Le Corbusiers Planstadt

Thomas Geuder
13. Mai 2015
Buchcover (Bild: Scheidegger & Spiess) Buchcover

Chandigarh, Le Corbusiers Planstadt im Norden Indiens, ist nicht nur deswegen ein besonderer Ort, weil er von eben jenem einflussreichen Architekten der Klassischen Moderne erdacht und – zum größten Teil – von ihm sowie von seinem Cousin Pierre Jeanneret, Maxwell Frey nebst Frau Jane Drew wie auch von den indischen Architekten M.N. Sharma und Aditya Prakash ursprünglich erbaut wurde. Für Architekturhistoriker und -liebhaber ist Chandigarh auch interessant, weil hier die Vision einer gebauten Klassischen Moderne von Grund auf exerziert werden konnte. Das Rationale und Funktionale als Manifest einer modernen, sprich: besseren Welt mit minimalistischem Stempel, klarer Materialität und genau definierten raumplanerischen Regeln. Ein ganzer Kanon gebauter und damit auch gesellschaftlicher Konformität und Normalität – auch mit den unzähligen Widersprüchlichkeiten, die sich diesen dogmatisch-theoretischen Forderungen und der unerbittlichen Strenge im Zusammenspiel mit der Geschichte ergeben.

Town hall, 1961, Pierre Jeanneret. (Bild: Werner Feiersinger)

Der österreichische Bildhauer und Fotograf Werner Feiersinger untersucht dieses Spannungsfeld innerhalb der Klassischen Moderne und deren oftmals ebenso rigid dogmatischen und dadurch nicht selten unkritischen Rezeption seit vielen Jahren in seinen Werken. So war es für ihn ein naheliegender wie logischer Schritt, die ab 1952 erbaute Stadt zu bereisen und von ihr eine fotografische Bestandsaufnahme zu erstellen. Rund 300 seiner Bilder sind nun in das Buch «Chandigarh Redux» zusammengeflossen und füllen gut 380 der 416 Seiten, die einzelnen Gebäude in loser Anordnung, kartographisch notiert auf einem schematischen Grundrissplan der Stadt. Zu sehen sind auf den Bildern teilweise stark in Mitleidenschaft gezogene Bauwerke, die (natürlich) von den Bewohnern einverleibt wurden, die ihrerseits wieder Spuren ihrer Existenz hinterlassen haben: Erstaunlich an vielen Motiven ist, dass eben diese Habitanten nicht zu sehen sind, wohl aber etwa ihre Autos, Fahrräder, Wäscheleinen oder Blumentöpfe. So wird die Bilderreihe zu einem Fundus, der einen Bogen spannt von der Vision einer Architektengeneration zur ungeschönten Gegenwart.

Student Centre, Panjab University, 1970, B. P. Mathur. (Bild: Werner Feiersinger)

Werner Feiersinger hat auf seiner fotografischen Reise sehr wertneutrale Motive gewählt, die teilweise recht blasse Farbigkeit – die vermuten lässt, dass die Fotos vor Drucklegung nur wenig bis gar nicht bearbeitet wurden – gibt die Realität recht schonungslos wieder. Grundrisse an einigen wenigen Stellen im Buch erlauben dem geneigten Architekten und Interessierten nähere Studien. Der langen Bildstrecke folgt schließlich ein Essay des Architekten Andreas Vass, der in einer Art sehr persönlicher Reportage die Geschichte Chandigarhs und deren Architektur reflektiert und einen Ausblick in zukünftige Entwicklungen wagt.

MLA Flats, 1956, Pierre Jeanneret. (Bild: Werner Feiersinger)

Der Buchtitel «Chandigarh Redux» mimt vordergründig den Anspruch, hier etwas wiederzubeleben (redux = wiederbelebt). Damit jedoch sind weniger die Stadt oder deren Bewohner gemeint; vielmehr bezieht sich der Titel auf Ernst Scheideggers Buch «Chandigarh 1956», das vor gut 60 Jahren die Architektur dieser Planstadt dokumentierte und Werner Feiersinger nun als Inspiration für eine Neufassung diente – die durchaus auch als Vorlage für weitere Werke Feiersingers dienen könnte, dann vermutlich wieder im Bereich der Bildhauerei. Herausgegeben hat er das Buch übrigens zusammen mit seinem Bruder und Architekten Martin Feiersinger, der mit seinem Büro in Wien ansässig ist, für die Übersetzung zeichnet sich (zusammen mit Brian Dorsey) Elise Feiersinger verantwortlich, wodurch das Buch fast schon eine Familienunternehmung ist – was den Unterhaltungs- und Studienwert dieses Werks in keinster Weise schmälert und uns auf die vielleicht folgenden Kunstwerke, die aus diese Inspirationsreise hervorgehen werden, freuen lässt.

Kiran Cinema, 1956, E. Maxwell Fry. (Bild: Werner Feiersinger)

Martin Feiersinger & Werner Feiersinger
Chandigarh Redux
mit Fotografien von Werner Feiersinger und einem Essay von Andreas Vass.
416 Seiten, 16 x 24 cm, 303 farbige und 4 sw Abbildungen, Broschiert
Englisch
ISBN 978-3-85881-762-4
48,- EUR
49,- CHF

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