Wohnbebauung am Berliner Spreeufer

East Side Living

Thomas Geuder
29. März 2016
Mit dem kürzlich fertig gestellten Wohnhochhaus «Living Levels» fand gleichzeitig eine Erweiterung der Nutzungsbandbreite am Berliner Spreeufer statt. (Bild: Roland Halbe)

Projekt: Living Levels (Berlin, DE) | Architektur: nps tchoban voss GmbH & Co. KG Architektur und Städtebau, Sergei Tchoban (Berlin, DE) | Bauherr: cic group Immobilienprojektentwicklungsgesellschaft mbH (Berlin, DE) | Hersteller: GLASSLINE GmbH (Adelsheim, DE), Kompetenz: Ganzglasgeländer Balardo Alu Side 1 Natur | weitere Projektdaten siehe unten

Auch viele Jahre nach dem Fall der Mauer finden sich in Berlin zahlreiche Wunden, die die einst bestbewachteste Grenze Europas hinterlassen hat. So ist das Gebiet zwischen Ostbahnhof und Osthafen nicht nur ein ehemals überwiegend gewerblich genutzter Teil der Stadt. Hier verlief auch die Grenze, zwar am südlichen Spreeufer, doch die sogenannte Hinterlandmauer teilte die Mühlenstraße und einen Teil der Stralauer Allee von der Spree, mit einem Uferbereich, der zur Todesstreifenzone gehörte. Hier befindet sich noch heute das längste noch erhaltene Teilstück der Mauer, und hier entstand im Frühjahr 1990, kurz nach der Wende also, die weltbekannte «East Side Gallery», ein 1316 m langes Mauerstück, das von 118 Künstlern aus 21 Ländern bemalt wurde. Das Stück zwischen Mauer und Spree ist heute keine Grenze mehr, und so holen sich Natur und auch Mensch diese an sich reizvolle Uferzone wieder zurück. Zudem gibt es Pläne, die im Zweiten Weltkrieg gesprengte Brommybrücke, die hier beide Spreeufer hier miteinander verbindet, wieder zu errichten.

Der weiße Solitär mit viel Glas befindet sich am Brückenkopf der ehemaligen kriegszerstörten Brommybrücke und damit unmittelbar am Wasser. (Bild: Roland Halbe)

Genau am zukünftigen Kreuzungspunkt von (zukünftiger) Brommybrücke und Mühlenstraße und in Nachbarschaft zur East Side Gallery ist nun ein erstes Wohnprojekt entstanden. Der 14-geschossige Wohnturm aus der Entwurfsfeder der Berliner Architekten nps tschoban voss (Berlinern bekannt unter anderem vom Museum für Architekturzeichnung) zeigt sich als weißer, skulptural geformter Solitär, dessen äußere Form aus der Rotation aufeinander geschichteter Blöcke entstanden ist. Die Fassade wirkt wie ein Relief aus ausgehöhlten Volumina und Auskragungen, betont noch durch Balkone und Terrassen. Den Architekten war die Besonderheit des Ortes hier an der Spree mit weitem Blick über die Stadt bewusst, und so öffneten sie die Innenräume großzügig zum Außenraum. Dadurch ist der Übergang von Außen nach Innen und somit von städtischer Öffentlichkeit zu Privatheit fließend. Möglich machen das die Architekten durch eine raumhohe Verglasung (AWS 75, Schüco) nahezu aller Räume. Das beschwert jeder der 54 bis 434 m² großen Wohnung einen eigenen, geschützten Außenbereich sowie einen Ausblick in mindestens zwei der drei Himmelsrichtungen. Die 1,30 m hohen Außengeländer (Balardo Alu Side 1 Natur, Glassline) sind folgerichtig ebenfalls aus Glas und lassen einen ungehinderten Blick nach außen zu. Lediglich der Edelstahl-Handlauf zeichnet eine schmale, horizontale Linie. Die Montage des Glasgeländers erfolgte übrigens nach dem schnellen und somit kostensparenden sog. «Click‘n‘Fix»-Prinzip, bei dem die Gläser wie eingeklickt und per Dichtung fixiert werden.

Ein ungehinderter, reizvoller Blick soll durch die raumhohe Verglasung sowie durch die Ganzglasgeländer gewährleistet werden. (Bild: Roland Halbe)

Die Planer von nps strebten insgesamt ein «low tec»-Konzept an, sprich: Die Bedienbarkeit des Hauses sollte so einfach wie möglich sein, bei gleichzeitiger bauartbedingter Effizienz. So mussten beim Aufbau der Fassade die konstruktiven Ansprüche des Hochhauses mit den Anforderungen des sommerlichen Wärmeschutzes in Einklang gebracht werden. Ein außenliegender Sonnenschutz kam wegen der hohen Windlasten an diesem Ort nicht infrage. Stattdessen erhielten die Etagen mit hohen Fenstern (jede zweite Etage) im oberen Bereich einen außenliegenden, starren Sonnenschutz, der für Schatten in Spitzenzeiten sorgt. Außerdem wurden die Verglasung mit hochselektivem, farbneutralem Sonnenschutzglas durchgeführt, das ein Maximum der langwelligen Einstrahlung gar nicht erst ins Gebäudeinnere eindringen lässt. Die Beheizung des Gebäudes erfolgt über Fernwärme aus Kraft-Wärme-Kopplung, die Betonkernaktivierung unterstützt im Heiz- und Kühlfall, eine Fußbodenheizung sorgt für Komfort mit geringen Vorlauftemperaturen, die Entlüftung der Bäder und Küchen erfolgt zentral, wodurch effektive Maßnahmen zur Wärmerückgewinnung getroffen werden konnten. Die Balkone und Terrassen, wichtiger Teil der Wohnqualität, sind partiell permanent begrünt und fungieren so als eine Art vertikaler Garten, beginnend quasi von der Uferbegrünung nach oben.

Von verschiedenen Standpunkten aus betrachtet soll das Fassadenrelief mit seinem Wechsel zwischen ausgehöhltem Volumen und den Auskragungen für ein visuelles Spannungsmoment sorgen. (Bild: Roland Halbe)
Lageplan (Quelle: nps)
Grundriss 11. Obergeschoss (Quelle: nps)
Grundriss 8. Obergeschoss (Quelle: nps)
Grundriss Erdgeschoss (Quelle: nps)

Click'n'Fix-Montage von Balardo Alu (Glassline.de, 3:05 min.)

Das insgesamt 14-geschossige Hochhaus mit einer Fläche von 8.700 Quadratmetern ruht auf einem Sockel, der überwiegend mit einer Blech verkleidet ist. (Bild: Roland Halbe)
Die großzügige doppelgeschossige Eingangslobby soll auch als Galerie genutzt werden. (Bild: Roland Halbe)
Aufgrund der Stahlbetonskelettkonstruktion sind die Grundrisse – 54 bis 434 Quadratmeter groß – variabel und ermöglichen einen individuellen Ausbau nach Wunsch der Nutzer. (Bild: Roland Halbe)
Aufgrund der Stahlbetonskelettkonstruktion sind die Grundrisse – 54 bis 434 Quadratmeter groß – variabel und ermöglichen einen individuellen Ausbau nach Wunsch der Nutzer. (Bild: Roland Halbe)

Projekt
Wohnbebauung «Living Levels»
Berlin-Friedrichshain, DE

Architektur
nps tchoban voss GmbH & Co. KG Architektur und Städtebau
Sergei Tchoban
Berlin, DE

Projektpartner und -leiter: Philipp Bauer
Projektleitung LP 1-2: Karsten Waldschmidt
Mitarbeiter: Christoph Heimermann, Kenan Ozan; Jesko Brandi, Anja Schroth LP 1-2

Hersteller
GLASSLINE GmbH
Adelsheim, DE

Kompetenz
Ganzglasgeländer Balardo Alu Side 1 Natur

Bauherr
cic group Immobilienprojektentwicklungsgesellschaft mbH
Berlin, DE

Statik
IB Glosch
Berlin, DE

Haustechnik
VTIB Frank Zabel
Berlin, DE

Fassade
Assmann & Klasen
Rüdersdorf, DE

mit
Dieringer Blechbearbeitung
Berlin, DE

Rohbau
A.M.M.A.R.
Berlin, DE

Bruttogeschossfläche
8.700 m²

Fertigstellung
2015

Fotografie
Roland Halbe


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