Ganz normal

Thomas Geuder
26. August 2014
Einen (wenn auch recht milden) Winter haben die Mitarbeiter von be Baumschlager Eberle im neuen Bürogebäude «2226» in Lustenau bereits hinter sich. (Foto: Eduard Hueber)

Die Fragen hört man heutzutage immer wieder: Was macht ein Gebäude am Ende tatsächlich nachhaltig? Nicht wenige Planer haben darauf eine ganz konkrete Antwort: Die Haustechnik ermöglicht es, sämtliche Energieströme zu steuern und in die bedarfsgerechten Bahnen zu leiten, Energie zu erzeugen und damit letztendlich zu sparen. Im Idealfall (so die neuesten Entwicklungen) lernt ein Steuersystem sogar dazu und kennt nach einer Weile die Gewohn- und Eigenheiten seiner Nutzer. Der kann sich dann umso mehr aufs eigentliche Wohnen konzentrieren. So werden Wohnträume wahr! Man ist verführt zu fragen, wie es wohl früher möglich war zu leben konnte, so ganz ohne smarte Haus-Intelligenz.

«Weniger Energie mit weniger Technik» lautet dagegen die andere Sichtweise. Denn: Gebäude verbrauchen heute zwar immer weniger externe Energie, der Aufwand für diese Reduktion aber wird immer größer. Was machbar ist, wird oft auch gemacht! Bei ihrem Büro-Neubau in Lustenau geht es den Planern von Baumschlager Eberle jedoch nicht darum, die Natur durch eine technische Umwelt ersetzen zu wollen, sondern um das Herstellen sinnvoller Zusammenhänge, die vor allem die Architektur zu leisten vermag. Für be Baumschlager Eberle ist das eine selbst auferlegte Haltung, die generell viel mit Verantwortung der Architekten gegenüber der Zukunft und zukünftigen Generationen zu tun hat.

Das Haus «2226» benötigt wenig graue Energie und ist auf eine angenehme Atmosphäre für die Benutzer angelegt. (Foto: Eduard Hueber)

Das Gebäude mit dem schönen Namen «2226» ist deswegen komplett ohne mechanische Heizung, Lüftung oder Kühlung geplant. Für diese Geräte fallen so schon einmal keine Investitions-, Betriebs- wie Wartungskosten an. Stattdessen ist es ganz normal, aber intelligent geplant: Die Außenmaße umfassen 24 x 24 x 24 m, ein vor allem im energetischen Sinne ideal-harmonisches Maß, da so die Oberflächen des Volumens minimiert werden. Die Wände der Gebäudehülle bestehen aus Stein, genauer: Dämmziegel, zweischalig, jeweils 38 cm stark, miteinander verzahnt, die innere Schicht sorgt für hohe Druckfestigkeit, die äußere für die Isolierung. Die Fenster in den hochformatigen Öffnungen sind flächenbündig an der Innenseite angebracht, aus der Stärke der Hülle resultiert so die Tiefe der äußeren Fensterlaibungen. Das Format der Öffnungen 5:3 ist ein bewusst aus der Kinematographie gewähltes Maßverhältnis, das für eine optimale Ausleuchtung der 12 m tiefen Räume sorgt, bei einer Raumhöhe von 3,36 m. Um eine Mittelmaß zwischen Beleuchtung mit natürlichem Licht und Minimierung der Wärmeverluste zu erreichen, beträgt der Anteil der Fenster an der gesamten Gebäudehülle 24 Prozent. Die Fassaden sind mit gelöschtem Kalk versehen, die Innenwände mit geschliffener Kalkglätte, der Boden mit versiegeltem, fugenlosem Fließmörtel, die Fenster besehen aus geölter Weißtanne – alles Werkstoffe aus der Umgebung. Einziges Zugeständnis an die Haustechnik: CO2- und Temperatur Sensoren sorgen per sich automatisch öffnenden Lüftungsflügeln für ein konstant angenehmes Raumklima sowie frische Luft im Inneren.

Im Winter öffnen sich die Lüftungsflügel, wenn der CO2-Anteil im Raum steigt. Bei sommerlicher Hitze öffnen sich die Flügel in der Nacht, um die Baumassen wieder zu kühlen. (Foto: Eduard Hueber)

«Statt eines Gebäudes, das auf die Haustechnik reagiert, antwortet es auf den Eintrag des Menschen. Auf seine Körperwärme, auf seine Humidität, auf seine Umwandlung von Sauerstoff in CO2», erläutert Dietmar Eberle. Es geht darum, mittels konstruktiv-energetischem Grundwissen und einfachen Materialien und Bauteilen Komfort und Energiesparen zu verbinden und so ein wartunsarmes, nachhaltiges Gebäude mit minimaler Technik zu schaffen. Deswegen möchten wir in diesem Praxis-Bericht auch nicht auf ein spezielles Bauteil fokussieren – das würde dem Prinzip des Gebäudes widersprechen: Beim «2226» geht es um ganz «normale» Architektur, aber auf hohem planerischen Niveau. Die Wände dienen als Speichermasse, der Innenraum reagiert extrem träge auf das Außenklima, die Kalkputzfassaden sorgen für die Diffusion nach draußen. Die Abwärme im Inneren von Menschen und Maschinen (etwa Computer und Kaffeemaschinen) soll ausreicht, die Transmissionsverluste der Außenbauteile zu kompensieren und so zu Temperaturschwankungen von wenigen Grad führen – innerhalb eben behaglicher «22 bis 26» °C. Baumschlager Eberle möchte das Haus «2226» als Prototyp und Experiment verstanden wissen, als (mögliche) Antwort auf die Frage, was Architekten für die Nachhaltigkeit leisten, und wie das Verhältnis Haus-Technik-Mensch künftig aussehen kann.


WAF 2013 «The Purpose of Architecture» mit Dietmar Eberle. Über das Projekt spricht er ab 45:45 min. (World Architecture Festival, Dauer: 50:38 min.)

Bei dem Projekt kamen langlebige Werkstoffe mit hoher physikalischer und haptischer Qualität, also einfache Materialien zum Einsatz. (Foto: Eduard Hueber)
Bereits im Vorfeld wurde berechnet, dass selbst das unregulierte Gebäude ohne internen Wärmeeintrag über das Jahr gerechnet im Inneren lediglich eine Temperaturschwankung von +/- 5 Grad Celsius aufweist. (Foto: Eduard Hueber)
Lageplan (Quelle: Baumschlager Eberle)
Regelgeschoss obere Hälfte (Quelle: Baumschlager Eberle)
Regelgeschoss untere Hälfte (Quelle: Baumschlager Eberle)
Einziges Medium für den Energietransport im Gebäude ist im Prinzip die Luft, deren Zufur über Sensoren und Lüftungsflügel gesteuert wird. (Foto: Eduard Hueber)
Die Außenhülle trägt durch ihre thermische Trägheit durch die massive Baukonstruktion, ihre Wärmespeicherkapazität sowie ihre Fähigkeit, Wärme abzustrahlen, wesentlich zur Behaglichkeit im Innenraum bei. (Foto: Eduard Hueber)
Die Verantwortung für das Innenraumklima, die der Architekt heutzutage bei manch hochtechnisiertem Gebäude abgibt, bekommt er beim «2226» wieder in die Hand zurück. (Foto: Eduard Hueber)

Projekt
Haus «2226»
Lustenau, A

Architekt
be Baumschlager Eberle
Lochau, A

Team
Projektleitung: Jürgen Stoppel
Mitarbeiter: Hugo Herrera Pianno, Markus Altmann

Hersteller
n.n.

Bauherr
AD Vermietung OG
Lustenau, A

Generalunternehmer
Rhomberg Bau GmbH
Bregenz, A

Statik
Mader & Flatz Ziviltechniker GmbH
Bregenz, A

Brandschutz
IBS - Institut für Brandschutztechnik und Sicherheitsforschung
Linz, A

Bauphysik
Ingenieurbüro Kurzemann GmbH
Dornbirn, A

Lichtplanung
Ingo Maurer
München, D

Symetrys
Lustenau, A

Elektroplanung
Elmar Graf GmbH
Dornbirn, A

Energieoptimierung
Lars Junghans
Michigan, US

BUS Steuerung
Peter Stefan Widerin
Hörbranz, A

Kunst
James Turrell
Flagstaff, US

Fertigstellung
2013

Fotografie
Eduard Hueber


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