Donaubogen

Thomas Geuder
28. August 2013
In der Nacht vereinen sich die Farben der Brückenbeleuchtung und der Fahrzeugleuchten zu einem Gesamtkunstwerk. (Foto: Florian Schreiber Fotografie)

Aufmerksame Auto- und Motorradfahrer kennen das: Ständig über- und unterquert man Brücken, die meist der immer gleichen gestalterischen Idee entspringen: nämlich keiner. Da werden schnöde Platten (sprich: Fahrbahnen) zwischen A und B gelegt und – falls notwendig – auf Stützen gestellt, Geländer drauf montiert und fertig. Fast immer ist das die vermeintlich einfachste und vor allem kostengünstigste Lösung. Damit wir uns richtig verstehen: Solche Bauwerke stören nicht unbedingt, aber Schönheit als Ingenieursleistung ist etwas anderes. Auffällig wird dieser Missstand vor allem dann, wenn einem eine wirklich beeindruckende Brücke begegnet, die die Kräfte offenkundig clever leitet und der sogar ein richtiger gestalterischer und räumlicher Gedanke zugrunde liegt. Otto Normalbrückengucker jedenfalls freut es immer wieder, ein solches Prachtexemplar zu finden.

Gefunden haben wir ein solches bei der Verleihung des Ingenieurpreises des Deutschen Stahlbaus in München Anfang des Jahres (wo letztendlich einiges Schönes zu sehen war). Der Ingenieurpreis wird alle zwei Jahre in zwei Kategorien verliehen: Hochbau und Brückenbau. Die Jury setzte sich zusammen aus Vertretern der Fachplaner, der Lehre und der Industrie. Beurteilt werden die eingereichten Projekte nach der Innovation der Konstruktion, Technik bzw. des Verfahrens, nach der Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz der Lösung, nach der Wirtschaftlichkeit sowie der architektonischen Qualität. Preisträger in der Kategorie Hochbau sind in diesem Jahr ifb frohloff staffa kühl ecker aus Berlin mit ihrem Tonnendach für das Museum der Bayerischen Könige in Hohenschwangau, über das die Praxis noch berichten wird. Preisträger in der Kategorie Brückenbau sind in diesem Jahr die Ingenieure von SSF aus München mit ihrer Donaubrücke bei Günzburg, die nicht nur dem Ingenieur, sondern auch dem Architekten große Freude bereitet.

Mit einer Stützweite von 83 Metern überspannt die Bogenbrücke die Donau bei Günzburg ohne Zwischenstütze. (Foto: Florian Schreiber Fotografie) 

Und das schon von der ersten Idee an. Unter den zuvor durchgespielten Varianten stellte sich die Bogenbrücke als Langer‘scher Balken – eine Mitte des 19. Jahrhunderts von dem Österreicher Josef Langer entwickelte Konstruktion, in der der Längsbalken die Schubkräfte aus dem Bogen aufnimmt und die Widerlager deswegen keine Horizontalkräfte erfahren – als beste heraus, deren Bögen zur Mitte etwas geneigt und oben miteinander verbunden ist. Durch dieses sehr wirtschaftliche System sind im Flussbett außerdem keine mehr Pfeiler nötig, die ohnehin nur eine Auskolkung und die damit regelmäßigen Revisionsarbeiten zur Folge gehabt hätten. Die Hänger (mit einem Druchmesser von 90 mm) wurden nicht wie üblich vertikal, sondern kreuzförmig angeordnet, wodurch sogar eine zusätzliche aussteifende Wirkung entstand. Das Besondere an diesem Entwurf: Von der Fahrbahn aus entsteht eine beeindruckende Torwirkung, vor allem von der Stadt Günzburg als neuer Auftakt in die Stadt sehr begrüßt.

Spannend ist neben dem Entwurf auch der Bauverlauf: Da ein Umleiten der täglich rund 15.000 Fahrzeuge während der Bauarbeiten nicht möglich war (sie hätten durch die Innenstadt Günzburgs geleitet werden müssen), wurde die alte Brücke – eine nicht unschöne, aber in die Jahre gekommene Stahlfachwerkkonstruktion aus dem Jahr 1948 – auf Behelfsbauten um 19 Meter am Stück zur Seite verschoben und der Verkehr auf die verschobene Brücke umgeleitet. Die alten Flusspfeiler konnten sogar während des Baus als Auflager für die Stahlbaumontage der neuen Bogenbrücke dienen. Die gesamte Bauwerk wurde in drei Bauphasen erstellt: (1) Einrichtung der Behelfsumfahrung, (2) Herstellung des neuen Bauwerks und (3) Rückbau der Behelfsumfahrung und Abbruch des bestehenden Bauwerks. All das führte dazu, dass die Bauzeit für die Herstellung des gesamten Brückenbauwerks bei nahezu ständiger Aufrechterhaltung des Verkehrs und einschließlich aller temporären Behelfsbauten nur rund 16 Monate betrug. Was Otto heute besonders ins Auge fällt, ist das nächtliche Bild: 16 im Fußbereich der Stahlbögen angeordnete LED-Strahler illuminieren nun die wunderschöne Konstruktion, wobei sich die Farben alle fünf Minuten sanft in neun unterschiedlichen Varianten wechseln.

Perspektivische Zeichnung der Entwurfsphase
So sieht der Autofahrer die Brücke: Sie spannt einen Raum auf, der beim Durchfahren als Tor wahrgenommen wird. (Foto: Florian Schreiber Fotografie / SSF Ingenieure AG)
Systemvarianten, Ansicht und Querschnitt
Die alte Brücke aus dem Jahr 1948 macht Platz für die neue und wird auf Behelfsunterbauten verschoben. (Foto: SSF Ingenieure AG)
In der Draufsicht der Verschubbahn sieht man die Verankerungskonstruktion für die alte Brücke. (Foto: SSF Ingenieure AG)
Per Kran wurde das Tragwerk Stück für Stück an die richtige Position gebracht und verschweißt. (Foto: SSF Ingenieure AG)
Die alten Flusspfeiler sowie die ergänzenden Verschubbahnen wurden für die Montage der neuen Brückenkonstruktion verwendet. (Foto: SSF Ingenieure AG)
Die Bögen bestehen aus einzelligen Hohlkästen mit parallelogrammartigem Querschnitt und einer variablen Höhe zwischen 90 und 160 cm, bei einer Breite der Untergurte von 1,20 m. (Foto: SSF Ingenieure AG)
Ähnlich einem Fachwerk erhalten Hänger, die parallel zur Neigung der entsprechenden Momentenlinie angeordnet sind, immer Zugkräfte. Dementsprechend neigen senkrecht zu ihnen verlaufende Hänger dazu, Druckkräfte zu erhalten. Diese Hänger mussten im Zuge des Einbaus vorgespannt werden. (Foto: SSF Ingenieure AG)
Ansicht
Querschnitt
Die neue Brücke verläuft über drei Felder, wobei die beiden äußeren Felder jeweils über 10,50 m spannen und als Einfeldträger ausgebildet sind. (Foto: Florian Schreiber Fotografie / SSF Ingenieure AG)
Mit dem Beleuchtungskonzept wurde das Ziel verfolgt, den zentralen, nördlichen Stadteingang mithilfe einer künstlerisch gestalteten, zeitgemäßen Beleuchtung zu einem markanten Identifikationspunkt zu machen und gleichzeitig die gestalterische Qualität der Donaubrücke hervorzuheben. (Foto: Florian Schreiber Fotografie / SSF Ingenieure AG)
Ingenieurpreis des Deutschen Stahlbaus
Gewinner Kategorie Brückenbau

Projekt
Donausbrücke Günzburg
Günzburg, D

Ingenieurbau, Objektplanung und Tragwerksplanung
 
SSF Ingenieure AG
München, D

Projektteam
Jürgen Schmidt
Peter Radl

Bauherr
Staatliches Bauamt
Krumbach, D

Visualisierung, gestalterische Beratung
Lang Hugger Rampp GmbH Architekten
München, D

Prüfingenieur
Hertle Ingenieure
Gräfelfing, D

Stahlbau
Bitschnau GmbH
Nenzing, AT

Baufirma
Matthäus Schmid Bauunternehmen
Baltringen, D

Fertigstellung
2011

Fotonachweis
Florian Schreiber Fotografie
SSF Ingenieure AG

Projektvorschläge
Sie haben interessante Produkte und innovative Lösungen im konkreten Projekt oder möchten diesen Beitrag kommentieren?
Wir freuen uns auf Ihre Nachricht!

Andere Artikel in dieser Kategorie