrium hin. (Foto: Der Raumjournalist Thomas Geuder)

Nun haben wir im Gebäude eigentlich nur Einzelbüros gesehen. Waren flexible Bürolösungen ein Diskussionspunkt?
Frank Stepper, Senior-Projektpartner bei Coop Himmelb(l)au: Der Grundriss macht das auf jeden Fall möglich und lässt sich auch ständig verändern. Es gibt einige Bereiche, die Team-Offices und Gruppenbüro zulassen, weil sie entsprechend offen gestaltet sind. Momentan wird das nur wenig gemacht, weil die Mitarbeiter Einzelzimmer gewohnt sind. Allerdings sind viele Wände aus Glas, sodass eine gewisse Transparenz entsteht.

Wie würden Sie als der Autor ihr Gebäude beschreiben?
Wenn ich es so genau beschreiben könnte, hätte ich es nicht bauen müssen. Zeichnen allerdings konnten wir es schon.
Das Beste, das mir in meinem architekturrelevanten Leben erfahren habe, war dies: Vor langer Zeit hat mich einmal ein Journalist überfallen und mich nach meinen Vorbildern gefragt. Ich wollte nicht Corbusier, Piranesi oder Kiesler nennen, sondern habe gesagt: Keith Richards, der Gitarrist der Rolling Stones. Seitdem nennen uns einige noch immer die «Rolling Stones der Architektur» – mit 72 Jahren soll ich noch immer ein Rolling Stone sein. Blödsinn. Aber der Song «Gimme Shelter» ist noch immer für uns Architektur!

Die Hauptebenen sind mit Expressaufzügen verbunden, dazwischen fährt man mit «normalen» Aufzügen – oder nimmt das Treppenhaus. (Foto: Der Raumjournalist Thomas Geuder)
Vergleichsweise normal sind die Büroräume ausgestattet, raumhohe Verglasungen lassen viel Licht in den Innenraum. (Foto: European Central Bank / Robert Metsch)

Nun haben wir im Gebäude eigentlich nur Einzelbüros gesehen. Waren flexible Bürolösungen ein Diskussionspunkt?
Frank Stepper, Senior-Projektpartner bei Coop Himmelb(l)au: Der Grundriss macht das auf jeden Fall möglich und lässt sich auch ständig verändern. Es gibt einige Bereiche, die Team-Offices und Gruppenbüro zulassen, weil sie entsprechend offen gestaltet sind. Momentan wird das nur wenig gemacht, weil die Mitarbeiter Einzelzimmer gewohnt sind. Allerdings sind viele Wände aus Glas, sodass eine gewisse Transparenz entsteht.

Wie würden Sie als der Autor ihr Gebäude beschreiben?
Wenn ich es so genau beschreiben könnte, hätte ich es nicht bauen müssen. Zeichnen allerdings konnten wir es schon.
Das Beste, das mir in meinem architekturrelevanten Leben erfahren habe, war dies: Vor langer Zeit hat mich einmal ein Journalist überfallen und mich nach meinen Vorbildern gefragt. Ich wollte nicht Corbusier, Piranesi oder Kiesler nennen, sondern habe gesagt: Keith Richards, der Gitarrist der Rolling Stones. Seitdem nennen uns einige noch immer die «Rolling Stones der Architektur» – mit 72 Jahren soll ich noch immer ein Rolling Stone sein. Blödsinn. Aber der Song «Gimme Shelter» ist noch immer für uns Architektur!

Das Kunstwerk an der Decke des großen Konferenzsaals stellt ein stilisiertes Europa dar. (Foto: European Central Bank / Robert Metsch)
Vom großen Konferenzsaal aus hatten wir (trotz schlechtem Wetter) einen weiten Blick über die Stadt Frankfurt. (Foto: Der Raumjournalist Thomas Geuder)

Eine letzte Frage, Herr Prix: Welche ist Ihre Lieblingsecke in diesem großen Gebäude?
Ganz oben, der große Meeting-Room.

Wegen der Aussicht über die Stadt und das Zentrum von Frankfurt?
Ja Klar! Eigentlich baut man doch Hochhäuser, damit man eine gute Aussicht hat. Schließlich ist das ein Archetyp in der Architektur. Denken Sie gerade mal an die Türme in Bologna. Ich mag es gerne, oben zu stehen und alles sehen zu können.

Sie meinen, das hat etwas Meditatives?
Und es hat etwas mit «Übersicht» zu tun. Ich mache das ja in jeder Stadt: Ich suche mir zuerst den höchsten Punkt aus und schaue mit die Stadt von oben an.

Schade dann eigentlich, dass man diesen Raum als Normalsterblicher zukünftig nicht mehr betreten kann. War zufällig mal angedacht, eine Aussichtsplattform einzurichten?
Immer schon. Aber da geht die Sicherheit vor, was auch verständlich ist. Dennoch haben wir Architekten natürlich immer mehr mit den Sicherheitsbestimmungen zu kämpfen. Im Fall der EZB kann man allerdings sagen: Wir haben dieses Gebäude trotz eines Projektsteuerers fertig gebracht.

Vielen Dank für den Rundgang und das Gespräch, Herr Prix und Herr Stepper.  tg

Bis zu 185 m hoch, der nördliche Turm mit 45 Stockwerken, der südliche 43 – so präsentieren sich das beiden poygonalen Hochhausscheiben der EZB im Frankfurter Osten. (Foto: European Central Bank / Robert Metsch)
Treffen der Fachjournalisten zum Rundgang mit Architekt Wolf D. Prix (Mitte, grauer Anzug) und Frank Stepper, Senior-Projektpartner bei Coop Himmelb(l)au (links daneben) sowie Andrea Jürges (EZB). (Foto: Der Raumjournalist Thomas Geuder)
Auch das darf in einem Bauwerk von Coop Himmelb(l)au sein: Den Mitarbeitern ist schnell aufgefallen, dass manche Stützen schräg verlaufen. Der Grund hierfür erschließt sich in den einzelnen Bürogeschossen tatsächlich nicht immer. (Foto: Der Raumjournalist Thomas Geuder)

Pläne vom Bau dürfen aus Gründen der Sicherheit leider nicht veröffentlicht werden.

Projekt
Neubau der Europäischen Zentralbank
Frankfurt/Main, D

Architekt
Coop Himmelb(l)au
Wien, AT

Bauherr
Europäische Zentralbank
Frankfurt/Main, D

Projekt
Neubau der Europäischen Zentralbank
Frankfurt/Main, D

Architekt
Coop Himmelb(l)au
Wien, AT

Bauherr
Europäische Zentralbank
Frankfurt/Main, D

Fachplaner
ARGE IFFT-ML / Prof. Schott – Prof. Lange
Arup GmbH
AS&P – Albert Speer & Partner GmbH
B + G Ingenieure, Bollinger & Grohmann GmbH
mit Grontmij BGS Ingenieurgesellschaft mbH
Bartenbach LichtLabor GmbH
canzler ingenieure
ComConsult Beratung & Planung GmbH
Dorsch Consult
Ebert-Ingenieure GmbH & Co. KG
Grandjean & Kollegen
HHP Süd, Beratende Ingenieure
Jappsen Ingenieure GmbH
Krebs und Kiefer – Beratende Ingenieure für das Bauwesen GmbH
Prof. Katzenbach & CDM Consult
Scholze Ingenieurgesellschaft mbH
SHI Schad-Hölzel Beratenden Ingenieure
Vogt Landschaftsarchitekten GmbH
Wolfgang Sorge Ingenieurbüro für Bauphysik GmbH
unit-design GmbH

Fertigstellung
2014

Fotografie
European Central Bank / Robert Metsch
Thomas Geuder


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