Investitionen wecken einst gekipptes Quartier aus seinem Dornröschenschlaf

Zwei Schorndorfer Projekte für die IBA’27

Leonhard Fromm
5. September 2023
Vorstadt Schorndorf (Modell: Atelier Kaiser Shen)

Verwinkelte Gassen mit kleinen Häusern und Plätzen, die unerwartete Blicke freigeben – was südlich des Bahnhofs den Charakter der Schorndorfer Altstadt ausmacht, findet zukünftig jenseits der Gleise im raueren gewerblichen Maßstab seine Ergänzung. Aus dem gewerblich genutzten Gebiet an zentraler Lage nördlich des Bahnhofs Schorndorf soll ein dichtes, gemischtes Viertel zum Wohnen und Arbeiten werden. Stadtverwaltung, Bürgerschaft und Experten sind daran beteiligt; 2022 hatte zusammen mit der IBA’27 ein Bürgerbeteiligungsprozess stattgefunden.  

Auf dem ehemaligen Betriebsgelände des Bauhofs Schorndorf entsteht ein Quartier, das die vorstädtische Geschichte fortschreibt. So sieht der Siegerentwurf des zweistufigen Wettbewerbsverfahrens von Atelier Kaiser Shen neben einer differenzierten Gebäudestruktur, die zur Minimierung von CO2-Emissionen ganz auf Untergeschosse verzichtet, auch nutzungsoffene Freiräume für eine allmähliche Aneignung vor. Wer zukünftig auf dem Uferweg zum Konzert bei den Rems-Terrassen radelt und einen Schlenker über den belebten Nachbarschaftsplatz macht, kommt an offenen Werkstätten und Gemeinschaftsbüros vorbei, begegnet Bewohnern, die im öffentlichen Café ihres Pflegehauses sitzen, Familien und Fachkräften. Während an der zentralen Rems-Gasse eine hohe, urbane Bebauung neue Wohntypologien, wie Clusterwohnungen und Microappartements mit großzügigen Gemeinschaftsflächen in Ufernähe ergänzt, knüpfen im Süden gestapelte Reihenhäuser an die bestehende Vorstadtstruktur an.

Vorstadt Schorndorf (Visualisierung: Atelier Kaiser Shen)

Am Werkhof des zentralen Mehrgenerationenhauses treffen flexibel gestaltbare Atelier-Wohnungen auf Arbeits- und Produktionsflächen und bilden dort, wie im gesamten Viertel, das Leben einer vielfältigen Stadtgemeinschaft ab. »Hier wird ein neuer Impuls gesetzt: Direkt an der Rems und fußläufig zu Bahnhof und Innenstadt entsteht ein neues lebendiges Stück Stadt: dicht, gemischt, autofrei, klimaresilient, mit Wohnen für alle Generationen und Bedürfnisse und einem zukunftsfähigen Energiekonzept. Vielfältige Angebote in den Erdgeschosszonen machen das Quartier zu einem neuen Mittelpunkt der Vorstadt«, würdigt die IBA-Jury die Aufnahme des Projekts in ihrer Förderkatalog.

2019 war Projektstart für die Aufnahme in das IBA’27-Netz. Nach Abschluss des Bürgerbeteiligungsprozesses im Vorjahr waren aus einem zweistufigen internationalen städtebaulichen Wettbewerb Schürmann + Witry Architekten (Stuttgart) mit AMSL – Miriam Stümpfl Architektur und Stadtplanung (München) und Blank Landschaftsarchitekten (Stuttgart) als Sieger hervorgegangen. 
In unmittelbarer Nähe hatte zuletzt in vier Jahren Bauzeit die Instone Real Estate Development GmbH im Auftrag einer Versicherungsgesellschaft auf dem Areal einer ehemaligen Lederfabrik 228 Wohnungen in sieben fünfgeschossigen Gebäuden realisiert. Deren Größen reichen von Ein- bis Fünf-Zimmer-Wohnungen mit 25 bis 125 Quadratmetern Fläche und werden ab 2024 alle komplett vermietet. Ein Teil der Wohnungen, die sich quer über die Gebäude verteilen, sind mietpreisgebunden. Fünf Einheiten erstrecken sich dagegen mit großen Glasfassaden über zwei Etagen und haben Loft-Charakter im Premiumsegment. 
In der Vorstadt liegt neben einem Discounter für die Nahversorgung auch ein großer Stadtbiergarten, der das Viertel im Sommer belebt und bereichert. Die Revitalisierung der Industriebrache hatte die öffentliche Aufmerksamkeit wieder auf das stadtnahe Quartier gelenkt, das über Jahrzehnte heruntergekommen und in dem nicht mehr investiert worden war. Durch die Wohnungsnot in Stuttgart und die gute öffentliche Verkehrsanbindung war Schorndorf in den vergangenen zehn Jahren auch für Pendler immer attraktiver geworden.

Vorstadt Schorndorf (Bild: IBA’27)

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